Am 9. März vergangenen Jahres wird Renato* ein Strafbefehl zugestellt: «Der Beschuldigte hat ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Beamter anvertraut worden ist», steht in diesem. Ihm drohen eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 130 Franken und eine Busse von 1000 Franken. Die Rede ist von einem Ereignis im Mai 2016, das den Polizisten den Job gekostet und ihn am Montag vor das Bezirksgericht Lenzburg geführt hat.
Begonnen hat alles, als Renato wegen häuslicher Gewalt zu einem Einsatz gerufen wurde. Die Wohnung des Opfers Lorena* und ihrem Freund Jörg* sei so stark demoliert gewesen, dass Lorena und ihr Kind in einer Sozialwohnung untergebracht werden mussten. Die Bedingungen in dieser seien jedoch sehr schlecht gewesen. «Deshalb habe ich ihr am 23. Mai geschrieben und ihr angeboten, dass sie jederzeit eine Weile bei mir wohnen darf», erklärt Renato der Richterin.
Dieses Angebot nahm Lorena an und zog einen Tag später beim Polizisten ein. Rund eine Woche später begannen die beiden eine Affäre.
Zwei Tage nach dem Einzug Lorenas in der Wohnung von Renato entdeckte dieser – zu diesem Zeitpunkt nicht im Dienst – Jörg in dessen Auto. Da Renato wusste, dass dem Mann nach dem Einsatz wegen häuslicher Gewalt der Führerausweis entzogen wurde und vermutete, dass er unter Drogeneinfluss stehen könnte, rief er seine Arbeitskollegen herbei, welche den Fall übernahmen.
Ab diesem Zeitpunkt gehen die Aussagen in zwei verschiedene Richtungen: Lorena und Jörg, die wenige Wochen später wieder ein Paar waren, geben an, dass Renato Lorena vom positiv ausgefallenen Drogentest berichtete. Renato hingegen betont, ihr nie etwas davon erzählt zu haben.
Diesen Ausführungen musste auch Bezirksgerichtspräsidentin Gabriella Fehr zustimmen. Nach nur zwanzig Minuten eröffnete sie das Urteil: Freispruch. Es sei zwar «wahnsinnig dumm» und wahrscheinlich gar «moralisch verwerflich» gewesen, dass der Polizist nach seinem Einsatz noch Kontakt zu Lorena hatte, sie zum Wohnen eingeladen und eine Affäre mit ihr hatte.
«Aber wir sind keine moralische Institution», sagte Fehr. «Und rechtlich ist das alles nicht verboten.» Da wegen den widersprüchlichen Aussagen von Lorena und Jörg zu starke Zweifel an seiner Schuld bestünden, müsse sie Renato freisprechen. Die Zivilforderungen des Privatklägers wurden auf den Zivilweg verwiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
*Alle Namen von der Redaktion geändert (aargauerzeitung.ch)