Staub. Stäube. Es gibt einen Plural für Staub! Aber nur, wenn es sich um verschiedene Staubsorten handelt. Sonst heisst es einfach nur Staub. Weil Staub.
Lasst uns noch ein bisschen tiefer ins Thema Hausstaub eintauchen: Die Österreicher sagen diesen Unratshäufchen liebevoll Wuzerl. Obwohl sie aus Kleider-, Tuch-, Polster- und Teppich-Fusseln, Haaren und Hautschuppen bestehen.
Ist das nicht schön? Unsere abgestorbene Haut liegt also auf unseren Böden rum. Und die Staubmilben mampfen sie. Und wenn man denkt, es könne nicht mehr widerwärtiger werden, liest man bei Wikipedia den Satz:
Pfui Teufel, Staubmilbe. Und danach kackst du das Ganze wieder raus und machst damit den Allergikern das Leben schwer. Du grässlichstes Geschöpf aller Zeiten. Niemand braucht dich.
Diesen Staub und den ganzen anderen Dreck muss ich nun wegputzen. Philosophisch betrachtet, fege ich mein ausgeschissenes Ich hinweg. Meine alte Haut. Die ganzen übrig gebliebenen Krümel gegessenen Essens und gelebten Lebens. Und irgendwann zerfalle ich dann gänzlich zu Staub.
Danke, Staub, dass du mich an meine eigene Endlichkeit erinnerst.
Das Abflussrohr im WC-Brünneli. Seit Tagen läuft es nicht richtig ab. Ich muss es entstopfen. Ich schraube den Siphon auf. Das, was da rauskommt, sieht sehr nach toter Ratte aus.
Ich renne aus dem Badezimmer.
Nach zwei Minuten schau ich vorsichtig hinter der Tür hervor. Sie liegt noch immer da.
Natürlich tut sie das, du Trottel.
Ich schleiche mich an sie ran.
Sie stinkt zum Himmel.
Doch keine Ratte. Es sind meine langen, toten Haare. Ganz grau sind sie geworden.
Cogito ergo purgo. Ich denke, also putz' ich. Man könnte meinen, beim Putzen seien die Gedanken frei. Aber das ist nicht wahr. Sie sind im Gefängnis. Sie drehen sich im Kreis, im Reinigungskreis. Und der ist winzig. Schon Rilke wusste das:
Vielleicht wusste Rilke so gut Bescheid, weil sein zweiter Name Maria war. Seine Mutter verlor nämlich vor seiner Geburt ihre kleine Tochter. Nur eine Woche alt war sie geworden. Und da musste Rainer (frz. René für «der Wiedergeborene») diese Leere füllen. Mitsamt Röcklein und langen Haaren.
Danach wurde er sofort ins Militär gezwungen. Militärischer Drill, reine Männergesellschaft, das sollte wieder einen Mann aus ihm machen. Nur zerbrach daran die feine Seele des dichterischen Jungen.
Es fängt an zu stürmen. Und der Regen peitscht direkt an die vielen, frisch geputzten Wintergarten-Scheiben.
Ob die Frauen in der Steinzeit auch schon ihre Höhlen geputzt haben? «Ich jagen, du Höhle putzen!», befahl er und kam mit einem erlegten Bären zurück, dessen Blut auf den frisch gewischten Boden tröpfelte. Schon wieder, dachte sie. Er wird es niemals lernen.
So in etwa wird das wohl gewesen sein. Aber eben ohne Meister Proper. Als moderne Frau hab ich da schon die besseren Karten. Allerdings gab es in der Steinzeit sicher keine Höhlenvermieter, die mit einem Reinlichkeits-Protokoll antanzten und mit kritischem Finger über die Türrahmen strichen.
Türen gab es sowieso auch nicht.
In welchem Alter beginnt eigentlich diese Geschlechts-Separierung? Mädchen kommen ja nicht mit einem Putzlappen auf die Welt. Und Jungs nicht mit einem Werkzeugkasten. Aber solange dir Spielzeuge sagen, dass du als Bub rätseln und kleben musst und als Mädchen verspielt und süss zu sein hast, erübrigt sich die Frage.
Ausser du wohnst mit deinen Kindern im Wald. Als Eremitenfamilie. Fern ab von Geschlechterstereotypen.
Wenn wir an den Anfang der Menschheitsgeschichte zurückgehen, hat sich die Aufgabenteilung der Geschlechter ja notgedrungen so ergeben: Die Frau gebärt. Auf magische Weise ist sie mit der Natur verbunden. Der Mann hingegen ist von Anfang an frei. Frei, die Welt zu erobern.
Erst mit kleinen Werkzeugen. Dann mit dem Pflug. Er befruchtet die Ackerfurchen, die Mutter Erde, die Frau. Er erfindet und entdeckt. Er wird Mensch, Homme, Mann. Und die Frau verharrt dank ihres Bündnisses mit der Natur in Passivität.
Ausgenommen vom Pressen natürlich.
Nun leben wir aber im 21. Jahrhundert. Gebären tun immer noch die Frauen. Aber nicht mehr so viel wie früher. Kinder sind von der Altersvorsorge zum Luxusgut geworden. Es gibt Hausmänner und Frauen, die das Geld nach Hause bringen. Doch die Wickeltische auf den meisten Männerklos fehlen weiterhin.
Alles braucht seine Zeit. Die Gesellschaft ist träge und hinkt dem Denken immer einen Schritt hinterher.
Inzwischen ist es dunkel geworden. Ich arbeite mit der Baulampe weiter. Sie ist sehr hell, aber auch sehr heiss. Darum sitz' ich jetzt halbnackt in der Küche. Meine Füsse sind schrumpelig und aufgequollen, das Schmutzwasser hat sich unter den ohnehin schon pflegebedürftigen Nägeln festgesetzt. Sprich, so hab ich beim besten Willen leider nicht ausgesehen:
Dafür hab ich nicht einfach ins Leere hineingeputzt.
Der erotische Touch hat das Putzen wohl allein solchen Cleaning Girls zu verdanken.
Wie viele Tonnen Samen wohl darob verschwendet wurden?
Und wer wohl diese ganzen Schmierereien weggeputzt hat?
Mein Vater ruft an. Ich erzähle ihm von meinem Martyrium. Er zeigt Mitleid. Denn seit er pensioniert ist und meine Mutter noch arbeitet, ist er zum Hausmann geworden:
Niemand mag putzen. Putzen ist Bestrafung. Das sieht man schon an der Sprache: jemandem die Fresse polieren, jemanden verkloppen (das kommt vom Teppichklopfer), jemandem eine Abreibung verpassen. Keine schönen Sachen.
In unserer Büro-Putz-Equipe ist ein Mann. Putzen ist nicht mehr nur Sache der Frauen. Sie hat vielmehr mit dem gesellschaftlichen Status zu tun. Schmutz hatte noch nie etwas Ehrenvolles. Darum sind Menschen, die sich professionell um den menschengemachten Dreck kümmern, meistens unten in der Gesellschaft angesiedelt, sagt die Putz-Philosophin Nicole Karafyllis.
Putzfrauen und Müllmänner. Oder eben Raumpfleger/innen und Fachkräfte für Kreislauf- und Abfallwirtschaft. Wenn politisch korrekte Ausdrücke doch nur etwas mehr Anmut hätten.
Es ist halb drei Uhr nachts. 17 Stunden sind vergangen. Ich bin halbtot. Und ob ich eine Frau oder ein Mann bin, ist mir unendlich gleichgültig. Ich spür' nichts mehr.