In den Schweizer Waffenfabriken ist der Ernstfall eingetreten. Und das nicht, weil Europa im grossen Stil aufrüstet. Im Gegenteil: Martin Hirzel, der Präsident des Industrieverbands Swissmem, klagte kürzlich an der Jahresmedienkonferenz, die Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie sei in den letzten Jahren «regelrecht aus dem Land getrieben» worden.
Die Zahlen sprechen für sich: 2024 sind die Verteidigungsausgaben in Europa gemäss dem Thinktank International Institute for Strategic Studies (IISS) um knapp zwölf Prozent angestiegen. Also bevor Donald Trump den Europäern die Pistole auf die Brust gesetzt hat. Im selben Jahr gingen die Schweizer Kriegsmaterial-Exporte um fünf Prozent zurück.
Der europäische Rüstungsboom wird sich beschleunigen, doch die Schweiz bleibt aussen vor. Martin Hirzel machte die «sehr restriktiven Exportbestimmungen» dafür verantwortlich. Also in erster Linie das verschärfte Kriegsmaterialgesetz. Das Parlament hatte es im Herbst 2021 verabschiedet, wenige Monate vor dem russischen Überfall auf die Ukraine.
In der Folge hat der Bund Gesuche aus Dänemark, Deutschland und Spanien für die Weitergabe von in der Schweiz gekauften Rüstungsgütern an das angegriffene Land abgelehnt. Das sorgte bei Kunden der Rüstungsindustrie für Unmut, auch in Deutschland, dem mit Abstand wichtigsten Abnehmer von Schweizer Kriegsmaterial.
Fällt er weg, wird es düster. Und genau dies droht gemäss der «NZZ am Sonntag». An einem «Parlamentarier-Frühstück» soll Michael Flügger, der deutsche Botschafter in Bern, ausgeführt haben, in Zukunft werde man «kaum noch Rüstungsgüter in der Schweiz bestellen». Das verschärfte Kriegsmaterialgesetz mache die Schweiz «zu einem unzuverlässigen Partner».
Der grösste «Exportschlager» sind Munition sowie Munitionsbestandteile. Doch wie lange noch? Die Thuner Munitionsfabrik Swiss P Defence, der wichtigste Hersteller, wird gemäss «Blick» vom italienischen Eigentümer Beretta «mit Vollgas an die Wand gefahren». Wegen des strengen Exportregimes seien Dutzende Mitarbeiter freigestellt worden.
Gleichzeitig werde Know-how an andere Standorte wie Fürth in Deutschland ausgelagert. Und eine Produktion nur für die Schweiz lohnt sich in Thun offenbar nicht. Bürgerliche Politiker sind besorgt, auch wegen der angestrebten Aufrüstung der Armee. Die Vorstellung, Munition künftig im Ausland einkaufen zu müssen, bereitet ihnen Bauchschmerzen.
Sie setzen auf eine Anpassung des restriktiven Kriegsmaterialrechts, doch damit wäre das Problem nicht gelöst:
Dessen Verschärfung war beschlossen worden, um den Rückzug der von einer linksgrünen Allianz um die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) lancierten Korrekturinitiative zu ermöglichen. Eine vom Bundesrat beantragte Ausnahmeregelung wurde abgelehnt. Noch bevor das Gesetz in Kraft trat, marschierte Russland in die Ukraine ein.
Seit zwei Jahren ringt das Parlament um eine Lösung, bislang erfolglos. Letztes Jahr votierte eine ultraknappe Mehrheit der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) des Nationalrats dafür, das Wiederausfuhr-Verbot für Länder zu lockern, die über ähnliche Mechanismen für die Exportkontrolle verfügen und mit der Schweiz ähnliche Werte teilen.
Der Bundesrat beantragt zudem erneut eine Ausnahmeregelung «bei ausserordentlichen Umständen». Er reagiert damit auf einen Vorstoss aus dem Parlament. Eine Debatte über das Kriegsmaterialgesetz könnte in der Sommersession im Juni traktandiert werden. Doch ob und wann eine Lockerung umgesetzt werden könnte, steht in den Sternen.
Das grössere Problem ist das Neutralitätsrecht. So verlangt das Haager Abkommen von 1907, dass neutrale Länder alle Kriegsparteien gleich behandeln. Im Fall von Deutschland bedeutet dies, dass die Bundeswehr keinen Nachschub aus der Schweiz bekommt, wenn in Osteuropa der NATO-Bündnisfall eintritt und sie in Kämpfe gegen Russland verwickelt wird.
Es erstaunt deshalb nicht, dass man sich in Berlin genau überlegt, ob man Munition in der Schweiz einkaufen soll. Beim Neutralitätsrecht allerdings geht es um weit mehr als beim Kriegsmaterialgesetz, nämlich um die «DNA» des Landes. Dabei ist selbst unter Experten umstritten, wie weit das Haager Abkommen für neutrale Länder noch bindend ist.
Sie verweisen auf die Charta der Vereinten Nationen, die klar zwischen Angreifer und Opfer, zwischen ungerecht und gerecht Kriegführenden unterscheidet. Weil der UNO-Sicherheitsrat im Ukraine-Krieg lahmgelegt ist, könnte «Uniting for Peace» zum Tragen kommen. Dafür muss die Generalversammlung einen Angriff verurteilen, was wiederholt geschehen ist.
Auf eine Neutralitätsdebatte aber hat in der Schweiz niemand Lust. Der Bundesrat wies im September 2022, also nach Beginn des Ukraine-Kriegs, sogar den Neutralitätsbericht des Aussendepartements zurück. Darin wollte Aussenminister Ignazio Cassis mit dem Konzept der «kooperativen Neutralität» etwa die Wiederausfuhrregeln für Kriegsmaterial lockern.
«Ohne Exporte kann die Rüstungsindustrie wirtschaftlich nicht überleben. Und ohne eigene Rüstungsindustrie können die Systeme der Schweizer Armee nicht einsatzbereit gehalten werden», warnte Swissmem-Präsident Martin Hirzel. Doch selbst bürgerliche Politiker müssen einräumen, dass es keinen einfachen Ausweg aus der Neutralitätsfalle gibt.
Das Kriegsmaterialgesetz solle «so frei sein wie möglich», meinte der St.Galler SVP-Nationalrat Michael Götte gegenüber der «NZZ am Sonntag». Aber die Neutralität setze «der Schweiz Schranken, an denen wir nicht rütteln sollten». Es sind Kreise im Umfeld seiner Partei, die sie mit der Neutralitätsinitiative in der Verfassung verankern wollen.
Das Dilemma ist kaum aufzulösen: Wegen der Neutralität wäre die Schweiz darauf angewiesen, eine starke Rüstungsindustrie im Land zu halten. Und wegen der Neutralität droht sie, diese langsam zu verlieren. Vielleicht bietet gerade die Neutralitätsinitiative die Chance, diese Debatte vertieft zu führen. Vielleicht auch nicht.
Wir haben eine Indistrie, die ist gut und macht gute Produkte.
Nun werden die benötigt aber wir verbieten es unseren Kunden, die auch wirklich einzusetzen.
Und jetzt sind wir überrascht, dass die nicht mehr bestellen wollen.
Also manchmal frage ich mich schon...