Wieder mal bei meinem Lieblings-YouTube-Channel vorbeischauen, dachte ich mir: Italia Squisita, jene grossartige Sammlung an urigen Originalrezepten aus der vielfältigen Regionalküche Italiens, rührigen Ethnografien und Porträts von spannenden Köchen, sowohl von der alten Garde, als auch von den jungen Pionieren der Gastro-Branche.
Das Netz kennt Italia Squisita vor allem wegen ihrer Reaction Videos:
Das Prinzip ist einfach: Italienische Köche reagieren auf die beliebtesten YouTube-Videos italienischer Rezepte. Da kann es natürlich passieren, dass drei römische Köche in schallendes Gelächter ausbrechen, wenn sie Jamie Olivers Carbonara sichten. Oder dass es Antonio Sorrentino aus Napoli entfährt: «Ich bin perplex», angesichts von Paris Hiltons Lasagne-Massaker.
Das ist natürlich höchst unterhaltsames YouTube. Aber auch ein wenig eindimensional, wie Italia Squisita nun selbst erkannt hat. Ja, es wichtig, die Traditionen der regionalen Kochkultur Italiens zu wahren und sich authentische alte Rezepte von kultigen Urgesteinen zeigen zu lassen, doch es gibt ein verzerrtes Bild einer konservativen, isolationistischen Haltung der italienischen Küche, die sich gegen neue Einflüsse wehrt.
Dies ist nämlich mitnichten der Fall. In der internationalen Gastro-Szene gehört die Gilde junger italienischer Köche zu den kreativsten der Welt. Und was die urigen italienischen Rezepte betrifft: Längst stellt Italia Squisita der ricetta originale auch eine versione gourmet gegenüber, eine spannende Abwandlung des Originalrezepts durch einen Sternekoch. Jüngst auch im Kochbuch «Originale e gourmet».
Inzwischen wurde der Rahmen erheblich ausgeweitet und die Serie «Italiani a ...» («Italiener in ...») lanciert. Hier werden italienische Spitzenköche porträtiert, die ausserhalb Italiens tätig sind – allesamt in prestigeträchtigen Spitzenrestaurants –, und deren Sicht auf die berühmtesten Gerichte ihres jeweiligen Gastgeberlandes. Martino Ruggieri kocht in Paris Tournedos Rossini, etwa. Oder Paolo Casagrande, der in Barcelona arroz zubereitet. Und die neuste Staffel präsentiert gleich drei Episoden, welche die Zubereitung klassischer britischer Gerichte vorzeigen.
Und, Leute, es ist grossartig.
Da wäre etwa Marco Zampese, Küchenchef im altehrwürdigen Connaught Hotel-Restaurant in Mayfair, das drei Michelin-Sterne besitzt. Er zeigt uns das Beef Wellington:
Zampese erklärt, wie das Beef Wellington sehr, sehr eng mit dem französischen boeuf en croût verwandt ist: Nach der Schlacht bei Waterloo (1815) beschloss man auf der Insel, das festliche Gericht nach Arthur Wellesley, 1. Duke of Wellington zu benennen, dem General, der die Franzosen besiegt hatte. Aber Zampeses Zubereitung ... wow. Einfach nur wow. Dieser Aufwand und diese Präzision! Sehr spannend sind auch seine Mini-Version mit entbeinter Taube sowie die vegetarische Version mit gefülltem Lauchstängel.
Francesco Dibenedetto, Head Chef bei Claude Bosis Bibendum in Chelsea, zeigt uns das herzhafte steak and ale pie:
Ebenfalls ein Gericht mit spannender History, gelten englische Pies ja als eine der Urformen des Takeaway-Foods: Bergarbeiter und andere Werktätige, die über Mittag zwangsläufig am Arbeitsplatz weilen mussten, nahmen hausgekochte Pies als Lunchpaket mit zur Arbeit. Dibenedettos Arbeitsort ist notabene das ikonische Michelin House in West-London, der Ort, der anno 1911 eigens dazu gebaut wurde, um die gastronomische Affiliation des französischen Reifenherstellers zu promoten.
Zum Schluss präsentiert uns Chefkoch Francesco Mazzei aus Kalabrien einen währschaften English Sunday roast mit allem Drum und Dran:
Ristorante Fiume im Londoner Stadtteil Battersea ist, wie der Name vermuten lässt, ein italienisches Restaurant. Doch am Sonntag steht ab und an ein durch und durch englischer Sunday Roast auf der Karte. Und es ist eine Wucht. Die Liebe und Freude, mit der Mazzei den Rindsbraten, das Gemüse und die Yorkshire Puddings zubereitet, haben geradezu meditative Qualitäten.
Ich behaupte seit eh und je, dass es nichts Schöneres gibt, als Italienern dabei zuzuhören, wie sie über Essen reden. Und wenn Italiener über britische Gerichte sinnieren, sage ich nur: Einige mögen Meditationskurse und ihre Yoga-Retreats buchen. Ich ziehe mir derweil ein paar Italia-Squisita-Videos rein – und erreiche so Nirvana.