Schweiz
Analyse

Beat Jans wirbt für Bilaterale III mit der EU, Ueli Maurer hält dagegen

Beat Jans und Ueli Maurer streiten sich öffentlich über das Verhältnis zur EU.
Beat Jans und Ueli Maurer streiten sich öffentlich über das Verhältnis zur EU.bild: Watson/keystone
Analyse

Sommerliches Schattenboxen in der Europapolitik

Beat Jans wirbt für Bilaterale III mit der EU, Ueli Maurer hält dagegen: Die Europapolitik sorgt in der Schweiz für ein politisches Sommertheater. Dabei wird immer noch verhandelt.
31.07.2024, 15:5331.07.2024, 16:39
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Die politische Sommerpause treibt wieder einmal spezielle Blüten. So nutzt die SVP die mediale Flaute, um eine Breitseite gegen Justizminister Beat Jans und seine Asylpolitik abzufeuern. So weit, so erwartbar. Allerdings ist der Basler Sozialdemokrat kein Kind von Traurigkeit. Er hat seinerseits einen vorgezogenen 1.-August-Kracher gezündet.

Letzte Woche veröffentlichte Jans in der NZZ ein Plädoyer für ein institutionelles Abkommen mit der EU, das er mit dem in Bern durchaus umstrittenen Begriff «Bilaterale III» bezeichnete. Es schaffe Rechtssicherheit und schwäche die Souveränität der Schweiz nicht, sondern stärke sie: «Denn niemand profitiert mehr vom EU-Binnenmarkt als die Schweiz.»

Le conseiller federal Beat Jans, parle avec la population valaisanne pendant un aperitif dans la rue du Grand-Pont lors de l'excursion 2024 du Conseil federal (Bundesratsreise) dans le canton du  ...
Beat Jans auf der Bundesratsreise im Wallis: Der Justizminister spielt im EU-Dossier eine Schlüsselrolle.Bild: keystone

Beat Jans lehnt sich dabei ziemlich weit aus dem Fenster, wenn er schreibt: «Der Bundesrat strebt bis Ende Jahr eine Einigung mit der EU an. Er ist überzeugt, dass dies im Interesse der Schweiz ist.» An sich entspricht das der offiziellen Linie der Landesregierung, doch die Offensive des Justizministers im heiklen Dossier sorgte prompt für eine Gegenreaktion.

«Bösartige Verzerrung der Fakten»

Besonders angesäuert zeigte sich Alt-Bundesrat Ueli Maurer (SVP). Er warf Jans ebenfalls in der NZZ «schon fast eine bösartige Verzerrung der Fakten» vor. Der Paradigmenwechsel im Bundesrat sei «nicht nur unverständlich, er gefährdet auch die Unabhängigkeit der Schweiz». Das überrascht nicht: Maurer spielt seit seinem Rücktritt gerne den Querschläger.

Allerdings handelte es sich bei Jans’ Gastbeitrag nicht um einen Sololauf des als europhil bekannten Baslers. Er war mit dem Aussendepartement von Ignazio Cassis (FDP) abgesprochen, bestätigte ein Jans-Sprecher der «Sonntagszeitung». Bundespräsidentin Viola Amherd (Mitte), die als proeuropäisch gilt, dürfte ebenfalls Bescheid gewusst haben.

Noch ist alles möglich

Handelt es sich bei diesem Böller eher um einen Versuchsballon? Die Reaktionen aus der Politik blieben überschaubar. Mitte-Präsident Gerhard Pfister gelang es, in einem Post auf X gleichzeitig Jans und Maurer zu kritisieren. Heftigen Widerspruch gab es einzig von notorischen EU-Gegnern wie der Zuger Milliardärstruppe Kompass/Europa.

Das erstaunt nicht. Noch weiss niemand, was bei dem im März lancierten Neustart der Verhandlungen resultieren wird. Durchbruch oder Scheitern? Alles scheint möglich. Die EU möchte einen Deal bis Jahresende, doch ein für den 20. Juni geplanter Besuch des zuständigen EU-Kommissionsvizes Maroš Šefčovič in Bern wurde kurzfristig abgesagt.

«Bedeutende Fortschritte»

Dies wurde als Signal für eine gröbere Verstimmung in Brüssel gedeutet. Am 4. Juli allerdings gab Šefčovič auf X so etwas wie Entwarnung. Er habe ein «produktives Telefongespräch» mit Aussenminister Ignazio Cassis geführt, schrieb der Slowake. Es gebe «bedeutende Fortschritte» in den Verhandlungen, etwa bei den institutionellen Fragen.

Maroš Šefčovič deutete aber an, dass es beim Streitthema Personenfreizügigkeit noch Gesprächsbedarf gibt. Die Schweiz strebt einen Schutzmechanismus gegen eine übermässige Zuwanderung an. Sie orientiert sich dabei an Abkommen der EU mit Andorra oder San Marino. Auch Liechtenstein konnte beim EWR-Beitritt Ausnahmeregeln erwirken.

