Cäsar war der erste Römer, der einen Fuss auf die Insel Britannia setzte. Denn von diesem schwimmenden Land mit den wilden Küsten erhielten die Gallier immer wieder Unterstützung im Kampf gegen Rom. Das sollte aufhören. Cäsar schickte einen Gesandten, der von den keltischen Stämmen sofortige Unterwerfung forderte – oder wie es der Imperator nannte: Man solle sie «freiwillig unter den Schutz des römischen Volkes stellen». Das war im Jahr 55 v. Chr. Die Kelten wehrten sich 102 Jahre lang – dann wurde Britannia zur römischen Provinz.
Man baute Camulodunum (heutiges Colchester, Essex), eine Kolonie für die Veteranen der vier dort stationierten Legionen. Man vertrieb die Menschen von ihrem Land und pflanzte die neue Stadt auf ihre verlassenen Häuser. Man errichtete einen Tempel für den vergöttlichten Claudius – dieses «Bollwerk ewiger Zwangsherrschaft» wurde mit den Tributen finanziert, die die Inselkelten an die fremden Herrscher zu entrichten hatten.
Die Römer waren die Herren der Welt und so traten sie auch auf. Das Herz ihres Imperiums lag am Mittelmeer und ihre gierigen Hände fingerten nach Kleinasien, hinunter nach Nordafrika, hinauf zum Schwarzen Meer, und nun hatten sie auch Britannien erreicht.
Lange ertrugen die Kelten die Demütigungen, die ihnen auf ihrem eigenen Boden widerfuhren. Lange ertrugen sie sogar den raffgierigen und korrupten Finanzverwalter Catus Decianus und seine dreckigen Geldgeschäfte – bis er zu weit ging.
Diese Worte sprach Boudica zu ihren Männern kurz vor der letzten Schlacht gegen die Römer. Zumindest stehen sie so in den «Annalen» des römischen Geschichtsschreibers Tacitus geschrieben. Die Historiographen der Antike sind sehr grosszügig mit der Wahrheit umgegangen. Sie neigten zu Übertreibungen, sie liebten die Dramatik und sie nahmen schamlos Partei. Doch genau diese tendenziösen Färbungen verraten uns sehr viel über das Bild, das sich die Römer von dieser keltischen Kriegerkönigin und ihrem barbarischen Volk machten.
Als Prasutagus um das Jahr 60 herum stirbt, besteigt seine Frau den Thron. Boudica ist nun Königin der Icener, eines keltischen Stammes im Osten der Insel, auf dem Gebiet der heutigen Grafschaften Norfolk und Suffolk. Die Erben seines enormen Reichtums sind seine beiden Töchter – und der amtierende Kaiser Nero. Ihn hatte der König ins Testament geschrieben, um seiner Familie den Thron zu sichern. Er wollte sich mit den Römern gut stellen.
Doch es half nichts. Catus Decianus überfiel eines Tages den königlichen Palast. Seine Veteranen und Sklaven plünderten das Haus leer, schlugen Boudica und schändeten ihre Töchter. Sie vertrieben die vornehmen Icener von ihrem ererbten Besitz und verkauften die Verwandten des Königs in die Sklaverei.
Die Königin, ihre ganze Familie und alle Icener wurden durch diese Gräueltat beschmutzt und gedemütigt. Die Zeit für Vergeltung war gekommen. Und der Moment war günstig: Der Statthalter und Oberbefehlshaber über die britannischen Legionen – Gaius Suetonius Paulinus – war abwesend.
Tacitus berichtet uns, dass nun Boudica «in geheimen Verschwörungen die noch nicht von der Knechtschaft zermürbten Stämme zur Wiedergewinnung der Freiheit» bewogen habe. Dass sie sich als Frau an die Spitze ihrer Streitkräfte stellte, wertet er nicht. Er stellt nur nüchtern fest, dass die «Britannier im Oberbefehl nicht nach Geschlecht unterscheiden». Bei Cassius Dio, dessen Werk erst 150 Jahre nach Boudicas Aufstand erschien, klingt es anders:
Nach römischem Verständnis gehörte die Frau ins Haus und ganz sicher nicht aufs Schlachtfeld. Der Krieg und die Politik, das waren die Domänen der Männer. Deshalb beschrieb sie Dio wohl auch mit eher unweiblichen Attributen: Furcht erweckend sei ihre Erscheinung gewesen, ihr Auge blitzte und sie sprach mit rauer Stimme.
Boudica war für die Römer in erster Linie eine Barbarin. Sie gehörte einem wilden, kulturlosen und primitiven Volk an, das – wie Cäsar berichtet – Menschen opfert, um ihren falschen Göttern zu huldigen. Dass sie sich aber als Frau an die Spitze ihrer männlichen Streitkräfte stellte, überstieg das patriarchal organisierte Gehirn eines Römers.
Unvermutet greift sie mit ihren Männern die Veteranenkolonie Camulodunum an. Den Römern bleibt keine Zeit, ihre Frauen in Sicherheit zu bringen, Soldaten waren wenige da und so rollte die «bestialische Grausamkeit» der Inselkelten ungebremst über die Stadt:
Danach folgen Londinium (heutiges London) und Verulamium (südwestlich der heutigen Stadt St. Albans in der Grafschaft Hertfordshire). In blinder Tötungswut hätten die Barbaren die Städte in Schutt und Asche gelegt und dabei 70'000 römische Bürger und Verbündete niedergemacht, schreibt Tacitus. Die Zahl scheint allerdings reichlich übertrieben. Vielen Einwohnern gelang die Flucht. Und wahrscheinlich war nicht mal die Population der drei Städte zusammen so hoch.
Die Römer schöpfen Hoffnung, als endlich der Statthalter Suetonius zurückkehrt. Der Finanzverwalter Decianus hat sich inzwischen schändlich von der Insel gestohlen. Taktisch klug stellt der Feldherr die zahlenmässig weit überlegenen Britannier – Schätzungen gehen von ca. 100'000 Kelten vs. 10'000–13'000 römische Soldaten aus – in einer Schlacht auf offenem Feld. Nichts können die schlecht bewaffneten, bäuerlichen Kelten gegen die trainierten Römer, ihre eiserne Disziplin und ihre überlegene Schlachtformation ausrichten.
Wie Dio es beschreibt, haben letztlich die männliche Kraft und Vernunft über die weibliche Schwäche und Wildheit triumphiert. Alles ist wieder, wie es sein soll: Die Überlegenheit der Männer ist bestätigt. Der Geschichtsschreiber lässt Suetonius die folgenden Worte an seine Soldaten richten:
Vielleicht darum muss Boudica bei Tacitus geschlechtsbedingt mit Gift aus dem Leben scheiden. Kaiser Claudius wiederum – der Mann, der Britannia erst zur römischen Provinz machte – kam durch ein vergiftetes Pilzsüppchen um. Serviert hatte es ihm Agrippina. Seine Frau.