Die Reform der Altersvorsorge hat spürbare Auswirkungen für jeden Einzelnen. Frauen müssen länger arbeiten, selbst Rentner höhere Mehrwertsteuern bezahlen. Für die Erwerbstätigen und Unternehmen steigen die Lohnabgaben, und im obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge sinken die Renten aufgrund des tieferen Umwandlungssatzes. Logisch, dass jeder wissen will, wie die Reform das eigene Portemonnaie belastet. Doch so einfach ist das nicht.
Der Vergleichsdienst Comparis hat zusammen mit Lukas Müller von der Universität St. Gallen einen Rentenrechner entwickelt und verspricht: «Mehr Transparenz über die finanziellen Folgen: Was bedeutet die Reform für den einzelnen Bürger?»
Der Rechner ist einfach gehalten. Der Nutzer gibt Alter, Geschlecht und das Jahreseinkommen an und legt offen, ob er in der zweiten Säule im Obligatorium oder im Überobligatorium versichert ist. Aus diesen Angaben ermittelt Comparis, ob die Reform unter dem Strich positiv oder negativ ausfällt. Also ob die höheren Beiträge auch zu höheren Leistungen führen.
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) hat den Abstimmungsrechner gegenüber einer Parlamentarierin als «unbrauchbar» taxiert. Gegenüber der «Nordwestschweiz» wiegelt BSV-Kommunikationschef Rolf Camenzind ab: «Verschiedene Annahmen sind problematisch.»
So geht Comparis etwa von der gleichen Lebenserwartung für Frauen und Männer aus. Deswegen weise der Rechner tendenziell zu tiefe Leistungen für die Frauen aus, sagt Camenzind. Weiter berücksichtige der Rechner nicht, dass verschiedene Massnahmen gestaffelt in Kraft treten. Tatsächlich wird die zweite Erhöhung der Mehrwertsteuer erst 2021 fällig und auch die Lohnbeiträge von 0.3 Prozentpunkten zur Finanzierung des AHV-Zuschlags von 70 Franken für Neurentner werden erst zu jenem Zeitpunkt steigen.
Das BSV hat seine Kritik Comparis mitgeteilt. Lukas Müller ist daran, die beanstandeten Punkte zu prüfen. In Bezug auf die Lebenserwartung gibt Müller dem Bundesamt recht: «Eine Unterscheidung nach Geschlecht wäre einfach zu machen.»
Dass der Rechner die gestaffelte Einführung verschiedener Massnahmen nicht berücksichtigt, werde offengelegt. Müller schätzt diesen Effekt allerdings «als relativ gering ein». Andere Annahmen hätten einen viel grösseren Einfluss: «Die individuellen Konsumausgaben und damit auch die Mehrwertsteuer schwanken enorm.»
Pauschale Kritik am Rechner weist Müller zurück. «Mathematische Exaktheit ist nicht möglich. Doch die Stimmbürger bekommen ein Gefühl für die Kosten der Reform.» Die Leute würden länger leben und das Anlageumfeld sei schwierig. Wenn man Leistungen garantieren wolle, müsse jemand dafür bezahlen. Dass der Saldo für die meisten Leute negativ ist, sei logisch.
Müller ist längst nicht mit allen Einwänden des BSV einverstanden. Dessen Mängelliste geht nämlich weiter. Zumindest diskutabel sei, dass Comparis von einer Mehrwertsteuer-Erhöhung von 0.6 Prozent ausgehe. «Für den Konsumenten ist nur die Erhöhung um 0.3 Prozent spürbar», sagt Camenzind.
Grund dafür ist, dass die Zusatzfinanzierung für die Invalidenversicherung Ende Jahr ausläuft – dieses Geld wird ab 2018 direkt in den AHV-Topf umgeleitet. Müller hält diese Argumentation – die viele Befürworter übernommen haben – für falsch. «Nur weil die Erhöhung nicht spürbar ist, heisst es nicht, dass diese Kosten für den Konsumenten nicht anfallen.» Er vermisst in diesem Punkt die Redlichkeit.
Auch den Vorwurf des BSV, dass er zwar ein Lohnwachstum von einem Prozent jährlich angenommen, beim AHV-Zuschlag aber keine Teuerung miteinberechnet habe, lässt Müller nicht gelten. Es gehe um die individuelle Lohnentwicklung aufgrund von Stellenwechseln und Karriereschritten und nicht etwa um Reallohnerhöhungen aufgrund gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen.
CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer hält nichts vom Comparis-Rechner. Sie hält fest, dass man während der Beratungen genaustens darauf geschaut habe, dass niemand schlechtergestellt werde. Sie unterstellt den Machern eine gewisse Absicht – ein Vorwurf, den Müller vehement von sich weist.
Das BSV wiederum hat bewusst keinen eigenen Rechner entwickelt. «Es kann nur eine Modellrechnung resultieren, die der Realität im Einzelfall nicht gerecht werden kann», sagt Camenzind.