Am 20. Januar 2025 trat Donald Trump seine zweite Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten an. Noch am selben Tag erliess er Dutzende Dekrete, darunter den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen oder den Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation WHO. Seither hat Trump mit einer schwindelerregenden Menge von solchen «Executive Orders» Fakten geschaffen.
Executive Orders sind eigentlich das schwächste aller rechtlichen Instrumente; sie stehen unterhalb der Verfassung, unterhalb von Gesetzen und selbst unterhalb von Verordnungen, wie Kim Lane Scheppele, Professorin für Soziologie und Internationale Beziehungen an der Universität Princeton, in einem Blogbeitrag schreibt. Die meisten der Trumpschen Erlasse wären mithin durch höherrangiges Recht ausser Kraft gesetzt und damit wirkungslos – in normalen Zeiten.
Doch die Zeiten sind nicht normal. Die Trump-Regierung ignoriert Anordnungen von Richtern, die solche Dekrete stoppen sollen, einfach mit Verweis auf die nationale Sicherheit oder mit anderen Vorwänden. Im Fall der Deportation von mutmasslichen venezolanischen Gang-Mitgliedern griff die Regierung auf ein Gesetz aus dem Jahr 1789 zurück, das bisher nur in Kriegszeiten angewendet wurde und die Ausweisung von Personen ohne US-Staatsbürgerschaft ohne reguläres Gerichtsverfahren erlaubt. Das Urteil eines Bundesrichters, der die Deportation aussetzte, wurde mit dem Argument ignoriert, dass die Flugzeuge sich bereits ausserhalb des US-Luftraums befänden.
Es gibt weitere Hinweise darauf, dass die neue US-Regierung richterliche Beschlüsse schlicht nicht umsetzt, wenn diese ihren Absichten zuwiderlaufen. So hob etwa das «Office of Management and Budget» nach einem Gerichtsbeschluss zwar eine Verfügung auf, die bestimmte Zahlungen auf Bundesebene gestoppt hatte, doch die Gelder flossen trotzdem nicht mehr. Aus dem Staatsdienst entlassenen Personen, die ihre Entlassung vor Gericht erfolgreich anfochten, wurde die Rückkehr an die Arbeit trotzdem verwehrt.
Zugleich attackiert Präsident Trump Richter, die ihm nicht genehme Entscheidungen fällen, in beispiellosen Wortmeldungen. So postete er am 18. März auf seinem Social-Media-Portal «Truth Social»:
Und tags darauf doppelte er nach:
Trump wirft dem Bezirksrichter vor, er wolle «die Rolle des Präsidenten übernehmen». Damit ist ein fundamentales rechtsstaatliches Prinzip angesprochen, das in den USA tatsächlich zunehmend ausgehebelt wird – allerdings von der Trump-Regierung selbst: die Gewaltenteilung. Was bedeutet dieses Prinzip und warum ist es so wichtig?
Der Begriff der Gewaltenteilung taucht im Zeitalter der Aufklärung in den Schriften des englischen Philosophen John Locke und des französischen Barons Montesquieu auf. Besonders wirkmächtig war Montesquieus 1748 erschienenes Werk «De l’esprit des lois» («Vom Geist der Gesetze»), in dem er die klassische Dreiteilung der staatlichen Gewalt in Legislative (gesetzgebende Gewalt), Judikative (richterliche Gewalt) und Exekutive (vollziehende Gewalt) skizzierte. In der amerikanischen Verfassung von 1787 fand das Prinzip – als «Checks and Balances» bezeichnet – erstmals konkreten Einsatz.
In der Schweiz wurde die Gewaltenteilung mit der Bundesverfassung von 1848 festgeschrieben. Auf Bundesebene besteht die Legislative aus dem Parlament (Bundesversammlung aus National- und Ständerat), die Judikative aus dem Bundesgericht und die Exekutive aus dem Bundesrat. Die Amtsträger dürfen dabei jeweils nicht einem Organ der anderen beiden Gewalten angehören; ein Parlamentarier kann also nicht zugleich Richter sein oder Bundesrat.
