Zurück zur Normalität? Schon die nächste Abstimmung wird kompliziert
Das Abstimmungsjahr 2024 bescherte der bürgerlichen Schweiz deftige Niederlagen, die man sich nicht gewohnt war. Nun scheint «etwas politische Normalität» zurückgekehrt zu sein, meint die NZZ. Denn auf das klare Ja zur Abschaffung des Eigenmietwerts im September folgte die krachende Niederlage der beiden Volksinitiativen am Sonntag.
Ist somit die gutbürgerliche «Solid-Schweiz» wieder da? Für eine derartige Einschätzung ist es zu früh, dazu waren beide Initiativen zu extrem und vor allem zu vermurkst. Das Nein zur Juso-Erbschaftssteuer war absehbar. Noch deutlicher ist die Service-Citoyen-Initiative gescheitert. Dabei schien in den ersten Umfragen eine Annahme möglich.
Man kann sich nicht daran erinnern, dass eine Vorlage jemals einen derart krassen Absturz erlebt hat. Das lässt darauf schliessen, dass das Stimmvolk in seiner Meinungsbildung volatiler geworden ist. Bei der Juso-Initiative hingegen war das Nein programmiert. Selbst die linksgrüne Basis war gemäss der Tamedia-Nachbefragung nicht eindeutig dafür.
Gewerkschaften standen abseits
Medien wie NZZ, Nebelspalter und der nach rechts gedriftete Blick liessen es sich dennoch nicht nehmen, gegen die Juso-Mutterpartei SP zu polemisieren. Sie hatte das Begehren ihres Nachwuchses ohne Begeisterung unterstützt. Die Gewerkschaften mit ihrer schlagkräftigen Kampagnenmaschine glänzten im Abstimmungskampf durch Abwesenheit.
Der moderatere Dachverband Travailsuisse hatte sogar die Nein-Parole zur Juso-Initiative beschlossen, aus Sorge um den Werkplatz Schweiz. Die Keilerei rechtslastiger Medien gegen die SP dürfte primär dem Frustabbau über die linken Erfolge des letzten Jahres dienen. Denn in der Schweiz gilt die Devise: Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung.
Der nächste Termin ist am 8. März 2026, also in etwas mehr als drei Monaten. Es dürfte es kompliziert werden. Dann stehen auf eidgenössischer Ebene gleich mehrere gewichtige Vorlagen an, bei denen sich ganz unterschiedliche Lager gegenüberstehen:
Klimafonds
Einen klaren Links-rechts-Gegensatz gibt es bei der Klimafonds-Initiative von SP und Grünen. Hier zeichnet sich tatsächlich eine weitere Pleite für die Linke ab. Das liegt nicht nur daran, dass auch die Juso-Initiative die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer für Superreiche dem Klimaschutz zukommen lassen wollte. Das Begehren steht generell quer in der Landschaft.
Die Klimakrise bleibt eine Realität, doch auf der Sorgenliste der Bevölkerung wurde sie durch steigende Mieten und Krankenkassenprämien verdrängt. Hinzu kommen die härteren Verteilkämpfe um die Bundesfinanzen. Letztlich ist es einfacher, Mehrheiten gegen den Autobahnausbau zu organisieren als für die Einrichtung eines Klimafonds.
Bargeld
Die rechtsbürgerlichen Köpfe hinter der Volksinitiative «Bargeld ist Freiheit» halten an ihrem Begehren fest, obwohl das Parlament ihnen mit einem direkten Gegenvorschlag weit entgegengekommen ist. Damit wird es erstmals seit 2010 bei einer eidgenössischen Vorlage eine Stichfrage geben. Tendenziell dürfte der Gegenvorschlag dabei im Vorteil sein.
Absehbar ist ein Stadt-Land-Graben, denn im ländlichen Raum gilt noch die Devise «Nur Bares ist Wahres», während in den Städten immer öfter mit Karte bezahlt wird. Auch wenn es bei uns noch nicht so krass ist wie in London, wo man sich mit Cash ziemlich exotisch vorkommt, oder in Stockholm, wobei die Schweden zuletzt einen Rückzieher machten.
SRG
Die emotionalste Vorlage dürfte die SVP-Initiative «200 Franken sind genug!» sein, die eine deutliche Reduktion der SRG-Empfangsgebühr fordert. Sie ist weniger radikal als die 2018 gescheiterte No-Billag-Initiative und gilt deshalb als nicht chancenlos, obwohl sie bis weit ins bürgerliche Lager bekämpft wird. Insbesondere die Mitte-Wählerschaft gilt als SRG-affin.
Bei dieser Vorlage könnte es einen doppelten Sprachengraben geben. Die Romandie und Graubünden dürften wie bei No Billag deutlich Nein sagen, während in der Svizzera Italiana ein Ja möglich ist, obwohl sie überproportional vom Gebührentopf profitiert. Doch das Tessin ist auch der Kanton mit den tiefsten Löhnen und den höchsten Krankenkassenprämien.
Individualbesteuerung
Die gewichtigste, aber auch komplizierteste Vorlage betrifft die Individualbesteuerung. Es geht um den grossen Systemwechsel: Verheiratete sollen wie Konkubinatspaare künftig getrennte Steuererklärungen einreichen. Hier verlaufen die Fronten zwischen (Links)Liberal und Konservativ. Eine Allianz von SVP bis Mitte hat erfolgreich das Referendum ergriffen.
Im Parlament war es vor allem im Ständerat sehr knapp. Bei der Abstimmung allerdings könnten sich die Fronten «aufweichen». So geben Mitte-Politiker zu, dass ein Teil ihrer Basis sich mit der Individualbesteuerung angefreundet habe. Unklar ist hingegen, wie geschlossen die FDP hinter dem «Herzensanliegen» der neuen Co-Präsidentin Susanne Vincenz-Stauffacher steht.
Vieles scheint am kommenden 8. März möglich, wobei ein rechter «Durchmarsch» wahrscheinlicher ist als eine Fortsetzung des Linkstrends. Mehr erfahren wird man, wenn erste Umfragen vorliegen. Und weitere Vorlagen mit linkem Erfolgspotenzial sind in der Pipeline, etwa die Volksinitiative für höhere Ehepaar-Renten, die allerdings von der Mitte-Partei stammt.
