Ist Joe Biden ein grosser US-Präsident? Viele Amerikanerinnen und Amerikaner würden die Frage mit Nein beantworten. Seine Beliebtheitswerte liegen bei unter 40 Prozent. Doch zwischen dieser subjektiven Perspektive und der objektiven Faktenlage klafft eine Lücke. In seinen erst dreieinhalb Amtsjahren hat Biden überraschend viel umgesetzt.
Nun hat der 81-Jährige seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur erklärt. Nicht alles ist gelungen, doch unter dem Strich ist seine Bilanz positiv. Ein Überblick:
Joe Bidens wichtigste Leistung betrifft nicht seine Arbeit als Präsident. Sondern die Tatsache, dass er die Nation und die Welt 2020 von Donald Trump erlöst hatte. Als netter, politisch moderater Mann mit einem guten Draht zum «einfachen Volk» war er dafür der bestmögliche Kandidat. Vor ihm hatte niemand Angst, darum konnte er Trump schlagen.
Barack Obamas ehemaliger Topberater David Axelrod war in letzter Zeit einer der schärfsten Biden-Kritiker. Jetzt betonte er gegenüber der Agentur AP, die Geschichte werde ihn positiver beurteilen als die Wählerschaft, weil er «einen Präsidenten besiegt hat, der sich über unsere Demokratie stellte». Allein das sei «eine historische Errungenschaft».
Trumps Niederlage war auch eine Folge seines chaotischen Pandemie-Managements. Die USA gehörten zu den Ländern mit der weltweit höchsten Sterberate. Eine von Bidens ersten Amtshandlungen war die Lancierung eines ambitionierten Impfprogramms. Auf seinem Höhepunkt wurden täglich zwei Millionen Menschen gegen Covid-19 geimpft.
Gleichzeitig brachte er ein gigantisches Hilfspaket von fast zwei Billionen Dollar durch den Kongress. Dank des sogenannten Reconciliation-Verfahrens konnte er die Sperrminorität der Republikaner im Senat umgehen. Das Stimulus-Programm trug dazu bei, die Ungleichheit in den USA zu reduzieren und Zwangsräumungen zu verhindern.
Der Geldsegen der Regierung war nach Ansicht von Ökonomen mitverantwortlich für die hohe Teuerung. In erster Linie aber ist sie eine Folge des Nachfragestaus während und des Nachholeffekts nach der Pandemie. Sie haben weltweit zu einem Inflationsschub geführt. Die gestiegenen Preise sind der Hauptgrund für Bidens geringe Popularität.
Dabei geht es der US-Wirtschaft objektiv betrachtet prächtig. Sie glänzt gerade im Vergleich mit Europa durch hohe Wachstumsraten und eine tiefe Arbeitslosigkeit. Noch immer werden monatlich Zehntausende neuer Jobs geschaffen. Doch im Autoland USA ist der Benzinpreis für viele das Mass aller wirtschaftlichen Dinge, weshalb sie die Lage als schlecht beurteilen.
Joe Biden gelang es, dem polarisierten Kongress einige gewichtige Investitionsprogramme abzuringen. Für die Reparatur der maroden US-Infrastruktur konnte er sogar genügend Republikaner gewinnen. Gleiches gelang ihm beim CHIPS and Science Act, der die Halbleiterproduktion in den USA ankurbeln und die Abhängigkeit von China reduzieren soll.
Beim etwas schönfärberisch Inflation Reduction Act genannten Programm musste er erneut die Reconciliation bemühen. Dieses «Sammelsurium» enthält unter anderem die ökologische Transformation der US-Wirtschaft und tiefere Medikamentenpreise. Im Kern geht es auch um jene Reindustrialisierung der USA, die Donald Trump stets nur angekündigt hatte.
Jahrelang waren die Bestrebungen der Demokraten für schärfere Waffengesetze am Widerstand der Republikaner gescheitert. Nach mehreren Amokläufen gelang vor zwei Jahren eine minimale Trendwende. Joe Biden unterzeichnete ein Gesetz, das unter anderem eine intensivere Überprüfung von Waffenkäufern unter 21 Jahren vorsieht.