Massnahmen bei der Zuwanderung

Dabei handelt es sich um «Mikrostaaten» mit wenigen zehntausend Einwohnern. Die Schweiz hingegen befindet sich im Vergleich mit den 27 EU-Mitgliedsstaaten im Mittelfeld, weshalb die Brüsseler Kommission bislang wenig Bereitschaft zeigt, der Schweiz eine grosszügige Schutzklausel zu gewähren. Der Bundesrat ist somit innenpolitisch gefordert.

Die Schachteln mit den gesammelten Unterschriften, fotografiert vor der Bundeskanzlei, anlaesslich der Einreichung der Unterschriften fuer die eidgenoessische Volksinitiative "Keine 10-Millionen- ...
Der Bundesrat lehnt die SVP-Volksinitiative ab, will aber auf die Sorgen über die Zuwanderung reagieren.Bild: keystone

Er beschloss in seiner letzten Sitzung vor den Ferien, die SVP-Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Intern aber wird gemäss der NZZ sehr wohl über mögliche Begleitmassnahmen gestritten, um die Herausforderungen von Zuwanderung und Bevölkerungswachstum «gezielt» zu adressieren.

Ausbau des Mieterschutzes?

Eine Schlüsselrolle spielt auch in diesem Fall das Justizdepartement von Bundesrat Jans. Er hat laut NZZ durchgesetzt, dass ein Ausbau des Mieterschutzes zum Thema wird. Pikant daran: Im November wird über zwei Vorlagen abgestimmt, die das Gegenteil anstreben und den Mieterschutz lockern wollen. Dagegen wurde von links das Referendum ergriffen.

Neben der Zuwanderung wird auch darüber gestrittenen, ob die «Bilateralen III» dem obligatorischen Referendum unterstellt werden sollen, also das Ständemehr benötigen. Das Beat Jans unterstellte Bundesamt für Justiz (BJ) hat dies in einem Gutachten verneint. Die SVP ist empört, auch andere Bürgerliche liebäugeln mit dem Ständemehr.

Klartext aus der Wirtschaft

Doch auch diese Frage bleibt in der Schwebe, solange kein Verhandlungsergebnis vorliegt. Das aktuelle Sommertheater ist deshalb in erster Linie ein Schattenboxen. Der eigentliche Schlagabtausch beginnt, wenn und falls eine Einigung mit Brüssel gelingt. Dann wird sich auch zeigen, wie weit der Widerstand der Gewerkschaften beim Lohnschutz gehen wird.

Allerdings sind Beat Jans und andere EU-Freunde nicht so isoliert, wie teilweise behauptet wird. Gewichtige Stimmen aus der Wirtschaft drängen auf einen Durchbruch mit der EU. Zu ihnen gehört etwa Albert Baehny, der «starke Mann» beim Basler Pharmazulieferer Lonza. Er sprach im Mai im Interview mit der «NZZ am Sonntag» Klartext:

«Wir brauchen geregelte Verhältnisse mit Europa. Wir können nicht weiter Klimmzüge machen. Das ist nicht gesund. Die Personenfreizügigkeit ist entscheidend für das Wachstum. Wir brauchen dringend eine Lösung. Und ohne Kompromisse auf beiden Seiten wird es nicht gehen. Seien wir mutig.»

Mut ist keine Tugend, mit der der Bundesrat im EU-Dossier bislang brilliert hat. Deshalb kann man das 1.-August-Feuerwerk von Beat Jans nur begrüssen.

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83 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lightwood
31.07.2024 16:06registriert März 2020
Wer ist dieser Ueli? Ist doch so ein Triechler gegen Massnahmen zur Eindämmung von IP und Übersterblichkeit bei Covid?


Ah stimmt, zwischendurch war er noch Finanzminister und hat befunden, dass man die CS nur machen lassen soll, weil die das im Griff haben.

Ah und zwischendurch war er mal kurz Kryptobotschafter, kann aber nicht mal eine einfache App auf dem Mobile anwenden.

Ah, und Ueli lobt Putins Aussenminister Lawrow auf SRF als «einen der besten».

Ziemlich verstrahlt der Typ.
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FrancoL
31.07.2024 16:06registriert November 2015
Wenn der Ueli während der gut bezahlten Arbeit im Bundesrat "Kai Lust" hatte, wieso hält er nun nicht den Schnabel oder klärt uns zB auf wie es denn wirklich betreffend der CS sich verhalten hat, denn das wäre ja sein Ressort gewesen.
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Majoras Maske
31.07.2024 17:19registriert Dezember 2016
Was bin ich froh, ist Ueli nicht mehr in der Landesregierung. Es dünkt mich schade, dass jemand so lange einen so grossen Einfluss auf unsere Politik nehmen konnte.
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