Als Barack Obama 2008 zum ersten afroamerikanischen Präsidenten gewählt wurde, war die Rede vom «Palmer-Effekt». Gemeint war damit David Palmer, der demokratische Präsident aus der Terror-Bekämpfungs-Serie «24», die zwei Monate nach 9/11 gestartet war. Palmer solle, so vermuteten viele, den Weg für Barack Obama geebnet haben, weil sich das grosse TV-Publikum dank ihm an einen schwarzen Präsidenten gewöhnen konnte. Und der Schauspieler Dennis Haysbert, der als Palmer berühmt geworden war, galt im Sommer 2008 für die amerikanische Bevölkerung als fiktionaler Präsidentschafts-Wunschkandidat Nummer eins. Noch vor Martin Sheen in der Serie «The West Wing» und Harrison Ford im Film «Air Force One».
Denn das kann Fiktion: Menschen mit neuen Ideen vertraut machen, aussergewöhnliche Perspektiven auf Altbekanntes einnehmen, historisches Trockenfutter zu intelligenter Unterhaltung verarbeiten oder auch einfach mal was Kühnes erfinden. Hier sind 17 Beispiele (sie sind nur ein Anfang, bitte schreibt weitere in die Kommentare), die euch Amerika im Wahlkampf, das Weisse Haus und amerikanische Geschichte näherbringen.
Vier Golden Globes und fünf Emmys gab's für die exzellente HBO-Miniserie über den Vizepräsidenten von George Washington und zweiten Präsidenten der USA. John Adams (1797–1801) gehörte zu den sogenannten «Gründervätern» – sie führten die USA in die Unabhängigkeit von Grossbritannien und schufen die amerikanische Verfassung. Ein Blick in ein frühes, dreckiges, dunkles Amerika.
Steven Spielberg himself nahm sich des 16. Präsidenten Abraham Lincoln an. Und Daniel Day-Lewis gewann als Lincoln seinen dritten Oscar. Lincoln war der erste republikanische Präsident der USA und sein Bestreben, die Sklaverei abzuschaffen (er war damit erfolgreich), führte zum Sezessionskrieg. Am 15. April 1865 wurde er in einem Theater erschossen. Spielberg beleuchtet die Zeit zwischen dem Ende des Sezessionskriegs und seinem Tod.
Eigentlich ist diese aktuelle HBO-Serie (sie geht in die dritte Staffel) mit Christine Baranski, Carrie Coon und Cynthia Nixon ja die New Yorker Version von «Downton Abbey». Doch im Vergleich zum eher mikroskopischen Landhaus-Kosmos des britischen Vorgängers hebt sie sehr schnell ab von häuslichen Dramen und vorteilhaften Eheschliessungsplänen und zeichnet ein sehr detailliertes Bild von New Yorks Gründerjahren Ende des 19. Jahrhunderts: Von der Industrialisierung und ihren Problemen, von Firmengründungen und Eisenbahnbauten, vom Rassismus und von den Familien, die viele Jahrzehnte lang (einige bis heute) die amerikanische Politik bestimmten. Da wird so einiges klarer über alteingesessene Strukturen und Geldflüsse.
Gibt man in der Filmdatenbank IMDb.com den Suchbegriff «JFK» ein, so ist die Resultateschlange endlos, allein Oliver Stone hat sich dem ermordeten Lieblingspräsidenten mehrfach gewidmet. «Jackie» von Pablo Larraín erzählt äusserst exakt und ziemlich gespenstisch die Geschichte der Witwe, vom Moment der Ermordung ihres Gatten in Dallas am 22. November 1963 über den Heimflug im legendären blutbespritzten Kostüm bis zu ihrer hingebungsvollen Arbeit am Mythos JFK. Natalie Portman als Jackie Kennedy ist ein Wunder.
Ein sensationelles All-Stars-Ensemble mit Harry Belafonte, Laurence Fishburne, Sharon Stone, Demi Moore, Anthony Hopkins, Helen Hunt, Ashton Kutcher, Heather Graham, Lindsay Lohan, William H. Macy, Martin Sheen und so weiter stellt den letzten Tag im Leben von JFK's Bruder Senator Robert F. Kennedy nach. Er will sich zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten aufstellen lassen, doch in der Nacht auf den 5. Juni 1968 wird er nach einer Vorwahl-Feier im Ambassador-Hotel in Los Angeles angeschossen und stirbt am 6. Juni. Der Film erzählt kaleidoskopisch die Schicksale von Menschen, die während des Attentats im Hotel hätten zugegen sein können. Nicht immer perfekt geschrieben (Regie und Drehbuch Emilio Estevez), aber immer hervorragend gespielt.
