Das deutsche Bundesland Brandenburg hat Anfang dieses Jahres einen radikalen Weg gewählt, um die Zahl der Frauen in der Politik zu erhöhen. Mit dem am 31. Januar verabschiedeten Parité-Gesetz werden Parteien verpflichtet, auf ihren Listen gleich viele Frauen wie Männer zu führen.
Die Regelung wird erst bei den übernächsten Parlamentswahlen 2024 erstmals Wirkung zeitigen, sorgt aber jetzt schon für erbitterten Streit. CDU und AfD haben das Gesetz im Parlament bekämpft, die Piratenpartei und die Jungen Liberalen, die beide nicht im Landtag vertreten sind, haben angekündigt, das Gesetz juristisch anzufechten – es sei nicht vereinbar mit der Verfassung.
Bis dahin rollt die Lawine: Linke und Grüne Parteien in anderen Bundesländern werden bald nachziehen, die Grünen Bayern haben bereits ein entsprechendes Gesetz eingebracht. Über kurz oder lang wird die Forderung wohl auch den Weg in den Bundestag finden.
Und in der Schweiz? Das Land befindet sich am Anfang des Superwahljahrs, im Herbst finden National-und Ständeratswahlen statt, zahlreiche Kantone wählen ihr Parlament und ihre Regierung neu. Ein besonderes Augenmerk wird auf der Vertretung der Frauen liegen.
Während die Frauenquote in der Wirtschaft immer mehr Unterstützung geniesst, ist der Sukkurs für eine Quote in der Politik praktisch null. Das zeigt eine Umfrage bei den nationalen Parteien:
Natascha Wey, Co-Präsidentin der SP Frauen, sagt, sie würde sich nicht «gegen ein entsprechendes Gesetz» aussprechen. Gleichzeitig sieht sie ihre Partei nicht in der Verantwortung. «Die SP arbeitet seit Jahren konsequent an einer gleichmässigen Vertretung von Frauen und Männern». In der aktuellen Nationalrats-Legislatur übertrifft die SP die Parität mit 58.1%, etwas tiefer liegt der Wert in den kantonalen Parlamenten, nämlich bei 45.6 %.
An der letzten Delegiertenversammlung im Juni haben die SP-Frauen die Forderung nach einer paritätischen Vertretung im Hinblick auf die kommenden Wahlen gestellt. «Bis jetzt sieht so aus, als würden sich unsere Forderungen erfüllen.»
Es sei aber «nicht unsere Priorität, den Bürgerlichen zu erklären, wie sie die Gleichstellung in ihren Parteien verankern sollen», so Wey.
Tatsächlich droht aber auch der SP im Ständerat Ungemach. Die weiblichen Schwergewichte Anita Fetz, Pascale Bruderer und Géraldine Savary treten bei den nächsten Wahlen nicht mehr an. Zwar hat die Partei in Basel Stadt mit Eva Herzog eine hochkarätige Kandidatin in den Startlöchern, im Aargau aber wird es zukünftig keine SP-Ständerätin mehr geben: Cédric Wermuth setzte sich in der internen Ausmarchung gegen Yvonne Feri durch.
Für Andrea Gmür, Nationalrätin CVP, ist ein Gesetz der falsche Weg. «Ich würde ein solches Gesetz nicht unterschreiben, das Problem liegt nicht darin, dass zu wenige Frauen auf der Liste sind, sondern darin, die Frauen überhaupt erst zu motivieren.» Man sei aber auf dem richtigen Weg, sagt Gmür, die bei den kommenden Wahlen den Sitz des zurücktretenden Konrad Graber verteidigen wird.
Wichtiger als ein Paritätsgesetz sei es, die Dreifachbelastung aus Beruf, Kind und Politik zu schmälern. Darauf angesprochen, dass sich der wertkonservative Flügel der Partei oft gegen derartige Fortschritte stelle, sagt Gmür mit einem Augenzwinkern: «Wir arbeiten auch an unseren Männern.» Die CVP stellt aktuell im Parlament 9 Frauen, bei gesamthaft 27 Sitzen. In den Kantonen liegt die Quote bei 26.8 %).
