Schweiz
Analyse

Zurück zur Normalität bei Abstimmungen? Es ist kompliziert

Parlamentarier, Mitglieder des Initiativkomitees, und Sympathisanten der Volksinitiative "Fuer eine zivilstandsunabh
Parlamentarier von FDP, SP, GLP und Grünen demonstrieren für die Individualbesteuerung, über die am 8. März 2026 abgestimmt wird.Bild: keystone
Analyse

Zurück zur Normalität? Schon die nächste Abstimmung wird kompliziert

Der letztjährige Linkstrend bei Volksabstimmungen scheint definitiv gebrochen zu sein. Doch schon in drei Monaten stehen mehrere Vorlagen an, die sich nicht leicht einordnen lassen.
01.12.2025, 14:2801.12.2025, 14:43

Das Abstimmungsjahr 2024 bescherte der bürgerlichen Schweiz deftige Niederlagen, die man sich nicht gewohnt war. Nun scheint «etwas politische Normalität» zurückgekehrt zu sein, meint die NZZ. Denn auf das klare Ja zur Abschaffung des Eigenmietwerts im September folgte die krachende Niederlage der beiden Volksinitiativen am Sonntag.

Ist somit die gutbürgerliche «Solid-Schweiz» wieder da? Für eine derartige Einschätzung ist es zu früh, dazu waren beide Initiativen zu extrem und vor allem zu vermurkst. Das Nein zur Juso-Erbschaftssteuer war absehbar. Noch deutlicher ist die Service-Citoyen-Initiative gescheitert. Dabei schien in den ersten Umfragen eine Annahme möglich.

Noemie Roten, Praesidentin des Initiativkomitees, gibt ein Interview, am Abstimmungsstamm des Komitees der Service-Citoyen-Initiative, welche einen obligatorischen Dienst fuer Gemeinschaft und Sicherh ...
Service-Citoyen-Vorkämpferin Noémi Roten erlebte mit ihrer Initiative einen brutalen Absturz.Bild: keystone

Man kann sich nicht daran erinnern, dass eine Vorlage jemals einen derart krassen Absturz erlebt hat. Das lässt darauf schliessen, dass das Stimmvolk in seiner Meinungsbildung volatiler geworden ist. Bei der Juso-Initiative hingegen war das Nein programmiert. Selbst die linksgrüne Basis war gemäss der Tamedia-Nachbefragung nicht eindeutig dafür.

Gewerkschaften standen abseits

Medien wie NZZ, Nebelspalter und der nach rechts gedriftete Blick liessen es sich dennoch nicht nehmen, gegen die Juso-Mutterpartei SP zu polemisieren. Sie hatte das Begehren ihres Nachwuchses ohne Begeisterung unterstützt. Die Gewerkschaften mit ihrer schlagkräftigen Kampagnenmaschine glänzten im Abstimmungskampf durch Abwesenheit.

Der moderatere Dachverband Travailsuisse hatte sogar die Nein-Parole zur Juso-Initiative beschlossen, aus Sorge um den Werkplatz Schweiz. Die Keilerei rechtslastiger Medien gegen die SP dürfte primär dem Frustabbau über die linken Erfolge des letzten Jahres dienen. Denn in der Schweiz gilt die Devise: Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung.

Der nächste Termin ist am 8. März 2026, also in etwas mehr als drei Monaten. Es dürfte es kompliziert werden. Dann stehen auf eidgenössischer Ebene gleich mehrere gewichtige Vorlagen an, bei denen sich ganz unterschiedliche Lager gegenüberstehen:

Klimafonds

Personen der Gruene Schweiz und der SP Schweiz reichen die Klimafonds Initiative mit ueber 100 000 Unterschriften ein, am Donnerstag, 22. Februar 2024, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Einreichung der Klimafonds-Initiative im Februar 2024.Bild: keystone

Einen klaren Links-rechts-Gegensatz gibt es bei der Klimafonds-Initiative von SP und Grünen. Hier zeichnet sich tatsächlich eine weitere Pleite für die Linke ab. Das liegt nicht nur daran, dass auch die Juso-Initiative die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer für Superreiche dem Klimaschutz zukommen lassen wollte. Das Begehren steht generell quer in der Landschaft.

Die Klimakrise bleibt eine Realität, doch auf der Sorgenliste der Bevölkerung wurde sie durch steigende Mieten und Krankenkassenprämien verdrängt. Hinzu kommen die härteren Verteilkämpfe um die Bundesfinanzen. Letztlich ist es einfacher, Mehrheiten gegen den Autobahnausbau zu organisieren als für die Einrichtung eines Klimafonds.

Bargeld

Die rechtsbürgerlichen Köpfe hinter der Volksinitiative «Bargeld ist Freiheit» halten an ihrem Begehren fest, obwohl das Parlament ihnen mit einem direkten Gegenvorschlag weit entgegengekommen ist. Damit wird es erstmals seit 2010 bei einer eidgenössischen Vorlage eine Stichfrage geben. Tendenziell dürfte der Gegenvorschlag dabei im Vorteil sein.

Absehbar ist ein Stadt-Land-Graben, denn im ländlichen Raum gilt noch die Devise «Nur Bares ist Wahres», während in den Städten immer öfter mit Karte bezahlt wird. Auch wenn es bei uns noch nicht so krass ist wie in London, wo man sich mit Cash ziemlich exotisch vorkommt, oder in Stockholm, wobei die Schweden zuletzt einen Rückzieher machten.

