Die «Zeitenwende» durch den russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 hält die Schweizer Politik in Atem. Drei Monate nach dem Einmarsch beschloss die bürgerliche Mehrheit des Nationalrats, das Armeebudget bis 2030 auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, was rund sieben Milliarden Franken pro Jahr entspricht.
Bei Verteidigungsministerin Viola Amherd (Mitte) rannte sie offene Türen ein, denn die seit dem Ende des Kalten Kriegs «kaputtgesparte» Armee soll wieder kriegstauglich werden. Sie hat in dieser Hinsicht mehrfach düstere Szenarien präsentiert. Allerdings bedeutet dies happige Mehrausgaben, und das in einer Zeit zunehmend knapper Bundesfinanzen.
Der Graubündner Mitte-Nationalrat Martin Candinas sprach am Mittwoch in der Debatte über die Armeebotschaft 2024 von einer «finanzpolitischen Zwickmühle». Daraus habe sich ein «Ideenwettbewerb sondergleichen» ergeben. Mit anderen Worten: Es gibt einen ganzen Strauss an Vorschlägen, woher das Geld kommen könnte, jedoch kein klares Konzept.
Aber der Reihe nach.
Im letzten Dezember beschloss das Parlament in der Debatte über das Bundesbudget 2024, das Ein-Prozent-Ziel bis 2035 zu erstrecken, nicht zuletzt auf Druck von Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP), die auf die Einhaltung der Schuldenbremse pocht. Daran hält der Bundesrat fest, wie Viola Amherd am Mittwoch und Donnerstag erklärte.
Die Bürgerlichen wollten sich damit nicht abfinden. Als der Ständerat in der Sommersession über die Armeebotschaft 2024 beriet, beschloss er, den darin enthaltenen Zahlungsrahmen für die Jahre 2025 bis 2028 um vier Milliarden auf knapp 30 Milliarden Franken anzuheben. Die Hälfte dieser Mehrausgaben sollte bei der Entwicklungshilfe eingespart werden.
Keine Chance hatte ein Vorschlag der Mitte-Ständerätinnen Andrea Gmür und Marianne Binder für einen Spezialfonds von 15 Milliarden Franken. Damit sollten die Aufrüstung der Armee und der Wiederaufbau der Ukraine unter Umgehung der Schuldenbremse finanziert werden. Amherd zeigte Sympathien dafür, doch die Idee fiel im Ständerat durch.
Alles klar also?
Keineswegs. Denn nun beugte sich die Sicherheitspolitische Kommission (SiK) des Nationalrats über das Geschäft, «am 13. August abends bei brütender Hitze», wie der Berner Mitte-Nationalrat Reto Nause ausführte. Offenbar rauchten dabei auch die Köpfe, denn am Ende fand keines der Finanzierungsmodelle eine Mehrheit in der Kommission.
Zwei Konzepte standen sich gegenüber: ein auf zehn Milliarden «abgespeckter» Fonds (ohne Ukraine-Wiederaufbau), mit Rückzahlung aus dem ordentlichen Budget bis 2045, und Kompensationen. Dazu gehören ein gekürzter Kantonsanteil bei der direkten Bundessteuer sowie Einsparungen, bei der Armee selbst, beim Personal, bei der Entwicklungshilfe.
Die Kommission stritt heftig und fand trotzdem keine klare Linie. Geradezu symbolträchtig war, dass ihr Sprecher Reto Nause seinen rechten Arm in einer Schlinge trug. Sie reichte den Entscheid über den Zahlungsrahmen kurzerhand an den Gesamtrat weiter. Martin Candinas sprach von einer «konfusen Situation» und propagierte weiterhin die Fondslösung.
Am Ende war nicht einmal seine Mitte-Fraktion geschlossen dafür. Ein beachtlicher Teil wollte lieber sparen. Umgekehrt wären einige in der SVP bereit gewesen, allenfalls in den sauren Fonds-Apfel zu beissen, wie der St.Galler Nationalrat Michael Götte erklärte. Nichts wissen von mehr Geld für die Armee wollten die Grünen, klar fürs Sparen war die FDP.
