Schweiz
Christoph Blocher

Blochers Gratis-Zeitungen drucken seinen eigenen Artikel

ARCHIV - ZUR MELDUNG ZUM STURZ VON ALTBUNDESRAT CHRISTOPH BLOCHER IM BUNDESHAUS STELLEN WIR IHNEN DIESES ARCHIVBILD ZUR VERFUEGUNG - Christoph Blocher posiert hinter einem Vorhang am Freitag, 9. Mai 2 ...
Seine eigenen Zeitungen haben einen Gastbeitrag von Christoph Blocher veröffentlicht.Bild: KEYSTONE

Blochers Zeitungsimperium druckt seinen eigenen Artikel gegen «fremde Richter»

Im August 2017 erwarb Christoph Blocher 24 Gratis-Wochenzeitungen. Damals versprach er, keine politischen Ziele damit zu verfolgen. Nun erscheint ein Artikel von Blocher in den Zeitungen, welche rund 700'000 Schweizer Haushalten zugestellt werden. Der SVP-Doyen sieht die redaktionelle Unabhängigkeit nicht in Gefahr.
08.08.2018, 19:1010.08.2018, 00:30
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Aus den insgesamt 697'827 Exemplaren der Gratis-Zeitungen aus dem Hause Swiss Regiomedia AG schaut dem Leser diese Woche ein nachdenklicher Christoph Blocher entgegen. Er sitzt an einem Holztisch, das Kinn in der rechten Hand. «Nachlese zum 1. August», heisst es über der Seite. Darunter ist ein Artikel mit dem Titel «Hintergrund einer Geburtstagsfeier» abgedruckt. Der Autor: Christoph Blocher, alt Bundesrat, SVP-Vordenker – und Miteigentümer der Swiss Regiomedia AG.

In den Gratis-Wochenzeitungen steckt diese Woche gleich eine doppelte Portion Blocher: Auf den Inserate-Seiten ist ein Interview mit ihm abgedruckt, ebenfalls mit einem Foto von Blocher illustriert. Der Titel: «Braucht die Schweiz einen EU-Knechtschaftsvertrag?» (siehe Infobox am Ende des Artikels).

Blochers Gastbeitrag in seinen Gratis-Zeitungen.
Blochers Gastbeitrag in seinen Gratis-Zeitungen.screenshot st. galler nachrichten

Die 24 Gratis-Blätter der Verlagsgruppe, welche grösstenteils per Post zugestellt werden, kaufte Blocher im August 2017 dem Zehnder-Verlag in Wil SG ab. Beunruhigten Stimmen, welche angesichts des Zuwachses an Medienmacht eine politische Einflussnahme durch Blocher befürchteten, widersprach der SVP-Doyen damals. Mit dem Kauf verfolge er keine politischen Zielen. «Die Redaktionen sind unabhängig», liess er sich in einer Medienmitteilung zum Deal zitieren.

Ein knappes Jahr nach der Übernahme erscheint nun ein Text von Blocher im redaktionellen Teil sämtlicher Ausgaben seines Zeitungsimperiums. Diese werden von Lokalredaktionen an 11 verschiedenen Standorten hergestellt. Der Artikel handelt von Blochers Gedanken beim Lesen von verschiedenen Interviews aus Anlass des Schweizer Nationalfeiertags. Und was er gelesen hat, gefiel Blocher offenbar nicht. Viel «Heuchlerisches und Verlogenes» sei da gesagt worden.

«Gegen die Schweiz dreckeln»

Den bekannten Literaturwissenschafter Peter von Matt etwa bezeichnet Blocher wegen dessen Aussagen im SonntagsBlick als «edlen Herr Professor». Von Matts Kritik am «Hochmut» und «Misstrauen gegenüber allem Fremden» der Schweizer kommentiert Blocher mit dem Sprichwort: «Je gelehrter, desto verkehrter.»

ARCHIVE --- DER GERMANIST PETER VON MATT FEIERT AM 20. MAI SEINEN 80. GEBURTSTAG. DER EHEMALIGE PROFESSOR FUER NEUERE DEUTSCHE LITERATUR AN DER UNIVERSITAET ZUERICH WURDE MIT SEINEN BUECHERN UND REDEN ...
Der Germanist Peter von Matt.Bild: KEYSTONE

Auch am Interview des Tages-Anzeigers mit dem Historiker Valentin Groebner von der Uni Luzern – einem gebürtigen Österreicher – findet Blocher keinen Gefallen. Wie von Matt sei dieser Teil einer «selbsternannten Elite». Die ursprünglichen Schweizer Werte, wie  im Bundesbrief beschworen, würden von diesen Professoren «beseitigt werden».

Von Groebner schlägt das Polit-Urgestein den Bogen – «wenn wir schon bei Österreich sind» – zu Ursula Plassnik, der österreichischen Botschafterin in Bern. In einem Interview mit der wirtschaftsnahen Denkfabrik Avenir Suisse sei sie dazu herausgefordert worden, «gegen die Schweiz zu dreckeln».

