Jeden Nachmittag sitze ich gebannt auf dem Sofa und schaue mit grossen Augen dem Piraten zu. Ich bin acht. Und Marco Pantani – il Pirata – liefert sich bei der Tour de France epische Schlachten gegen Seriensieger Lance Armstrong. Seither kenne ich die französischen Gipfel der Alpen und Pyrenäen. Seither bin ich Velofan.
Zum Glück hat mein Kindervelo bereits Hörndli. Diese kann ich nach unten drehen – für das Rennfeeling. Bremsen kann ich dafür nicht mehr. Aber mit dem von Mama genähten gelben Kopftuch durch die Strassen flitzen. Fast so schnell wie mein Vorbild Pantani. Und genau so schnell bin ich auch zu gross für mein kleines Velöli.
Der Nachfolger, nochmal ein Mountainbike, wird mir geklaut. Es sollte das letzte Mal bleiben, dass mir das passiert.
So komme ich endlich zu meinem ersten richtigen Rennvelo. Ein Cilo von Pythoud aus Bulle – Stahlrahmen.
Neongelb, pink und weiss – mit weissem Griffband. Schnell. Unglaublich schnell. Und mit der Schaltung am Rahmen. Zwar nicht so praktisch, dafür umso cooler. Bis es mir an einer Kreuzung das Schaltwerk auseinander reisst.
Das Schicksal will es, dass das «Tagi-Magi» genau in dieser Woche über New Yorker Velokuriere berichtet. Also eigentlich über ihre Velos. Starr seien diese. Und ohne Bremsen. Reduced to the max. Ich bin fasziniert. So eins brauche ich auch. Ich will genau so cool sein wie die Guys in Brooklyn. Also wird die kaputte Schaltung nicht ersetzt, das überflüssige Kettenblatt und die Hinterbremse entfernt. Ich bin dem Hype verfallen.
Sofort lerne ich den Hype zu verstehen. Mensch – Maschine – Erde: Aus drei mach eins. Fixie fahren ist ein Traum. Die totale Kontrolle. So muss sich ein Tram in seinen Schienen fühlen. Immer auf der richtigen Spur. Jede Pedalumdrehung führt zum gleichen Ergebnis. Egal ob bergauf oder bergab – über Kieswege oder durch die Stadt. Mega unpraktisch? Manchmal. Legal? Nie. Stylisch? Immer.
Die Liebe zu diesem ersten echten Rennvelo hält lange. Ganze zehn Jahre. Eine monogame Beziehung bleibt es aber nicht.
Die Suche nach einem neuen Gschpusi gestaltet sich komplizierter als erhofft – wie im echten Leben halt. Hübsch soll es sein. Trotzdem zäh. Elegant, aber robust.
Es ist dann Liebe auf den ersten Blick, als ich den weissen Pinarello Rahmen erblicke. So filigran. So leicht. So sexy. Elegante italienische Komponenten komplettieren das Rennvelo. Scheinbar widerstandslos begleitet es mich seither auf den sportlichen Ausfahrten. Bella Vita!
In dieses komplizierter werdende Beziehungskonstrukt schleicht sich unverhofft noch ein Exote. Edel. Mattschwarz. Und unheimlich steif ist er, der chinesische Rahmen aus Carbon. Mit ihm drehe ich im Sommer Runden auf der Rennbahn. Ohne Schaltung. Ohne Bremsen. Auf rauem grauen Asphalt. Da ist es wieder. Dieses unbeschreibliche Gefühl.
Die Erfahrungen auf der Rennbahn lassen meinen Drang, mit Starrlauf durch die Zürcher Strassen zu fahren, erlöschen. Und meine erste Liebe – das farbige Fixie – wird ausgetauscht. Wie Lance Armstrong als Sieger der Tour de France. Mein neuer Stadtgöppel hat zwei Gänge, verpackt in einer Nabenschaltung. Und Rücktritt. Wegen der Ästhetik.