Die Grünliberalen verteidigten als einzige Fraktion die Linie des Bundesrats. Eine diffuse Rolle spielte die SP. Sie unterstützte offiziell die Fondslösung, doch ihre Vertreterinnen und Vertreter machten kein Geheimnis daraus, dass ihnen das Geschäft gegen den Strich ging. Besonders auf Krawall gebürstet war der Zürcher Nationalrat Fabian Molina.
Mit seiner Bezeichnung der Armee als «Trachtenverein» knüpfte er an den früheren SP-Chef Peter Bodenmann an, der den gleichen Begriff vor 30 Jahren in der SRF-«Arena» verwendet hatte. Damals wie heute gab es heftige Reaktionen von rechts. Molina war es recht, er konnte davon ablenken, dass die SP irgendwie dafür und dagegen war.
Schliesslich setzte sich wie erwartet die Kompensationslösung durch. Im Visier ist weiterhin die internationale Zusammenarbeit, doch erst letzte Woche hatte der Ständerat seinen Entscheid vom Juni gekippt. Bei der Entwicklungshilfe soll es keine Kürzungen geben. Dazu beigetragen haben dürfte nicht zuletzt das Lobbying auch von bürgerlicher Seite.
Und während der Nationalrat am Donnerstag über die Armeebotschaft stritt, entschied sich der Ständerat vis-à-vis im Bundeshaus für eine eigentlich logische dritte Variante: Mehreinnahmen. Er überwies oppositionslos ein vom St.Galler Benedikt Würth (Mitte) beantragtes «Sicherheitsprozent» bei der Mehrwertsteuer zur Prüfung an die zuständige Kommission, gegen den Willen des Bundesrats.
Damit sollen die 13. AHV-Rente (0,6 Prozent) und die Aufrüstung der Armee (0,4 Prozent) finanziert werden, auf fünf Jahre befristet. Wie das aufgehen soll, ist schleierhaft, denn in beiden Fällen handelt es sich um dauerhafte Ausgaben. Für den Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder ging es darum, «aus den ideologischen Grabenkämpfen herauszukommen».
Und nun, wie weiter?
Kompensationen, «befristete» Mehreinnahmen, ein Spezialfonds – die Konfusion ist perfekt. In der Wintersession mitten in der Adventszeit aber müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden. In der Debatte über das Bundesbudget 2025 muss entschieden werden, wie man das Geld für die erste der vier verlangten Zusatzmilliarden für die Armee auftreiben will.
Gleichzeitig muss die Armeebotschaft 2024 bereinigt werden. Vielleicht wird die Aufstockung des Zahlungsrahmens in letzter Minute gestoppt oder vertagt. Angesichts der schwierigen Finanzlage des Bundes wäre es keine Überraschung, wenn sich erneut die Linie des Bundesrats durchsetzen würde. Und es im Parlament viel Lärm um Nichts gegeben hätte.
Was ich dabei nicht verstehe ist, dass ausgerechnet die Grössten Putin Versteher dieselben sind die am meisten darüber schreien, dass unser Land Zuwenig geschützt ist.
Das hat für diese zwei Vorteile:
1. Es kostet die Reichen deutlich weniger als eine Erhöhung der Bundessteuer. Diese wurde im 2. WK als Wehrsteuer eingeführt und wäre eigentlich für diesen Zweck da.
2. Die Reichen haben in einem Krieg deutlich mehr zu verlieren als die Armen. Daher nützt ihnen eine Armee überproportional mehr.
Wie sagt man so schön: "Vaterland verteidigen? - Mein Vater hat kein Land. Wir sind Mieter."
Geld für den Kampf gegen den Klimawandel? Geld für Renaturierungen? Geld für Dekarbonatisierung? Da gibts natürlich weiterhin nur minimal Budgets..