Die Gewaltenteilung ist ein elementares Prinzip der modernen Demokratie. Sie soll durch die gegenseitige Kontrolle von Verfassungsorganen ein Gleichgewicht der Macht zwischen ihnen herstellen und damit Freiheit und Gleichheit sichern. Wenn Gewaltenteilung nicht besteht oder nur der Form nach, ist dies ein Indiz für einen undemokratischen Staat. In aller Regel sind die Verfassungsorgane der Judikative und Legislative dann zwar vorhanden, aber gegenüber der Exekutive machtlos. Ein Beispiel dafür ist die Oberste Volksversammlung in Nordkorea. Das Parlament ist laut Verfassung formell das höchste staatliche Organ, in Wahrheit aber machtlos. Auch das Oberste Gericht Nordkoreas kann nicht unabhängige Entscheidungen fällen.
In den USA ist die Gewaltenteilung, das System von Checks and Balances, unter Druck. Der exzessive Einsatz von Executive Orders zeigt, wohin die Reise geht: Die neue Regierung unter dem Republikaner Trump versucht derzeit, eine alternative verfassungsrechtliche Realität zu etablieren, in der die Exekutive weitgehend der Kontrolle durch Kongress (das US-Parlament) und Gerichte entzogen ist. Grundlage dafür ist die Theorie, wonach der Präsident der einzige verfassungsrechtlich ermächtigte Akteur der Exekutive sei. Diese sogenannte Unitary Executive Theory beruft sich auf die Tatsache, dass die 1787 verabschiedete US-Verfassung in Artikel II über die Exekutivgewalt einzig den Präsidenten erwähnt.
Die Anhänger dieser Theorie argumentieren, der Präsident habe deshalb das Recht, das Personal aller Exekutivbehörden nach Belieben einzustellen oder zu entlassen. Sämtliche Mitarbeiter dieser Behörden hätten überdies seinen Anordnungen zu folgen. Allerdings hat der Kongress seit 1787 viele Verwaltungsbehörden geschaffen, die in unterschiedlichem Grad vom Präsidenten unabhängig sind. Der Kongress hat zudem festgelegt, dass der Präsident deren Personal nur aus triftigen Gründen entlassen kann. Die Befürworter der Unitary Executive Theory wollen diese Beschränkungen der präsidialen Macht als verfassungswidrig abschaffen.
Sollte der Oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, ihnen Recht geben, könnten diese Einschränkungen der Exekutivgewalt des Präsidenten tatsächlich aus dem Weg geräumt werden. Die Executive Orders hätten dann verfassungsrechtlich in der Tat die Macht, Gesetze ausser Kraft zu setzen, befürchtet Scheppele. Die USA würden sich dann von einer Präsidialdemokratie mit einer starken Stellung des Präsidenten zu etwas wandeln, das «viel näher an einer Autokratie ist», wie Scheppele feststellt.
Der Supreme Court, von dessen neun Mitgliedern drei von Donald Trump während seiner ersten Amtszeit ernannt wurden und der eine konservative Mehrheit aufweist, hat in der Vergangenheit bereits zugunsten von Trump entschieden. So entschied er im vergangenen Sommer, dass Strafgesetze den Präsidenten nicht verfassungsrechtlich einschränken könnten, sofern er in offizieller Funktion handelte. Dies verlieh Trump weitgehende Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung.
Immerhin hat aber der Vorsitzende des Supreme Courts, John Roberts, den Präsidenten wegen dessen Angriff auf den Bezirksrichter, der die Abschiebung der Venezolaner stoppen wollte, zurechtgewiesen. In einer seltenen Stellungnahme stellte Roberts fest, es sei «keine angemessene Reaktion», ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Juristen zu verlangen, wenn man mit dessen Entscheidung nicht einverstanden sei. «Seit mehr als zwei Jahrhunderten steht fest, dass ein Amtsenthebungsverfahren keine angemessene Reaktion auf Meinungsverschiedenheiten über eine richterliche Entscheidung ist», sagte Roberts. Und im Februar untersagte der Oberste Gerichtshof dem Präsidenten die sofortige Entlassung des Leiters einer Bundesaufsichtsbehörde.
Die nächste Zeit wird wohl entscheiden, welchen Weg die amerikanische Demokratie nehmen wird. Die Anzeichen mehren sich, dass die im berüchtigten «Project 2025» umrissenen Pläne nun umgesetzt werden. Das von konservativen Kreisen vorangetriebene Vorhaben sieht einen Umbau der US-Bundesregierung und generell eine konservative Revolution vor. Sollte dies gelingen, werden die USA nicht mehr dasselbe Land sein.
Und ich bin mir fast sicher, dass sie die Wahlauszähungen zumindest mal in republikanischen Staaten dahingehend "optimieren' wollen, dass sie nicht mehr besiegt werden können.