Als Joe Biden am Freitag gefragt wurde, ob er die Anklageerhebung gegen seinen gefährlichsten politischen Gegner kommentieren wolle, da sagte der gemeinhin redselige Demokrat: «Nein», kein Interesse. Das war geschickt. Denn erstens war auch am Tag danach noch nicht bekannt, welche strafrechtlichen Delikte Donald Trump in New York zu Lasten gelegt werden. Die historische Anklageschrift, ausgearbeitet von Staatsanwalt Alvin Bragg und verabschiedet durch eine Grand Jury, war immer noch unter Verschluss.
Und zweitens gilt im amerikanischen Zweiparteiensystem die goldene Regel, dass es nicht sinnvoll ist, sich in Zeiten grosser Turbulenzen in interne Angelegenheiten des politischen Gegners einzumischen – insbesondere dann nicht, wenn sich die andere Partei mit einem geschmacklosen Skandal konfrontiert sieht.
Aber natürlich wird sich auch Biden der Tragweite des Beschlusses seines Parteikollegen im New Yorker Stadtteil Manhattan bewusst gewesen sein. Mit der Anklageerhebung gegen den Ex-Präsidenten, die sich höchstwahrscheinlich um vertuschte Schweigegeldzahlungen Trumps an den Porno-Star Stormy Daniels im Wahlkampf 2016 dreht, mit der er angeblich eine kurze aussereheliche Affäre hatte, brach Staatsanwalt Bragg ein weiteres Tabu - konnten sich ehemalige Präsidenten doch bisher hinter dem Prestige ihres Amtes verstecken.
In den Augen der Republikaner droht aufgrund dieser Zeitenwende das Ende des Rechtsstaates. In ersten Reaktionen überboten sich konservative Aushängeschilder wie Speaker Kevin McCarthy, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, oder Gouverneur Ron DeSantis, die Nachwuchshoffnung enttäuschter Trump-Fans, gegenseitig mit Empörung. Unamerikanisch sei die Anklageerhebung gegen Trump, hiess es da etwa, ein trauriger Tag für die einst so stolze Republik, die früher angeblich eine unpolitische Justiz hatte.
Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt: Trump mag tatsächlich der erste Präsident der USA sein, der nach Ablauf seiner Amtszeit vor Gericht gestellt werden könnte. (Letztlich wird ein New Yorker Richter entscheiden müssen, ob er die Anklage zulassen will.) Und er ist auf jeden Fall der erste führende Präsidentschaftskandidat der Republikaner, der sich mitten im Wahlkampf ums Weisse Haus mit der Frage zu beschäftigen hat, ob er finanzielle Zahlungen an eine angebliche Geliebte rechtmässig verbuchte.
Vergessen ging allerdings in den ersten Reaktionen, dass die beiden Trump-Vorgänger Richard Nixon (im Amt von 1969 bis 1974) und Bill Clinton (1993 bis 2001) nur haarscharf an einer Anklageerhebung vorbeigeschrammt waren.
Nixon wurde nach dem Watergate-Skandal von seinem Nachfolger Gerald Ford gerettet, der ihn begnadigte und damit sämtliche strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Republikaner stoppte. Clinton wiederum willigte am zweitletzten Tag seiner Präsidentschaft in einen aussergerichtlichen Vergleich ein; im Gegenzug zog ein Sonderermittler einen Schlussstrich unter alle Untersuchungen gegen Clinton. Diese hatten sich, eine Parallele zu Trump, im Kern auch um die Vertuschung ausserehelicher Beziehungen gedreht.
Während Nixon nach seinem erzwungenen Rücktritt von seiner Republikanischen Partei fallengelassen worden war, scharten sich die Demokraten vorerst hinter Clinton. Auch nach seinem Auszug aus dem Weissen Haus blieb der Ex-Präsident lange Jahre ein gern gesehener Wahlkämpfer. Auf diesen Mitläufereffekt hofft auch Trump. Er glaubt, dass er von der Anklageerhebung politisch profitieren wird, selbst wenn er Wahlkampf in einem Gerichtssaal führen muss.
Deshalb ging er bereits am Donnerstag zum Gegenangriff über. In zahlreichen Wortmeldungen auf sozialen Diensten bezeichnete sich Trump, einmal mehr, als Opfer einer politischen Hexenjagd. Er hetzte gegen den zuständigen Richter, dessen Namen er allerdings falsch schrieb, und warf dem altgedienten Juristen vor, ihn zu hassen.
Auch beschuldigte der Ex-Präsident den Staatsanwalt, Teil einer Verschwörung zu sein, die das Ziel habe, den stärksten Präsidentschaftskandidaten der Republikaner aus dem Verkehr zu ziehen.
Beweise für diese Behauptung gibt es nicht. Bragg wurde 2021 in Manhattan in sein Amt gewählt und im föderalistisch organisierten Amerika untersteht er nicht dem Präsidenten. Und letztlich ist es bloss Zufall, dass es die Ermittlungen in New York waren, die nun zur ersten Anklage gegen Trump führten.
So scheint zum Beispiel die Untersuchung in Georgia, die sich um eine Beeinflussung der Stimmenauszählung nach der Präsidentenwahl 2020 dreht, kurz vor dem Abschluss zu stehen.
Aber Trump hat noch nie grosses Gewicht auf die Untermauerung seiner Behauptungen gelegt. Er tut, was er am besten kann: Er sorgt für Wirbel, Empörung und mobilisiert seine treusten Anhänger.
In einer Republikanischen Partei, in der es noch keinen starken nationalen Gegenpol zu Trump gibt, könnte ihm dies politisch nutzen. In der Gesamtbevölkerung aber werden die Eskapaden des Ex-Präsidenten vor allem dazu sorgen, dass die allgemeine Erschöpfung weiter steigt. (aargauerzeitung.ch)
Am besten lässt man ihn mal wüten und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis genau diese gemässigten Republikaner*innen genug von diesem weinerlichen Kindskopf haben und den quengelnden Querkopf zum Herumschreien in den vergitterten Laufstall stellen.