Es hört sich wie ein Traum für jeden Gamer und jede Gamerin an: Gegen eine monatliche Gebühr erhält man Zugriff auf hunderte, vielleicht sogar tausende topaktuelle Games. Auch die Anschaffung von teurer Hardware entfällt – dank Streaming kann man die grafisch anspruchsvollen Games sogar auf Smartphones spielen.
Die Videospiel-Industrie arbeitet mit Hochdruck an der Zukunft des Gamings. Geht es nach Microsoft oder Sony, werden wir Spiele in eine paar Jahren ausschliesslich streamen. Neu ist das nicht, denn bereits 2010 versuchte sich ein Start-Up namens OnLive mit Streaming für Games. Geklappt hat es damals nicht. 2015 musste OnLive aufgeben und verkaufte an Sony. Diese schlossen den Dienst, hatten aber einige wertvolle Patente erworben, die sie in ihren eigenen Dienst Playstation Now einfliessen liessen.
Auch Nvidia bietet mit GeForce Now einen ähnlichen Dienst an, allerdings läuft dieser nur auf der eigenen Set-Top-Box von Nvidia. Währenddessen kündigte Microsoft Mitte des letzten Jahres den Dienst «Project xCloud» an, welcher noch 2019 online gehen soll. Intern rede man beim Konzern bereits von einem Netflix für Games, will das Wirtschafts-Portal Business Insider erfahren haben.
Rund zwei Milliarden Menschen gamen laut Microsoft weltweit, der grösste Teil davon ausschliesslich auf Smartphones oder Tablets. Von diesem riesigen Kuchen möchte jeder etwas abhaben. Das führt dazu, dass auch Konzerne in das Game-Streaming investieren, die kaum mit Videospielen in Verbindung gebracht werden.
Bereits 2018 startete der Suchmaschinen-Gigant Google eine geschlossene Testphase für einen eigenen Game-Streaming-Dienst namens Project Stream. Der Service soll es ermöglichen Highend-Games über den Chrome-Browser zu spielen, selbst wenn der Computer für grafisch anspruchsvolle Games eigentlich zu langsam wäre.
Gerüchten zufolge soll auch Apple mit einem eigenen Streaming-Dienst in den Gaming-Markt einsteigen. Dabei werde Apple nicht nur die Plattform betreiben, sondern auch als Publisher auftreten. Was Apple damit bezwecken will, scheint klar: Entwickler mit lukrativen Deals an die eigene Plattform binden.
Selbst der amerikanische Telekommunikations-Riese Verizon befindet sich mit einer eigenen Streaming-Plattform für Games in einer Testphase. Zu Verizon gehören unter anderem Marken wie AOL, Yahoo, The Huffington Post und Tumblr.
Geht es nach den Konzernen, ist Game-Streaming der heilige Gral der Videospiel-Industrie. Überall und zu jeder Zeit gamen, selbst wenn das Endgerät technisch veraltet ist, lautet die Devise. Um diesen Traum zu verwirklichen, muss allerdings zuerst noch eine grosse, technische Hürde genommen werden. Denn im Gegensatz zu Film- oder Musikstreaming erfordert Game-Streaming eine schnelle Breitbandanbindung, die – und das ist besonders wichtig – jederzeit stabil läuft.
Während Netflix die Qualität des Videos der Stärke des Internetsignals anpassen kann, ist das bei Videospielen zwar auch möglich, aber nicht wirklich eine Option. Qualitätseinschränkungen in der Darstellung des neusten Highend-Games dürften kaum einen User erfreuen, genausowenig wie Verzögerungen oder gar ein Einfrieren des Spiels. Um ein Game in Full HD und mit 60 FPS zu streamen, empfiehlt Nvidia als Minimum 50 Mbit/s. Diese Geschwindigkeit kann im Moment auch in der Schweiz ausserhalb des Wohnzimmers kaum erreicht werden. Ethernet ist daher noch immer die beste Lösung, um ein Spiel in bestmöglicher Qualität zu streamen.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Distanzen, über welche ein Spiel gestreamt werden muss. Je näher das Datencenter, aus dem das Spiel abgerufen wird, desto besser. Hier dürften Konzerne mit eigenen Serverfarmen klar im Vorteil sein. Vor allem Microsoft hat als einer der grössten Cloud-Anbieter weltweite Standorte für seine Serverfarmen aufgebaut. So können Spiele für europäische Kunden auch gleich aus den naheliegenden, europäischen Rechenzentren gestreamt werden. Das können Konkurrenten ohne eigene Serverfarmen zwar auch, allerdings müssen sie sich bei Cloud-Anbietern einmieten, was sich negativ auf den Abopreis niederschlagen dürfte.
Auch wenn diese technischen Anforderungen in den nächsten Jahren mit dem Ausbau des 5G-Netzes etwas in den Hintergrund rücken dürften, bleibt ein grosses Aber: Das Besitzverhältnis der Games verschiebt sich zu Ungunsten der User. Schon jetzt sind viele Spiele nur noch als Download verfügbar und machen Gamer somit abhängig vom Anbieter. Stellt dieser dann den Support für das Spiel ein, kann dieses unter Umständen unbrauchbar werden.
Etablieren sich Streaming-Dienste, wird es wohl nicht lange dauern, bis Spiele auf physischen Datenträgern und selbst als Downloads ganz der Vergangenheit angehören. Kündigt man dann sein Abo oder der Streaming-Anbieter kickt das Spiel aus seiner Bibliothek, ist auch der Spielzugang weg.
Besonders fies wird es aber erst, wenn es um den eigenen Spielstand geht, denn auch hier dürfte sich alles in die Cloud verschieben. Das gesamte Konto, inklusive Spielfortschritten, wird online gespeichert. Zwar planen Microsoft und Co., ihre Dienste auch auf Konkurrenzplattformen anzubieten, will man aber trotzdem zu einem anderen Streaming-Dienst wechseln, dürfte das schwer werden.
Kündigt man sein Streaming-Abo, ist auch der Zugang zum Konto und zum Spielfortschritt weg. Auch wenn das Spiel bei einem anderen Anbieter zur Verfügung steht, dürfte es kaum möglich sein, den bisherigen Spielstand mitzunehmen – denn dafür müssten die Streaming-Anbieter untereinander zusammenarbeiten.
Dass es ein Streaming-Dienst allerdings tatsächlich ermöglicht, einen Spielstand zu exportieren, um ihn bei einem anderen Anbieter zu importieren, ist höchst unwahrscheinlich. So wird es sich sicher mancher User gut überlegen, ob er ein Abo wirklich kündigt, selbst wenn die Konkurrenz günstiger ist.
Bald auch wird die Anzahl an Exklusivtiteln rasant in die Höhe schnellen. Genau wie Netflix oder Sky Show werden Game-Anbieter immer mehr auf Originals setzen, um Spieler an die eigene Plattform zu binden. So werden sich Gamer in Zukunft, wenn sie nicht mehrere Abos gleichzeitig möchten, wohl oder übel für einen Dienst entscheiden müssen.
Exklusive Titel gab es zwar schon immer, allerdings musste man sich meist «nur» zwischen Playstation, Xbox, Nintendo oder dem PC entscheiden. Beim Game-Streaming buhlen allerdings schon jetzt mindestens sechs Anbieter mit ihren Streaming-Plattformen um die Vorherrschaft – Apple, Verizon und Amazon noch nicht einmal mitgerechnet.