Schweiz
Wirtschaft

Sinkende Kriegsmaterial-Exporte: Die Schweiz in der Neutralitätsfalle

ARCHIV - ZUR EINREICHUNG DER KORREKTUR-INITIATIVE STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - 9-Millimeter-Patronen laufen am Donnerstag, 25. Juli 2002 in Thun in der Munitionsabteilung  ...
Munition ist das wichtigste Schweizer Exportprodukt, doch die Ausfuhr ist rückläufig.Bild: KEYSTONE
Analyse

Kriegsmaterial-Exporte: Die Schweiz in der Neutralitätsfalle

Europa rüstet auf, doch die Schweizer Industrie profitiert nicht davon. Und nun droht der wichtigste Kunde Deutschland wegzufallen. Das liegt nicht nur am Kriegsmaterialgesetz.
17.03.2025, 16:3917.03.2025, 17:40
Mehr «Schweiz»

In den Schweizer Waffenfabriken ist der Ernstfall eingetreten. Und das nicht, weil Europa im grossen Stil aufrüstet. Im Gegenteil: Martin Hirzel, der Präsident des Industrieverbands Swissmem, klagte kürzlich an der Jahresmedienkonferenz, die Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie sei in den letzten Jahren «regelrecht aus dem Land getrieben» worden.

Die Zahlen sprechen für sich: 2024 sind die Verteidigungsausgaben in Europa gemäss dem Thinktank International Institute for Strategic Studies (IISS) um knapp zwölf Prozent angestiegen. Also bevor Donald Trump den Europäern die Pistole auf die Brust gesetzt hat. Im selben Jahr gingen die Schweizer Kriegsmaterial-Exporte um fünf Prozent zurück.

Die Thuner Munitionsfabrik Swiss P Defence fotografiert, am Mittwoch, 5. Maerz 2025 in Thun. Die Thuner Munitionsfabrik Swiss P Defence hat zahlreiche Mitarbeitende per sofort freigestellt, wie " ...
Die ehemalige Ruag-Tochter Swiss P Defence in Thun droht abgewickelt zu werden.Bild: keystone

Der europäische Rüstungsboom wird sich beschleunigen, doch die Schweiz bleibt aussen vor. Martin Hirzel machte die «sehr restriktiven Exportbestimmungen» dafür verantwortlich. Also in erster Linie das verschärfte Kriegsmaterialgesetz. Das Parlament hatte es im Herbst 2021 verabschiedet, wenige Monate vor dem russischen Überfall auf die Ukraine.

Unzuverlässiger Partner

In der Folge hat der Bund Gesuche aus Dänemark, Deutschland und Spanien für die Weitergabe von in der Schweiz gekauften Rüstungsgütern an das angegriffene Land abgelehnt. Das sorgte bei Kunden der Rüstungsindustrie für Unmut, auch in Deutschland, dem mit Abstand wichtigsten Abnehmer von Schweizer Kriegsmaterial.

Fällt er weg, wird es düster. Und genau dies droht gemäss der «NZZ am Sonntag». An einem «Parlamentarier-Frühstück» soll Michael Flügger, der deutsche Botschafter in Bern, ausgeführt haben, in Zukunft werde man «kaum noch Rüstungsgüter in der Schweiz bestellen». Das verschärfte Kriegsmaterialgesetz mache die Schweiz «zu einem unzuverlässigen Partner».

«An die Wand gefahren»

Der grösste «Exportschlager» sind Munition sowie Munitionsbestandteile. Doch wie lange noch? Die Thuner Munitionsfabrik Swiss P Defence, der wichtigste Hersteller, wird gemäss «Blick» vom italienischen Eigentümer Beretta «mit Vollgas an die Wand gefahren». Wegen des strengen Exportregimes seien Dutzende Mitarbeiter freigestellt worden.

Gleichzeitig werde Know-how an andere Standorte wie Fürth in Deutschland ausgelagert. Und eine Produktion nur für die Schweiz lohnt sich in Thun offenbar nicht. Bürgerliche Politiker sind besorgt, auch wegen der angestrebten Aufrüstung der Armee. Die Vorstellung, Munition künftig im Ausland einkaufen zu müssen, bereitet ihnen Bauchschmerzen.

Sie setzen auf eine Anpassung des restriktiven Kriegsmaterialrechts, doch damit wäre das Problem nicht gelöst:

Kriegsmaterialgesetz

Dessen Verschärfung war beschlossen worden, um den Rückzug der von einer linksgrünen Allianz um die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) lancierten Korrekturinitiative zu ermöglichen. Eine vom Bundesrat beantragte Ausnahmeregelung wurde abgelehnt. Noch bevor das Gesetz in Kraft trat, marschierte Russland in die Ukraine ein.

Seit zwei Jahren ringt das Parlament um eine Lösung, bislang erfolglos. Letztes Jahr votierte eine ultraknappe Mehrheit der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) des Nationalrats dafür, das Wiederausfuhr-Verbot für Länder zu lockern, die über ähnliche Mechanismen für die Exportkontrolle verfügen und mit der Schweiz ähnliche Werte teilen.

Der Bundesrat beantragt zudem erneut eine Ausnahmeregelung «bei ausserordentlichen Umständen». Er reagiert damit auf einen Vorstoss aus dem Parlament. Eine Debatte über das Kriegsmaterialgesetz könnte in der Sommersession im Juni traktandiert werden. Doch ob und wann eine Lockerung umgesetzt werden könnte, steht in den Sternen.

