Der Albtraum begann im Frühling 2015. Martin (30, alle Namen geändert) wurde in der Wohnung seiner Mutter von der Polizei verhaftet, in Handschellen gelegt und abgeführt. Weshalb, erfuhr er erst später, als er in Untersuchungshaft sass. Seine Mutter blieb unwissend zurück. «Am Anfang dachte ich, das sei ein Witz», sagt Martin heute. Er war überzeugt, dass sich dieses Missverständnis schnell aufklären würde. Doch dem war nicht so. Insgesamt drei Monate sass der Bodybuilder in Untersuchungshaft.
Der Grund: Martins Ex-Freundin Amira (24). Sie rief nach einem Streit in einer Mai-Nacht 2015 die Polizei, zeigte Martin an. Er habe ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Zudem habe ihr Ex sie gewürgt, sie mit dem Tod bedroht und vergewaltigt. Die Polizei glaubte der 24-Jährigen, die weinend und mit Würgemalen am Hals auf dem Polizeiposten sass. Martin musste in U-Haft ausharren. Vorerst fünf Wochen lang.
«Mich hat das Ganze psychisch fertiggemacht», sagt Martin heute mit Tränen in den Augen. «Ich bin seither ein anderer Mensch.» Dem 30-jährigen Bodybuilder aus der Region fällt es auch heute noch sichtlich schwer, über das Erlebte zu sprechen. Zu erkennen geben will er sich nicht, zu gross ist die Angst, dass es seinem Ruf schadet.
Drei Jahre sind vergangen, seit Martin in Untersuchungshaft sass. Unschuldig. Weil seine Ex-Freundin nicht damit klar kam, dass Martin nichts mehr von ihr wollte. «Ich habe Rache gesucht», gab die 24-jährige Amira später zu («Schweiz am Wochenende» vom 31.3.). Sie sei blind gewesen vor Liebe. Wenn sie Martin nicht haben könne, dann solle ihn niemand kriegen. Ihre Aussagen bei der Polizei: Erstunken und erlogen. Selbst die Verletzungen am Hals hat sie sich selber zugefügt.
Kennen gelernt hatten sich Martin und Amira via Facebook – sie schrieb ihn an. Erzählte ihm, was sie schon Schlimmes erlebte. Nebst der Optik – schwarze Haare, Schlauchboot-Lippen, grosse Brüste, zierliche Figur – sprach Martin auch auf die Leidensgeschichte der jungen Frau aus dem Nahen Osten an. «Ich bin jemand, der Menschen helfen will», sagt er heute. Sie habe ihm leidgetan. In seinen Augen war Amira aber nie seine Freundin, sondern eine Affäre. Das sah Amira anders: Sie gab an, dass der Bodybuilder und sie ungefähr zwei Monate ein Liebespaar gewesen seien und danach noch eine Sexbeziehung unterhielten.
Zum Streit kam es, als die beiden bereits kein Paar mehr waren. Und obwohl Martin immer wieder beteuerte, dass er Amira nichts angetan hatte, glaubte ihm in Untersuchungshaft niemand. Seine Vorstrafen aus der Jugendzeit, seine muskulöse Erscheinung und die überzeugenden Argumente seiner Ex waren ihm dabei nicht behilflich. Martin gab lediglich zu, dass er Amira geohrfeigt hatte. «Ich schlage eigentlich keine Frauen», sagt der Bodybuilder. Nachdem aber Amira seine Mutter mehrmals mit «Nutte» beschimpft hatte, sah er rot.
Der Streit im Frühling 2015 und die anschliessende U-Haft waren nicht das Ende der verhängnisvollen Liebesgeschichte zwischen Martin und Amira. Am Tag der Entlassung nach fünf Wochen Gefängnis im Juli stalkte ihn seine Ex weiter. Martin wandte sich an die Polizei in Aarau. Diese konnte aber zu dem Zeitpunkt nichts machen. «Melden Sie sich nach dem Maienzug nochmals bei uns», hiess es. Tags darauf stand die Polizei vor Martins Türe. Aber nicht etwa, um ihm zu helfen.
Er wurde erneut abgeführt. Amira hatte der Polizei gemeldet, dass sie vom Bodybuilder mit dem Tod bedroht worden sei. Sie hatte eine Zeugin, die dies bezeugen konnte. Martin kam wieder ins Gefängnis. «Ich habe mich gefühlt wie ein Hund im Käfig.» Er war damals bereits mit seiner heutigen Freundin zusammen, konnte sie aber wegen des in U-Haft herrschenden Telefonverbots nicht informieren. Martin blieb von Anfang Juli bis Ende August hinter Gittern. Obwohl gegen seine Ex ein Verfahren wegen falscher Anschuldigungen und Anstiftung zu falscher Zeugenaussage eingeleitet wurde.
Ein Ende hatte die Odyssee erst vor dem Bezirksgericht Kulm. Es sprach den Bodybuilder von allen Vorwürfen frei.
Die Zeit in U-Haft nagt noch heute an Martin. Am liebsten würde er gar nicht mehr darüber reden. «Für mich wäre es sicher besser gewesen, wenn ich Amira nie kennen gelernt hätte», sagt Martin heute. Er sei aber überzeugt, wenn nicht ihn, hätte es bestimmt jemand anderen getroffen. Nach der U-Haft wurde Martin noch über ein Jahr von Amira gestalkt. Blumen, Briefe, Nachrichten und Anrufe: «123 Seiten Beweismaterial habe ich in dieser Zeit gesammelt.» Seit zwei Jahren hat Martin Ruhe. Wohl weil sie ein neues Opfer habe, ist er überzeugt.
Für die Zeit, die er unschuldig im Gefängnis sass, wurde Martin vom Staat mit knapp 20'000 Franken entschädigt. «Das Geld ist ein schwacher Trost.» Lieber würde er die Zeit zurückdrehen. Seit den Vorkommnissen habe er Mühe, jemandem zu vertrauen. So hätten ihn die falschen Anschuldigungen gequält. «Zum Glück haben meine Freundin und meine Familie zu mir gehalten», sagt Martin. Er sei ein Einzelgänger geworden. Seine wenigen Freunde, die ihm geblieben sind, warne er jeweils, wenn sie mit Frauen Kontakt haben, die übermässig eifersüchtig seien. «Ich sage ihnen immer wieder: Denkt daran, was mir passiert ist.»