Der Text schliesst mit einer Kritik an den «selbsternannten Vögten», welche jede Zeit kenne. Am schlimmsten seien «diejenigen unter den Schweizern», die sich selber als «Visionäre», als «weltoffen» und «vorwärtsgewandt» bezeichnen. Das dient gemäss Blocher lediglich dem Zweck, den Bürgern «Selbstbestimmung und Freiheit zu rauben» und «dem Schweizer Recht internationales Recht überzustülpen».

Blocher: «Kann jeder Kolumnen schreiben ausser ich?»

Die Leser gewisser Gratis-Wochenzeitungen – z.B. «St.Galler Nachrichten» oder «Winterthurer Zeitung » – haben Blochers Text bereits heute in ihren Briefkästen gefunden. In anderen Zeitungen der Swiss Regiomedia AG, wie «Luzerner Rundschau» oder «Aarauer Nachrichten», erscheint der Artikel am Donnerstag oder am Freitag, wie CEO Marcel Geissbühler auf Anfrage von watson sagt.

«Christoph Blocher ist auf uns zugekommen und hat uns den Artikel zur Publikation angeboten», erklärt Geissbühler den Vorgang. Er habe sich als Verleger dafür entschieden, den Blocher-Text als Teil des überregionalen Mantels zu publizieren, sagt Geissbühler. Als Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit sieht Geissbühler den Vorgang nicht: «Die Redaktionen unserer Zeitungen sind in der Gestaltung des regionalen Teils völlig frei.» Ausserdem sei Blochers Text kein Einzelfall: «Wir drucken immer wieder mal Gastbeiträge von externen Autoren ab.»

Für Geissbühler ist der Artikel «hervorragend geschrieben und vom Thema her interessant». Er habe sich wegen der Qualität des Texts für eine Publikation entschieden und nicht, weil Blocher Mitbesitzer der Verlagsgruppe sei. Schliesslich werde dieser auch von renommierten Tageszeitungen regelmässig für Gastbeiträge angefragt: «Deshalb sind wir glücklich, dass uns solch exklusiver Content angeboten wurde.»

Auch Christoph Blocher selbst sieht die redaktionelle Unabhängigkeit seiner Gratis-Wochenzeitungen durch seinen Beitrag nicht in Gefahr: «Glauben Sie, dass jedermann Kolumnen schreiben kann, mit Ausnahme des Eigentümers?» beantwortet er eine Anfrage von watson mit einer Gegenfrage. Natürlich hätten die Verantwortlichen bei der Swiss Regiomedia AG auch das Recht, eine solche Kolumne abzulehnen

BLOCHER-INTERVIEW ALS INSERAT
In den heute erschienenen Ausgaben der Swiss-Regiomedia-Zeitungen findet sich neben dem Gastbeitrag von Blocher auch ein Kurzinterview mit dem alt Bundesrat (Bild unten). Unter dem Titel «Braucht die Schweiz einen EU-Knechtschaftsvertrag?» äussert sich Blocher ablehnend zum geplanten Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Unter dem Interview findet sich ein Anmelde-Talon für einen Beitritt zu dem von Blocher gegründeten «Komitee gegen einen schleichenden EU-Beitritt».
Das Interview wurde gemäss Swiss-Regiomedia-CEO Marcel Geissbühler vom Komitee als Inserat gebucht. Dessen Inhalt verantwortet das Komitee als Werbekunde. Das Interview ist auf den Anzeigeseiten abgedruckt, nicht im redaktionellen Teil. Geissbühler spricht von einem Zufall, dass das Inserat in der gleichen Ausgabe erscheint wie der Gastbeitrag von Christoph Blocher. Das Komitee hat das Inserat auch in Zeitungen geschaltet, welche nicht zu Blochers Zeitungsimperium gehören. Es erschien beispielsweise im «Bärner Bär» der IMS Medien AG. Diese Gratis-Wochenzeitung unterhält allerdings eine Inserate-Kooperation mit den Swiss-Regiomedia-Titeln. (cbe)
Das Inserat in der «Winterthurer Zeitung».
Das Inserat in der «Winterthurer Zeitung».screenshot winterhurer zeitung

Blochers erste Begegnung mit Siri

Video: watson
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252 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Herbert Anneler
08.08.2018 19:23registriert August 2015
Wer ist nun der fremde Richter? Blocher himself!
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Yorik2010
08.08.2018 20:03registriert März 2017
Wir steuern locker auf einen Blocher-Knechtschaftvertrag hin. Da ist mir eigentlich der EU-Knechtschaftvertrag lieber, gegen den können wir uns wehren. Bei Blochers SVP wird es wesentlich schwieriger!
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Shelley
08.08.2018 20:33registriert März 2018
Langsam zeigen alle „Patrioten“ auf dieser Welt ihr wahres Gesicht. Lügen ist Teil ihrer Politik und es geht lediglich darum die Demokratien auszunutzen und ihre Oligarchie durchzusetzten. Sie sind offen antidemokratisch und das Getue um die direkte Demokratie dient schlussendlich nur der Manipulation der Massen zur Abschaffung der Volksrechte. Aber deppert, wer diesen Personen auch nur ein Wort glaubt und sie auch noch wählt. Wer glaubt allen Ernstes daran, dass die Miliardäre der SVP, die Probleme der Büezer und Bauern tatsächlich interessieren. Noch vorher gibts den Osterhasen
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