Die politische Sommerpause treibt wieder einmal spezielle Blüten. So nutzt die SVP die mediale Flaute, um eine Breitseite gegen Justizminister Beat Jans und seine Asylpolitik abzufeuern. So weit, so erwartbar. Allerdings ist der Basler Sozialdemokrat kein Kind von Traurigkeit. Er hat seinerseits einen vorgezogenen 1.-August-Kracher gezündet.
Letzte Woche veröffentlichte Jans in der NZZ ein Plädoyer für ein institutionelles Abkommen mit der EU, das er mit dem in Bern durchaus umstrittenen Begriff «Bilaterale III» bezeichnete. Es schaffe Rechtssicherheit und schwäche die Souveränität der Schweiz nicht, sondern stärke sie: «Denn niemand profitiert mehr vom EU-Binnenmarkt als die Schweiz.»
Beat Jans lehnt sich dabei ziemlich weit aus dem Fenster, wenn er schreibt: «Der Bundesrat strebt bis Ende Jahr eine Einigung mit der EU an. Er ist überzeugt, dass dies im Interesse der Schweiz ist.» An sich entspricht das der offiziellen Linie der Landesregierung, doch die Offensive des Justizministers im heiklen Dossier sorgte prompt für eine Gegenreaktion.
Besonders angesäuert zeigte sich Alt-Bundesrat Ueli Maurer (SVP). Er warf Jans ebenfalls in der NZZ «schon fast eine bösartige Verzerrung der Fakten» vor. Der Paradigmenwechsel im Bundesrat sei «nicht nur unverständlich, er gefährdet auch die Unabhängigkeit der Schweiz». Das überrascht nicht: Maurer spielt seit seinem Rücktritt gerne den Querschläger.
Allerdings handelte es sich bei Jans’ Gastbeitrag nicht um einen Sololauf des als europhil bekannten Baslers. Er war mit dem Aussendepartement von Ignazio Cassis (FDP) abgesprochen, bestätigte ein Jans-Sprecher der «Sonntagszeitung». Bundespräsidentin Viola Amherd (Mitte), die als proeuropäisch gilt, dürfte ebenfalls Bescheid gewusst haben.
Handelt es sich bei diesem Böller eher um einen Versuchsballon? Die Reaktionen aus der Politik blieben überschaubar. Mitte-Präsident Gerhard Pfister gelang es, in einem Post auf X gleichzeitig Jans und Maurer zu kritisieren. Heftigen Widerspruch gab es einzig von notorischen EU-Gegnern wie der Zuger Milliardärstruppe Kompass/Europa.
A productive call with Minister @ignaziocassis. Glad to note significant progress of 🇪🇺🇨🇭talks, notably on institutional issues, state aid and towards a transitional arrangement for 2025 @HorizonEU calls. Important to keep the momentum in the area of the free movement of persons. pic.twitter.com/oZQHoExXvc
— Maroš Šefčovič🇪🇺 (@MarosSefcovic) July 4, 2024
Das erstaunt nicht. Noch weiss niemand, was bei dem im März lancierten Neustart der Verhandlungen resultieren wird. Durchbruch oder Scheitern? Alles scheint möglich. Die EU möchte einen Deal bis Jahresende, doch ein für den 20. Juni geplanter Besuch des zuständigen EU-Kommissionsvizes Maroš Šefčovič in Bern wurde kurzfristig abgesagt.
Dies wurde als Signal für eine gröbere Verstimmung in Brüssel gedeutet. Am 4. Juli allerdings gab Šefčovič auf X so etwas wie Entwarnung. Er habe ein «produktives Telefongespräch» mit Aussenminister Ignazio Cassis geführt, schrieb der Slowake. Es gebe «bedeutende Fortschritte» in den Verhandlungen, etwa bei den institutionellen Fragen.
Maroš Šefčovič deutete aber an, dass es beim Streitthema Personenfreizügigkeit noch Gesprächsbedarf gibt. Die Schweiz strebt einen Schutzmechanismus gegen eine übermässige Zuwanderung an. Sie orientiert sich dabei an Abkommen der EU mit Andorra oder San Marino. Auch Liechtenstein konnte beim EWR-Beitritt Ausnahmeregeln erwirken.
Dabei handelt es sich um «Mikrostaaten» mit wenigen zehntausend Einwohnern. Die Schweiz hingegen befindet sich im Vergleich mit den 27 EU-Mitgliedsstaaten im Mittelfeld, weshalb die Brüsseler Kommission bislang wenig Bereitschaft zeigt, der Schweiz eine grosszügige Schutzklausel zu gewähren. Der Bundesrat ist somit innenpolitisch gefordert.
Er beschloss in seiner letzten Sitzung vor den Ferien, die SVP-Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Intern aber wird gemäss der NZZ sehr wohl über mögliche Begleitmassnahmen gestritten, um die Herausforderungen von Zuwanderung und Bevölkerungswachstum «gezielt» zu adressieren.
Eine Schlüsselrolle spielt auch in diesem Fall das Justizdepartement von Bundesrat Jans. Er hat laut NZZ durchgesetzt, dass ein Ausbau des Mieterschutzes zum Thema wird. Pikant daran: Im November wird über zwei Vorlagen abgestimmt, die das Gegenteil anstreben und den Mieterschutz lockern wollen. Dagegen wurde von links das Referendum ergriffen.
Neben der Zuwanderung wird auch darüber gestrittenen, ob die «Bilateralen III» dem obligatorischen Referendum unterstellt werden sollen, also das Ständemehr benötigen. Das Beat Jans unterstellte Bundesamt für Justiz (BJ) hat dies in einem Gutachten verneint. Die SVP ist empört, auch andere Bürgerliche liebäugeln mit dem Ständemehr.
Doch auch diese Frage bleibt in der Schwebe, solange kein Verhandlungsergebnis vorliegt. Das aktuelle Sommertheater ist deshalb in erster Linie ein Schattenboxen. Der eigentliche Schlagabtausch beginnt, wenn und falls eine Einigung mit Brüssel gelingt. Dann wird sich auch zeigen, wie weit der Widerstand der Gewerkschaften beim Lohnschutz gehen wird.
Allerdings sind Beat Jans und andere EU-Freunde nicht so isoliert, wie teilweise behauptet wird. Gewichtige Stimmen aus der Wirtschaft drängen auf einen Durchbruch mit der EU. Zu ihnen gehört etwa Albert Baehny, der «starke Mann» beim Basler Pharmazulieferer Lonza. Er sprach im Mai im Interview mit der «NZZ am Sonntag» Klartext:
Mut ist keine Tugend, mit der der Bundesrat im EU-Dossier bislang brilliert hat. Deshalb kann man das 1.-August-Feuerwerk von Beat Jans nur begrüssen.
Ah stimmt, zwischendurch war er noch Finanzminister und hat befunden, dass man die CS nur machen lassen soll, weil die das im Griff haben.
Ah und zwischendurch war er mal kurz Kryptobotschafter, kann aber nicht mal eine einfache App auf dem Mobile anwenden.
Ah, und Ueli lobt Putins Aussenminister Lawrow auf SRF als «einen der besten».
Ziemlich verstrahlt der Typ.