Nach seinem Amtsantritt versprach Joe Biden eine humanere Migrationspolitik an der Grenze zu Mexiko. Während einiger Zeit nahmen die illegalen Grenzübertritte ab, doch dann stiegen sie dermassen an, dass Bidens Popularität darunter litt. Die «Lösung» des Problems übertrug er ausgerechnet an Vizepräsidentin und Wunschnachfolgerin Kamala Harris.
In diesem Frühjahr bot der Präsident dem Kongress eine deutliche Verschärfung der Einwanderungsgesetze an, in einem Paket mit der Ukraine-Militärhilfe. Doch Donald Trump grätschte dazwischen. Er möchte die Migrationskrise im Wahlkampf ausschlachten. Das Grundproblem, ein dysfunktionales Asylsystem, bekam weder er noch Biden in den Griff.
Nach dem Trump-Chaos hat Joe Biden das Verhältnis zu den Europäern «repariert» und die NATO gestärkt. Bei der Unterstützung der angegriffenen Ukraine agierte er entschlossener als Europa. Er beendete Trumps «Schmusekurs» mit Diktatoren und bildete neue Allianzen wie Aukus im asiatisch-pazifischen Raum als Gegengewicht zu Chinas Machtanspruch.
Der Gaza-Krieg hingegen bescherte Biden viel Kritik von Linken und Muslimen in den USA. Donald Trump behauptet, unter seiner Präsidentschaft wären die Kriege in der Ukraine und in Nahost nicht ausgebrochen. Er «übersieht» dabei, dass die Eskalation durch seit Jahren oder im Fall von Israel/Palästina seit Jahrzehnten ungelöste Konflikte provoziert wurde.
Der dunkelste Fleck auf Joe Bidens Weste aber ist der demütigende Abzug aus Afghanistan vor drei Jahren. Er erinnerte an das traumatische Ende des Vietnamkriegs. Den Deal mit den Taliban zum Abzug der US-Truppen hatte Donald Trump vereinbart. Die desaströse Umsetzung und die Rückkehr der Islamisten an die Macht aber gehen auf Bidens Konto.
Insgesamt überwiegen die positiven Aspekte, auch wenn die billionenschweren Stimulus- und Investitionsprogramme die Staatsverschuldung der USA stark ansteigen liessen. Noch ist dies kein grosses Problem, auch weil der US-Dollar die weltweite Leitwährung ist. Auf lange Sicht aber ist die Schuldenwirtschaft nach Ansicht von Ökonomen nicht nachhaltig.
Joe Biden muss das nicht mehr kümmern. Seine «Tragik» ist, dass die Amerikaner seine Bilanz nicht am Gesamtbild messen, sondern an ihrem persönlichen Wohlergehen. Zuletzt hat sich auch das lange robuste Konsumklima eingetrübt. Letztlich hat David Axelrod recht: Die Geschichte dürfte Bidens Präsidentschaft rosiger beurteilen als die Zeitgenossen.
Ich finde es schlichtweg problematisch, wenn ohne weitere empirische Belege solch evidenzloser Quatsch aus der neoliberalen Propagandaabteilung weiterverbreitet wird. Die Teuerung lag in den USA unwesentlich höher als in Europa. Dafür schaut einmal auf das Wirtschaftswachstum. Die USA sind uns gerade davongaloppiert (13'000 USD BIP mehr pro Kopf!), während sich die Europäer mit Schuldenbremsen rumschlagen und ihrer Wirtschaft die richtigen Impulse verwehren!
Was mir fehlt ist das etwas fehlt, kein täglich/wöchentlicher aufreger dasder Präsident den Regenschirm nicht zu bekommt oder klopapier am Schuh hat...
Boden war und ist nicht perfekt, aber er hat mehr erreicht in Amerika als seine Vorgänger soweit ich mich erinnern kann...