Das Paritätsgesetz sei «gut gemeint», aber in der Umsetzung fehlerhaft, konstatiert Doris Fiala, Präsidentin der FDP Frauen. So werde das Pferd am Schwanz aufgezäunt: «Wenn man die ehrliche Diskussion führen will, müsste man über die heilige Kuh Milizsystem reden.» Dessen Herausforderungen seien für Frauen nur schwer zu bewältigen. «Der Dreiklang aus Beruf, Familie und Politik ist kräftezerschleissend.» Auch die Tradition der Ochsentour in den Parteien ist heute fragwürdig, gerade wenn man erst spät in die Politik einsteige: «Als 50-Jährige, gut ausgebildete und beruflich erfolgreiche Frau mit Kindern besitzt man ein Knowhow, das es abzuschöpfen gilt.»
Und zuletzt macht Fiala eine gewisse Dünnhäutigkeit bei Frauen aus: «Frauen wollen sich weniger exponieren, aber es heisst nun einmal nicht umsonst Wahlkampf und nicht Wahl-händchenhalten.» Kommt hinzu, dass sie als Liberale eine solche Bevormundung ohnehin nicht gutheissen könne.
Auch aus der SVP erfährt das Gesetz – wenig überraschend – Ablehnung. Von allen Parteien ist das Geschlechterverhältnis bei den Rechtskonservativen am unausgewogensten. Auf 54 Männer kommen im Nationalrat nur 11 Frauen, eine Ständerätin sucht man, wie bei der FDP auch, vergebens. Trotzdem will Nationalrätin Diana Gutjahr nichts von einem Paritätsgesetz wissen: «Eine Wahlliste darf nicht einfach das Geschlecht ins Zentrum stellen, sie muss etwa auch Regionen, Altersstufen und Berufe angemessen abbilden.»
Dass Gutjahr 2018 in einem Wahlspot der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen (EKF) auftrat, die sich mit dem Slogan «halbe-halbe» für eine 50-prozentige Vertretung von Frauen im Parlament stark machte, ist für Gutjahr kein Widerspruch. «Ich wollte in erster Linie Frauen dazu motivieren, sich für ein politisches Amt zur Verfügung zu stellen, und gleichzeitig zeigen, dass Frauen in allen Parteien, nicht nur in linken, zuhause sind.»
Ein Blick in die Parlamentshistorie zeigt, dass ein entsprechender Vorstoss hierzulande auf nationaler Ebene chancenlos wäre. Im Juni 2018 lehnte der Nationalrat eine Initiative von Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan ohne viel Federlesens mit 133 zu 52 Stimmen ab. Die Initiative verlangte damals eine Drittelsquote auf Nationalrats-Wahllisten.
Arslan zeigt sich entsprechend erfreut über die «nichts als fortschrittliche» Einführung des Paritätsgesetz in Brandenburg. Auch in der Schweiz müsse weiter dafür gekämpft werden. Denn: «Je weiter rechts man hinschaut, desto trostloser ist das Bild bei der Frauenvertretung». Es liegt aber nicht nur in der Verantwortung der Linken, für Gleichheit zu sorgen, sondern auch in der Rechten.
Dass ihr Vorstoss vergangenes Jahr Schiffbruch erlitt, überraschte Arslan nicht: «In dieser Konstellation ist eine Frauenquote im Parlament noch kein Thema.» Arslan ist aber sicher, dass die Zeit für sie spielt. «Bei der ‹Ehe für alle› wurden wir vor 25 Jahren auch noch belächelt. Heute sind wir fast soweit.»
Im Sinne der Zeitgeist. Gratulation. 👏🏽💪🏾
— Sibel Arslan (@SibelArslanBS) February 1, 2019
„Das Parlament des deutschen Bundeslandes Brandenburg beschliesst ein Gesetz, das Parteien ab 2020 verpflichtet, gleich viele Frauen wie Männer auf ihre Wahllisten zu setzen.“ @GrueneCH @GrueneBasel @BastA_BS @ParlCH @Die_Gruenen https://t.co/3ckGN55CYA
Eine überparteiliche Initiative zur Förderung der Frauen in der Politik wurde letzten Herbst von Operation Libero und Alliance F lanciert. «Helvetia ruft» versucht das, was in Brandenburg per Gesetz erreicht wurde, mit sanftem Druck zu erreichen: Eine 50-50 Vertretung von Frauen und Männern in der Politik. Die Freiwilligkeit entspreche mehr der schweizerischen Politik, sagt GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy, Co-Präsidentin von Alliance F. «Aber es ist klar, dass auch bei uns etwas vorwärts gehen muss, es ist Zeit, dass Frauen zu gleichen Teilen politisch mitentscheiden», so Bertschy. Die Tatsache, dass H«elvetia ruft» eine überparteiliche Kampagne ist, zeige überdies, dass der Missstand von Frauen über alle Parteien hinweg bemängelt wird.