Würde so etwas in der Schweiz passieren, dann wären wohl nicht nur die Eltern, sondern das halbe Land in Aufruhr. Aber die Geschichte ist in Barberton, im US-Bundestaat Ohio zustatten gegangen.
Das verstörende Video zeigt eine Gruppe Teenager, die sich bereitwillig an einer Wand aufreihen. Sie sind alle einem Kriminalwissenschafen-Kurs an der ortsansässigen Technischen High School (Sekundarstufe 1 bis 2).
Ein Polizist schreitet von Schüler zu Schüler (der Einfachheit halber wird auf die zweigeschlechtliche Formulierung verzichtet; Anm. d. Redaktion) und gibt allen eine Dosis Pfefferspray ins Gesicht. «Hört auf zu widerstehen, gebt nach!», ruft der Beamte immerzu.
Nur wenige Sekunden später geht ein verzweifeltes Geschrei der Qual los, dass dem Zuhörer durchaus durch Mark und Bein geht: «Aaaahhh!» – «Es fühlt sich an wie ein Vulkan in meinen Augen.» – «Oh mein Gott. Es tut so weh.» – «Ich muss gehen, ich muss gehen, ich muss gehen, ich muss gehen, ich muss gehen.» Ein Entrinnen gibt es jedoch nicht.
Was ist hier passiert? Werden die Schüler bestraft? Wozu soll das gut sein? Gemäss der Schulleiterin wurde die Aktion vom Bildungsdepartement des US-Bundesstaats Ohio abgesegnet. Die «Übung» solle all jenen Schülern helfen, die eine Ausbildung in Richtung Strafverfolgung beabsichtigen. Also: Die Folgen von Pfefferspray kennen. Plausibel erklärt – methodisch, pädagogisch und didaktisch überaus fragwürdig.
Die Schüler haben sich für das Experiment freiwillig gemeldet, natürlich nicht ohne die Einwilligung und eine rechtliche Verzichtserklärung ihrer Eltern. Frewillig? Wieso macht man denn sowas?
Nun, die Schüler müssen sich über die Jahre für ihren Abschluss im technischen Fachbereich insgesamt zwölf Punkte verdienen. Und wie könnte es anders sein: Allein für diese Aktion erhielten alle einen vollen Punkt. Dennoch werden einige die Wahl des vermeintlich einfach Wegs bedauert haben.
Das Sprühmittel von Pfeffersprays beinhaltet den Stoff Capsaicin. Dieser wird aus dem Harzöl (Oleoresin) der Tabasco-Pflanze gewonnen, genauer aus dem Fruchtfleisch der Chillischoten. Daher heisst der Wirkstoff auch Oleoresin Capsicum – und er ist prinzipiell ungiftig, schliesslich essen wir ihn ja auch.
Zwischen pikanter Kulinarik und Pfefferspray gibt es jedoch frappante Unterschiede. Zum Einen schmieren wir uns Chilli-Saucen nicht in die Augen (zumindest nicht absichtlich). Zum anderen ist es eine Frage des Schärfegrads.
Während eine normale Tabasco-Sauce einen Schärfegrad von 1500 (bis maximal 5000) Scoville hat, bringt es ein handelsüblicher Pfefferspray auf bis zu 400'000 Scoville – er ist also bis über 260 Mal schärfer. (Auf dem Spray wird es in der Regel der Prozentanteil des Oleoresin Capsicum mit einem bestimmten Schärfegrad angegeben.
Trotz der hohen Schärfe sind in der Regel keine Langzeitschäden zu erwarten, auch wenn die kurzfristigen Reaktionen sehr heftig ausfallen können: Reizung der Haut, der Schleimhäute, der Augen und der Atemwege. Alle Wirkungen treten sofort oder innerhalb weniger Sekunden ein.
Was dagegen tun? Zuerst sollte man den mit Pfefferspray «kontaminierten» verlassen und anschliessen die betroffenen Körperstellen (auch Augen) 10-15 Minuten mit kalten Wasser ab- und ausspülen (nicht reiben).
Seit 1972 gilt das internationale Abkommen über biologische Waffen, die den Einsatz von Pfefferspray als Kampfmittel in internationalen Konflikten und Kriegen, ob gegen Soldaten oder Zivilisten, verbietet. Auf nationaler Ebene ist damit der Einsatz aber nicht untersagt.
In der Schweiz gilt der Pfefferspray allerdings nicht als Waffe. Der Erwerb und Besitz ist Volljährigen erlaubt. Geregelt wird dies im Bundesgesetz über den Schutz vor gefährlichen Stoffen und Zubereitungen und in der entsprechenden Verordnung.