Service Citoyen: Eine Initiative vereinigt «Feuer und Wasser»
Eine Volksinitiative verlangt, dass alle Menschen mit Schweizer Bürgerrecht einen Dienst an der Allgemeinheit leisten, ob militärisch oder zivil. Auf den ersten Blick leuchtet dies ein, doch im Parlament kam die Service-Citoyen-Initiative schlecht an. Der Nationalrat tischte sie mit 173 zu 18 Stimmen ab, der Ständerat war mit 34 Nein zu 8 Ja etwas gnädiger.
In der breiten Bevölkerung sieht es für die Initianten erfreulicher aus. Gemäss der diesjährigen Sicherheitsstudie der ETH Zürich befürworten 67 Prozent einen allgemeinen Bürgerdienst, wobei der Anteil jener, die «eher» dafür sind, mit 38 Prozent sehr hoch ist. Und in der ersten Tamedia-Abstimmungsumfrage sagen 51 Prozent sicher oder eher Ja.
Die Initiative kommt gut an. Das überrascht nicht: Die Idee, dass alle Schweizerinnen und Schweizer sich für das Gemeinwohl einsetzen sollen, wirkt erst einmal sympathisch. Bei genauer Betrachtung zeigt sich ein tiefer Riss, genauer ein Geschlechtergraben. So sind die Männer bei Tamedia klar dafür und die Frauen ebenso deutlich dagegen.
Nur GLP im Parlament dafür
Das erstaunt ebenfalls nicht, denn heute gilt die Dienstpflicht nur für Männer. Für Frauen sind Militärdienst und Zivilschutz freiwillig, sie müssen auch keine Ersatzabgabe bezahlen. Die Initiative will sie ebenfalls verpflichten, was nur bedingt goutiert wird. Bei den Regionen und Einkommensklassen hingegen gibt es keine grossen Unterschiede.
Politisch sind die «Fronten» nicht so eindeutig, wie die Ergebnisse im Parlament vermuten lassen. Dort hat einzig die Fraktion der Grünliberalen die Initiative unterstützt. Für die Initiative ist auch die Evangelische Volkspartei (EVP), deren Vertreter im Parlament der Mitte-Fraktion angehören. Die Junge Mitte unterstützt den Service Citoyen ebenfalls.
Kuriose Allianzen
Die grossen Parteien aber lehnen die Initiative ab, aus unterschiedlichen Gründen. Das führt zu kuriosen Allianzen, wie man am Dienstag feststellen konnte, als das Nein-Komitee vor die Medien trat. Auf dem Podium sass der frühere Grünen-Chef Balthasar Glättli neben dem stramm rechten SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor und Arbeitgeber-Präsident Severin Moser.
Dieses Trio passt im Politikalltag etwa so gut zusammen wie Feuer und Wasser. Die Rechten lehnen die Initiative ab, weil sie um die Bestände der Armee fürchten. Sie sind im Initiativtext garantiert, doch dieser sieht auch eine Wahlfreiheit vor zwischen Militärdienst und einem «gleichwertigen» Milizdienst, was die Bürgerlichen als Widerspruch betrachten.
Zwangsarbeit befürchtet
Die Wirtschaft fürchtet Mehrkosten beim Erwerbsersatz und Absenzen am Arbeitsplatz wegen des Einbezugs der Frauen. Diese leisteten schon viel unbezahlte Arbeit im Interesse der Allgemeinheit, monieren SP und Grüne. Eine Dienstpflicht könne zu Lohndumping, etwa in der Pflege, führen. Balthasar Glättli verwendete sogar den Begriff Zwangsarbeit.
Damit greift er ein Argument des zuständigen Bundesrats Martin Pfister auf. Es wäre eine Herausforderung, genug Miliz-Einsatzplätze zu finden, die mit dem Zwangsarbeitsverbot und dem Völkerrecht vereinbar wären, sagte der Verteidigungsminister letzte Woche vor den Medien. Denn mehr als die Hälfte der Rekrutierten würden ausserhalb von Armee und Zivilschutz eingesetzt.
«Abweichler» im Ja-Lager
Eine Initiative, die von drei gewichtigen Lagern bekämpft wird, hat in der Regel nichts zu melden. Und doch gibt es aus den Bundesparteien mit Ausnahme der SVP auch illustre Persönlichkeiten, die sich im Ja-Komitee engagieren. Aus der FDP etwa sind es die Freiburger Ständerätin Johanna Gapany und Nationalratspräsidentin Maja Riniker.
Ständerat und Mitte-Vizepräsident Charles Juillard ist ebenso dabei, und selbst Linksgrün ist vertreten, durch SP-Nationalrat Islam Alijaj und Ständerat Daniel Jositsch samt der von ihm präsidierten Reformplattform. Bei den Grünen sind die Berner Nationalrätin Christine Badertscher und der frühere Berner «Stapi» Alec von Graffenried für den Service Citoyen.
Bekenntnis zur Gleichstellung
Er könne «nicht verstehen», warum die SP gegen die Initiative sei, sagte Jositsch im Interview mit «CH Media». Es gehe um ein Bekenntnis zur Gleichstellung, aber auch um gesellschaftliche Überlegungen: «Wir leben in einem Staat, in dem alle zur Individualisierung neigen. Wenn jede und jeder einen Beitrag leistet, wäre dies identitätsstiftend.»
Ihre Argumente werden die Befürworter am Donnerstag präsentieren. Sie werden es in den sechs Wochen bis zur Abstimmung am 30. November nicht leicht haben, trotz der positiven Grundstimmung. «Idealistische» Volksinitiativen haben es an sich, dass die Zustimmung im Lauf des Abstimmungskampfs schwindet. Der Bürgerdienst dürfte illusorisch bleiben.