An der Wasserwerkstrasse in Basel klingelt es an einer Wohnung. Als die Bewohner öffnen, drängen schwarz gekleidete Personen hinein. Sie tragen Motorradhelme, Schutzschilder und Holzlatten. Der Vater wird mit Klebeband gefesselt, die Mutter an den Haaren aus der Wohnung gezerrt. Drei Kinder schreien aus Angst und wegen des Gases aus den Pfeffersprays – dann werden sie ebenfalls aus der Wohnung bugsiert. Schliesslich beginnen die Vermummten die Einrichtung zu zerstören.
Ereignet hatte sich der Vorfall bereits am 20. März 2016. Der Vorfall hat Konsequenzen. Am Montag stehen nun 10 Angeklagte vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt wirft ihnen unter anderem Freiheitsberaubung, Entführung, Raub und Angriff vor. Sie hat dafür einen wichtigen Beweis: Videoaufnahmen einer versteckten Kamera, die das Paar installiert hatte. Das Video dieses Überfalls ist auf Youtube zu finden.
Der Überfall hat eine brisante Vorgeschichte. Beim Wohnungspaar handelt es sich um das russische Künstlerpaar Oleg Worotnikow (38) und Natalja Sokol (37). Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern des Künstlerkollektivs «Voina», was auf Russisch Krieg bedeutet. In Russland selbst ist das Kollektiv mit staatskritischen Aktionen bekannt geworden. Ein Teil der Gruppe hatte sich abgespalten und die Punkband Pussy Riots gegründet.
In die Schweiz kamen die Künstler auf Einladung des Zürcher Cabaret Voltaire. Sie blieben mit ihren drei Kindern (im Alter zwischen fast ein und sechs Jahren) in der Schweiz – aus Angst vor Verfolgung in der Heimat. In der Wohngemeinschaft Gnischter in Basel erhielten sie eine Bleibe. Dies in einem Haus, das die linke Hausbesetzerszene vor dem Abriss gerettet hatte.
Zum Streit kam es, weil das Künstlerpaar eine Form der Anarchie lebte, die den Baslern zu weit ging. Aus Sicht der Russen wiederum waren die Basler Spiesser. Eine Mailnachricht einer Leiterin des Vereins Wasserstrasse an die Familie illustriert den Konflikt: «Ihr zerstört unsere Gemeinschaft im Haus. Ich brachte euch hierher in der Erwartung, intelligente Leute zu beherbergen, die minimalste Anstandsregeln befolgen. Aber offensichtlich wisst ihr nicht einmal, dass man nicht dort scheisst, wo man isst.»
Das Paar aus Russland trieb das Wohnsystem an der Wasserstrasse ad absurdum, indem es die Wohnung einfach besetzte. Eine Besetzung innerhalb der Besetzung. Die Bewohner, die sich einst selber gegen eine polizeiliche Räumung wehrten, drohten der Familie mehrmals eine Räumung der Wohnung an. Da es dem Prinzip der Autonomen widersprechen würde, die Polizei für ihren internen Streit zu holen, schritten sie nach einem Jahr selber zur Tat – und stehen nun vor Gericht.
Nachdem die Familie aus der Basler Anarcho-Zone vertrieben worden war, flüchtete sie nach Deutschland. Wo sie sich nun aufhält, ist nicht bekannt. (jk/mau) (aargauerzeitung.ch)