Nach dreiwöchigen Protesten blasen die «Gelbwesten» zur Jagd auf Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: Für Samstag rufen sie zum Sturm auf seinen Amtssitz auf, den Elysée-Palast. Die Proteste richten sich längst nicht mehr nur gegen hohe Steuern und Lebenshaltungskosten. Es geht um den Kopf des Präsidenten. (watson wird vor Ort sein und über die Proteste berichten.)
Wie ein Lauffeuer verbreitet sich in den sozialen Netzwerken der Aufruf eines «Gelbwesten»-Aktivisten zu Protesten vor dem Elysée-Palast. Auf die Frage eines Fernsehjournalisten, was die Aktivisten dort planten, sagt der Lastwagenfahrer Eric Drouot: «Wir gehen rein.»
Es ist die Kampfansage an einen Staatschef, der sich seit zehn Tagen in Schweigen hüllt. Bei einem seiner raren öffentlichen Auftritte – dem Besuch einer bei Protesten abgefackelten Präfektur – wurde Macron ausgebuht. Seine Beliebtheitswerte sind im freien Fall, in einer neuen Umfrage kommt er nur noch auf 18 Prozent.
«Der Typ glaubt, er sei Gott», sagt ein wütender Aktivist, der in Le Mans südwestlich von Paris ein Treibstofflager blockiert. «Er verdient es, dass man ihm den Kopf abschneidet», sagt der Familienvater.
«Das Land ist am Rand eines Aufstands und eines Bürgerkriegs», warnte eine Delegation der «Gelbwesten». Auf ihre Forderung nach einem persönlichen Empfang ging Macron nicht ein. Jedoch will er sich nun Anfang der kommenden Woche öffentlich äussern, wie sein Umfeld mitteilte.
In Frankreich bricht sich nicht nur jahrelanger Frust über steigende Steuern, sinkende Renten und eine hohe Arbeitslosigkeit Bahn. Die rebellionsartigen Proteste werden getrieben vom Hass auf einen Präsidenten, der sich immer wieder zu arroganten Äusserungen hinreissen liess – etwa als er einen Arbeitslosen zurechtwies, er müsse «nur über die Strasse gehen» und finde schon einen Job. Oder als er die Franzosen als «widerspenstige Gallier» verspottete.
Und der weiter nicht zu symbolischen Zugeständnissen bereit ist: Etwa die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, deren Abschaffung den früheren Investmentbanker in den Augen vieler zum «Präsidenten der Reichen» machte. Macron habe im Wahlkampf versprochen, die soziale Ungleichheit abzubauen, klagt ein 66 Jahre alter Rentner, der von 700 Euro lebt und bei Metz eine Strasse blockiert. «Das Gegenteil ist der Fall.»
Von der Krise profitieren Kräfte am äussersten rechten und linken Rand. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen riet Macron süffisant: «Reden Sie mit den ‹Gelbwesten›, verstecken Sie sich nicht im Elysée.» Gegen sie droht dem Lager des Präsidenten eine Niederlage bei der Europawahl im nächsten Mai.
Wenn der Staatschef kommende Woche zum EU-Gipfel nach Brüssel reist, kann er sich kaum noch als «Bollwerk gegen Populisten» präsentieren, als das er angetreten ist, sagt der Brüsseler Kommunikationsforscher Nicolas Baygert. Auch seine Reformpolitik steht auf der Kippe.
Das «Problem» Macron habe sich für Europa erledigt, triumphiert bereits Italiens Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega. In Deutschland streut AfD-Fraktionschefin Alice Weidel das Gerücht, Macron plane, am Samstag die «Armee gegen das eigene Volk einzusetzen». Das französische Verteidigungsministerium dementiert, dass es solche Pläne gibt.
Auch linke Kräfte versuchen, die «Gelbwesten» für ihre Ziele zu vereinnahmen. Der Linkspartei-Politiker Klaus Ernst sagte im Deutschlandfunk, ähnliche soziale Proteste seien auch in der Bundesrepublik «wünschenswert».
In Frankreich haben für die kommende Woche drei linke Oppositionsparteien zu einem Misstrauensvotum gegen Macron aufgerufen. Es hat wegen der absoluten Mehrheit des Präsidenten keine Chance. Das Misstrauensvotum auf der Strasse haben die «Gelbwesten» dagegen gewonnen. (aeg/sda/apa/afp)