Neutralitätsrecht

FILE - Ukraine's President Volodymyr Zelenskyy addresses the 79th session of the United Nations General Assembly, Sept. 25, 2024, at UN headquarters. (AP Photo/Julia Demaree Nikhinson, File)
Die UNO-Generalversammlung hat den russischen Angriff wiederholt verurteilt, wenn auch mit abnehmenden Mehrheiten.Bild: keystone

Das grössere Problem ist das Neutralitätsrecht. So verlangt das Haager Abkommen von 1907, dass neutrale Länder alle Kriegsparteien gleich behandeln. Im Fall von Deutschland bedeutet dies, dass die Bundeswehr keinen Nachschub aus der Schweiz bekommt, wenn in Osteuropa der NATO-Bündnisfall eintritt und sie in Kämpfe gegen Russland verwickelt wird.

Es erstaunt deshalb nicht, dass man sich in Berlin genau überlegt, ob man Munition in der Schweiz einkaufen soll. Beim Neutralitätsrecht allerdings geht es um weit mehr als beim Kriegsmaterialgesetz, nämlich um die «DNA» des Landes. Dabei ist selbst unter Experten umstritten, wie weit das Haager Abkommen für neutrale Länder noch bindend ist.

Sie verweisen auf die Charta der Vereinten Nationen, die klar zwischen Angreifer und Opfer, zwischen ungerecht und gerecht Kriegführenden unterscheidet. Weil der UNO-Sicherheitsrat im Ukraine-Krieg lahmgelegt ist, könnte «Uniting for Peace» zum Tragen kommen. Dafür muss die Generalversammlung einen Angriff verurteilen, was wiederholt geschehen ist.

Auf eine Neutralitätsdebatte aber hat in der Schweiz niemand Lust. Der Bundesrat wies im September 2022, also nach Beginn des Ukraine-Kriegs, sogar den Neutralitätsbericht des Aussendepartements zurück. Darin wollte Aussenminister Ignazio Cassis mit dem Konzept der «kooperativen Neutralität» etwa die Wiederausfuhrregeln für Kriegsmaterial lockern.

«Ohne Exporte kann die Rüstungsindustrie wirtschaftlich nicht überleben. Und ohne eigene Rüstungsindustrie können die Systeme der Schweizer Armee nicht einsatzbereit gehalten werden», warnte Swissmem-Präsident Martin Hirzel. Doch selbst bürgerliche Politiker müssen einräumen, dass es keinen einfachen Ausweg aus der Neutralitätsfalle gibt.

Das Kriegsmaterialgesetz solle «so frei sein wie möglich», meinte der St.Galler SVP-Nationalrat Michael Götte gegenüber der «NZZ am Sonntag». Aber die Neutralität setze «der Schweiz Schranken, an denen wir nicht rütteln sollten». Es sind Kreise im Umfeld seiner Partei, die sie mit der Neutralitätsinitiative in der Verfassung verankern wollen.

Das Dilemma ist kaum aufzulösen: Wegen der Neutralität wäre die Schweiz darauf angewiesen, eine starke Rüstungsindustrie im Land zu halten. Und wegen der Neutralität droht sie, diese langsam zu verlieren. Vielleicht bietet gerade die Neutralitätsinitiative die Chance, diese Debatte vertieft zu führen. Vielleicht auch nicht.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Top 10 der Kriegsmaterial-Exporteure
1 / 13
Die Top 10 der Kriegsmaterial-Exporteure
Platz 1: USA. 33 Prozent des weltweiten Waffenhandels zwischen 2011 und 2015 entfielen auf die Vereinigten Staaten. Hauptabnehmer: Saudi-Arabien. Im Bild: F-35 Kampfjet. Hier geht's zur Studie.
quelle: x00866 / © yuri gripas / reuters
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Bundesrat bei den Waffenexporten entmachtet
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
109 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Ghandi
17.03.2025 16:52registriert Mai 2018
Da haben wir uns mit unserer sturen Geschäftlimacherei selbst ins Bein geschossen. Es ist richtig, dass wir keine Waffen nach Saudi Arabien und den Iran exportieren, was Dank dem verschärften Kriegsmaterialgesetz endlich umgesetzt wird. Es ist jedoch ein Hohn, dass der Bundesrat die Ausnahmegesuche von DE, IT etc. zur Ausfuhr an die Ukraine abgelehnt hat. Wir hätten uns sogar mit DE über einen Ringtausch gleichzeitig aufrüsten und stärken können. Haben es aber bevorzugt, unsere direkte Nachbarn und andere Verbündete aufgrund der Schein-Neutralität im Regen stehen zu lassen.
18520
Melden
Zum Kommentar
avatar
Jonas der doofe
17.03.2025 17:08registriert Juni 2020
Ich fasse zusammen:
Wir haben eine Indistrie, die ist gut und macht gute Produkte.

Nun werden die benötigt aber wir verbieten es unseren Kunden, die auch wirklich einzusetzen.

Und jetzt sind wir überrascht, dass die nicht mehr bestellen wollen.

Also manchmal frage ich mich schon...
1358
Melden
Zum Kommentar
avatar
mrmikech
17.03.2025 16:58registriert Juni 2016
Was bringt die Neutralität der Schweiz konkret? Ich sehe nur Vorteile für den Finanzsektor. Die diplomatischen „guten Dienste“ sind nutzlos geworden – wir spielen in diesem Bereich keine Rolle mehr. Wollen wir also wirklich nur den Finanzsektor unterstützen? Geht es wirklich nur ums Geld?
12517
Melden
Zum Kommentar
109
Vermiest Donald Trump der Schweiz den 1. August?
Die USA haben der Schweiz eine Gnadenfrist bis Ende Juli gewährt. Ab dann drohen Zölle auf Schweizer Güter von 31 Prozent. Schafft die Schweiz vorher doch noch einen Deal wie die EU?
Und nun hat die EU die Schweiz doch überholt.
Zur Story