SRG

Susanne Wille, Generaldirektorin SRG, Mitte, spricht mit Sven Scheidegger, links, und Barbara Wittwer an einem oeffentlichen Podium, am Donnerstag, 16. Oktober 2025, in Kriegstetten. Unter anderem wir ...
SRG-Generaldirektorin Susanne Wille tourt durch die Beizen, um die Bevölkerung von einem Nein zu überzeugen.Bild: keystone

Die emotionalste Vorlage dürfte die SVP-Initiative «200 Franken sind genug!» sein, die eine deutliche Reduktion der SRG-Empfangsgebühr fordert. Sie ist weniger radikal als die 2018 gescheiterte No-Billag-Initiative und gilt deshalb als nicht chancenlos, obwohl sie bis weit ins bürgerliche Lager bekämpft wird. Insbesondere die Mitte-Wählerschaft gilt als SRG-affin.

Bei dieser Vorlage könnte es einen doppelten Sprachengraben geben. Die Romandie und Graubünden dürften wie bei No Billag deutlich Nein sagen, während in der Svizzera Italiana ein Ja möglich ist, obwohl sie überproportional vom Gebührentopf profitiert. Doch das Tessin ist auch der Kanton mit den tiefsten Löhnen und den höchsten Krankenkassenprämien.

Individualbesteuerung

Die gewichtigste, aber auch komplizierteste Vorlage betrifft die Individualbesteuerung. Es geht um den grossen Systemwechsel: Verheiratete sollen wie Konkubinatspaare künftig getrennte Steuererklärungen einreichen. Hier verlaufen die Fronten zwischen (Links)Liberal und Konservativ. Eine Allianz von SVP bis Mitte hat erfolgreich das Referendum ergriffen.

Im Parlament war es vor allem im Ständerat sehr knapp. Bei der Abstimmung allerdings könnten sich die Fronten «aufweichen». So geben Mitte-Politiker zu, dass ein Teil ihrer Basis sich mit der Individualbesteuerung angefreundet habe. Unklar ist hingegen, wie geschlossen die FDP hinter dem «Herzensanliegen» der neuen Co-Präsidentin Susanne Vincenz-Stauffacher steht.

Vieles scheint am kommenden 8. März möglich, wobei ein rechter «Durchmarsch» wahrscheinlicher ist als eine Fortsetzung des Linkstrends. Mehr erfahren wird man, wenn erste Umfragen vorliegen. Und weitere Vorlagen mit linkem Erfolgspotenzial sind in der Pipeline, etwa die Volksinitiative für höhere Ehepaar-Renten, die allerdings von der Mitte-Partei stammt.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das waren die bisher knappsten Abstimmungen in der Schweiz
1 / 18
Das waren die bisher knappsten Abstimmungen in der Schweiz

Bundesbeschluss über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)
Abgestimmt am: 06.12.1992
Ergebnis: abgelehnt
Stimmenunterschied: 23'836

quelle: keystone
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das sagen die Akteure zum Nein der JUSO-Initiative
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
93 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
Die beliebtesten Kommentare
avatar
manson
01.12.2025 14:49registriert Dezember 2023
bargeld sollte nicht abgeschafft werden, man bedenkt bei einem storm- oder diensleisterausfall hat man nichts mehr um tägliche geschäfte zu bestreiten.
5914
Melden
Zum Kommentar
avatar
Max Dick
01.12.2025 14:44registriert Januar 2017
Seit ich denken kann, gibt es beim Volk kein links oder rechts, sondern einfach Pragmatismus und Opportunismus. Dass die 13. AHV Rente durchkam, lag einzig und allein daran, dass eine Mehrheit der Urnengänger einen konkreten Nutzen fürs eigene Portmonee sah. Diese Leute haben nicht urplötzlich ihre Einstellung geändert. Sobald eine Sozialvorlage ansteht, bei welcher sie nicht persönlich profitieren, werden viele von ihnen wieder Nein stimmen.
Links- und Rechtstrends bei Volksabstimmungen gibt es nicht.
5315
Melden
Zum Kommentar
avatar
Sweeney Todd
01.12.2025 15:03registriert September 2018
Ein Links - Rechtstrend gibt es mMn bei Initiativen nicht. Selbst wenn die SVP die Erbschaftsteuervorlage initiert hätte, wäre sie gescheitert. Der Schweizer stimmt so ab, wie er persönlich am besten davon profitiert oder was er als grössten Nutzen für das Land sieht. Darum wurde die 13. AHV auch von den älteren klar angenommen und Klimainitiativen haben vor allem bei den Jungen eine Chance. Selbiges wird bei der SRG Initiative so sein, eine Linke Person mit kleinem Budget wird wohl eher Nein sagen, als ein FDPler mit grossem Budget. Ich kenne selbst SVPler Bauern die gegen eine Senkung sind.
417
Melden
Zum Kommentar
93
Fussgängerin wird in Cham von Auto angefahren und schwer verletzt
Eine 42-jährige Frau ist am frühen Montagmorgen in Cham ZG auf einem Fussgängerstreifen von einem Auto erfasst und erheblich verletzt worden. Der Unfallverursacher oder die Unfallverursacherin flüchtete vom Unfallort.
Zur Story