Wenn Journalisten eine berufliche Sinnkrise haben, schauen sie sich Robert Redford und Dustin Hoffman als Bob Woodward und Carl Bernstein an – ein Film wie ein Kraftort. Die beiden Reporter der «Washington Post» trugen durch ihre Enthüllungen wesentlich zur Aufklärung der sogenannten Watergate-Affäre und in der Folge zum Sturz von Präsident Nixon bei, dessen Regierung Missbräuche von Vollmachten nachgewiesen werden konnten. Für den Film von Alan J. Pakula gab es vier Oscars, leider nicht für die beiden Hauptdarsteller.
Und gleich noch einmal Nixon, jetzt als kaugummibunte und bei uns kaum bekannte Komödie von Andrew Fleming: Michelle Williams und Kirsten Dunst, die 1999 selbst noch Teenager sind, spielen zwei für Richard Nixon entflammte Schulmädchen: Aus Enttäuschung über die Lügen ihres Präsidenten werden sie zu den unter dem Decknamen Deep Throat bekannten Informantinnen im Watergate-Skandal. Saulustig, komplett bekifft und ziemlich smart.
In den 90er-Jahren findet sowas wie die Tomcruiseifizierung des amerikanischen Präsidenten statt: Er muss jetzt ums Verrecken auch als Actionheld bestehen können. Bill Pullman spielt in Roland Emmerichs SciFi-Actionfilm «Independence Day» einen demokratischen Präsidenten, der im Golfkrieg als Kampfpilot im Einsatz gewesen ist. Seine Beliebtheitswerte sind mager, aber jetzt hat er die Gelegenheit, amerikanische Truppen im Kampf gegen Aliens anzuführen. Es geht dabei um keinerlei politische Fisimatenten oder Debatten, es geht ums reine Überleben. In «Independence Day: Resurgence» (2016) wird Pullmans Präsident dann einen Heldentod sterben.
Wie schon Roland Emmerich ist auch Wolfgang Petersen ein deutscher Regisseur, der aus einem amerikanischen Präsidenten einen wahren Helden macht. Harrison Ford kann zeigen, was er in «Star Wars», «Blade Runner» und als «Indiana Jones» gelernt hat: Feindesbeseitigung mittels Kampfkunst! Der Feind ist klassisch russisch und hat nach missglückten Verhandlungen in Moskau das präsidiale Flugzeug, die Air Force One, samt Präsident und Familie entführt. Doch der Präsident (Ford) ist ein harter Republikaner und Vietnamveteran und kennt keine Gnade.
Drehbuchautor und Dramatiker David Mamet liebte es schon in den 90er-Jahren, Männer, die mit viel jüngeren Frauen (Studentinnen, Schülerinnen) Sex gehabt hatten, literarisch zu rehabilitieren. Oder eine sogenannt «schwarze Komödie» daraus zu machen. In «Wag the Dog» (Regie Barry Levinson) wird dem Präsidenten (Robert De Niro) vorgeworfen, eine Minderjährige sexuell belästigt zu haben. Um davon abzulenken, inszeniert er einen Krieg. Zuerst einen fiktiven, dann einen realen. Der Film kam wenige Monate vor der Clinton-Lewinsky-Affäre in die Kinos und wurde im Nachhinein als prophetisch bezeichnet.
Auch hier wird die Sexsucht eines Präsidenten beziehungsweise Präsidentschaftskandidaten in den Mittelpunkt gestellt. Gemeint ist damit Bill Clinton, denn der Film von Mike Nichols basiert auf einem Buch über Clintons Wahlkampf. Clinton heisst hier Stanton (John Travolta), schwängert eine Minderjährige und setzt alles daran, dies zu vertuschen. Der Film galt damals als Lektion in politischer Bildung.
Der Klassiker schlechthin unter den White-House-Serien, erfunden von Aaron Sorkin, dem Mann, dessen Figuren immer lebensnahe, hochintelligente, witzige Dauerschwaflerinnen und -schwafler sind. So wie bei Sorkin möchte man immer gerne reden können. Sein «Westflügel» ist jener Flügel des Weissen Hauses, in dem sich der Arbeitsalltag des demokratischen Präsidenten Josiah Bartlett (Martin Sheen) und seines Stabs abspielt, das Zentrum der Macht. Doch im Gegensatz zu seinem späteren, darken Gegenstück «House of Cards» zeichnet Sorkin ein ziemlich sympathisches, dauerengagiertes Team, in dem die Komik die Tragödien definitiv in den Schatten stellt. Ein bisschen wie die watson-Redaktion also (inklusive After-Work-Apéros).
Eine perfekte Begleitung für den derzeitigen Wahnsinn, der sich Wahlkampf nennt: Bevor Beau Willimon «House of Cards» erfand, schrieb er gemeinsam mit George Clooney und dessen BFF Grant Heslov das Drehbuch zu «The Ides of March». Entsprechend diabolisch ist es geworden. Clooney spielt den Bösewicht, nämlich einen ultracharismatischen demokratischen Präsidentschaftskandidaten, der seinen Kampagnen-Helferinnen und -Helfern derart zusetzt und sich derart übergriffig verhält, dass ein Suizid die Folge ist. Mit zum Ensemble gehören Ryan Gosling, Evan Rachel Wood, Paul Giamatti, Marisa Tomei und Philip Seymour Hoffman.
Diese deftige White-House-Satire wurde vom italienisch-stämmigen britischen Komiker Armando Iannucci geschrieben und produziert, der zuvor schon die britische Politsatire «The Thick of It» erfunden hatte. Julia Louis-Dreyfus spielt die brandneue und diplomatisch nicht sonderlich gesegnete Vizepräsidentin, die im Laufe der Staffeln vorübergehend zur Präsidentin aufsteigt. Louis-Dreyfus gewann damit sechs Emmys in Folge für die gleiche Rolle, das hat ausser ihr niemand geschafft.
Bös, böser, Underwood. «House of Cards» von Beau Willimon war der erste Megahit von Netflix. Francis (Kevin Spacey) und Claire (Robin Wright) Underwood, ein Paar aus Eis und Eisen, eroberte sich das Oval Office mit durchtriebenen, zynischen und komplett menschenfeindlichen Strategien. Mord stand im Hause Underwood regelmässig auf der Agenda. Erst wurde er Präsident, dann wurde sie Präsidentin. Formal gibt sich die Serie gerne etwas manieriert, aber natürlich schaut man der Abgründigkeit der beiden gerne zu. Ebenfalls sehenswert: Lars Mikkelsen als Putin-Klon. Kevin Spacey durfte nach (inzwischen entkräfteten) Beschuldigungen wegen sexueller Belästigung nicht mehr an der letzten Staffel teilnehmen.
Ohne Adam McKay wäre die Welt der gut gemachten filmischen Unterhaltung ärmer. Er ist der Regisseur und Drehbuchautor von «Don't Look Up» und «The Big Short», er ist einer der Produzenten der Medienmogul-Serie «Succession» und er hat mit leichter Hand und leichtem Auge die Karriere von Dick Cheney, dem Verteidigungsminister unter George Bush und Vizepräsidenten unter George W. Bush verfilmt. Gelegentlich ist «Vice» etwas zu sentimental, etwa wenn es um das Schicksal des Spenderherzens geht, das Cheney 2012 eingesetzt wird. Der Film wurde für acht Oscars nominiert, gewann am Ende aber bloss einen für Haar und Make-up. Christian Bale, der als Cheney tapfer einen Fatsuit getragen hatte, ging in der Kategorie Bester Schauspieler leer aus gegen Rami Malek als Freddie Mercury in «Bohemian Rhapsody».
Das Biopic von Ali Abbasi über die jungen Jahre eines Narzissten namens Donald Trump (mit dem Titel von Trumps eigener Reality-Show) und dessen Aufstieg soll nach seinem Festivalauftritt in Cannes bei uns im Oktober starten. Glaubt man den Kritiken aus Cannes, soll er sehr, sehr schlecht sein. Geradezu miserabel. Laufen dürfte er trotzdem gut, schon nur, um während des laufenden Wahlkampfs etwas komische Erleichterung zu spüren.