Diesen Sommer feiert der Busen seine Befreiung. Zumindest unter dem T-Shirt. Reihenweise würden die Frauen sich ihrer Büstenhalter entledigen und den hüpfenden Urzustand feiern. Das schreiben jedenfalls der Stern, die Bild und das Wunderweib.
Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass sich die Frau gegen ihre Brüste formende Kleidung auflehnt.
Erstmal sind Brüste das hervorstechende Geschlechtsmerkmal der Frau. Manchmal sind sie Verführerinnen, manchmal Ernährerinnen, dann wieder Symbole für den Kampf um die Gleichberechtigung. An der Art und Weise wie der Busen verhüllt oder eben nicht verhüllt wird, zeigt sich, welche Vorstellung die Menschen einer bestimmten Zeit von der Frau, ihrem Körper und letztlich auch ihrer Rolle haben: Der BH als Spiegel unserer Gesellschaft.
Stoffstreifen bedeckten die Brüste der alten Griechinnen und Römerinnen. Manche Quellen aus dem Spätmittelalter erzählen von Taschen für die Brüste – oder etwas rustikaler ausgedrückt: von «Tuttenseck».
Im 16. Jahrhundert kam das Korsett, dieses Gefängnis für den weiblichen Körper, das den Damen mit Hilfe von Walfischbein, Büffelhorn oder Stahlfedern jahrhundertelang die Luft abschnürte. Und wenn sie nicht gerade in Ohnmacht fielen, so taten sie nicht viel mehr als sittsam herumzusitzen und Tee zu trinken, während ihre Organe gequetscht, dafür die Taille verschmälert wurde. So dass ein Mann sie im Idealfall mit seinen Händen umfassen konnte.
Die Frauen wurden zum «S» geformt. Brust, Po und Taille wurden akzentuiert. Ihre Haltung war aufrecht, Bewegung nicht gefragt. Zugeschnürt und sittlich sollten sie sein. Zu beobachten ist diese starke Betonung auf die weiblichen Formen stets in Zeiten mit sehr strikten Rollenverhältnissen.
1910 nervte sich die New Yorkerin Mary Phelps über das Fischbein ihres Korsetts, das unter ihrem Abendkleid so hässlich hervorstach. Also nahm sie das Ding mit der Schere auseinander. Mit zwei seidenen Taschentüchern und rosa Bändern bastelte sie daraus einen BH – und befreite die Frauen aus ihren engen Miederwaren.
Dann kam der Erste Weltkrieg. Die Rohstoffe waren zu knapp für Korsetts, die neuen, stoffarmen Büstenhalter waren willkommen. Und die Frauen konnten sich vor allem darin bewegen. Denn jetzt, wo die Männer an der Front waren, mussten sie ihre Arbeit übernehmen: Sie wurden zu Kondukteurinnen, sie fegten die Strassen, schufteten in der Rüstungsindustrie oder als Krankenschwestern.
In den 20er-Jahren, mit neuem Selbstvertrauen ausstaffiert, verliessen die Frauen mit ihrem Bubikopf, in flachen Schuhen und Hosenanzügen den heimischen Herd und drangen in die Arbeitswelt ein. In der Nacht schauten ihre Beine aus glitzernden «Flapper»-Kleidern hervor, auf denen sie tanzten, während die Asche ihrer verlängerten Zigaretten auf die häusliche Tradition fiel.
An der Kleidung und insbesondere am BH kann man die Geschichte der Emanzipation der Frau ablesen. Die 20er waren die Jahre der androgynen Erscheinung. Die Frauen begannen sich den Männern anzunähern. Die BHs waren nicht formgebend, es handelte sich mehr um kleine Leibchen oder Binden. So wurde der Busen flach gedrückt, fast schon in die Unsichtbarkeit entrückt.
Mit Körbchengrössen beschäftigten sich die Frauen erst rund zehn Jahre später. Der Busen wurde runder geformt und die Kurven wieder mehr betont. Zur Freude der Soldaten, die Bilder von Pin-up-Girls wie Betty Grable in ihren Hosentaschen an die Front mitführten. Sie dienten den Männern als Unterhaltung, moralische Stütze und Trost in diesem elenden Krieg. Ganze Wände wurden mit den erotisch posierenden Damen tapeziert und manche prangten sogar an Flugzeugen.
Mit den Pin-ups wurde der BH zum Instrument der Kommerzialisierung des weiblichen Körpers. Und diese inszenierten Brüste bevölkern die Werbung bis heute.
Viele Frauen arbeiteten während des Zweiten Weltkriegs in der Waffenproduktion und der Armeeverwaltung, erledigten also abermals die Männerarbeit. Auch dafür wurden wieder neue BHs entworfen, die die Brüste bei den teilweise gefährlichen Tätigkeiten schützen sollten.
Aber als die Männer zurückkehrten, sollten die Frauen wieder ihren angestammten Platz im Haus einnehmen. Und sobald sich das weibliche Geschlecht in einer starren Rolle wiederfindet, werden dessen körperlichen Merkmale stärker betont: jetzt mit dem Spitztüten-Büstenhalter.
In den 60ern verkehrte sich die Sichtweise auf den BH in ihr Gegenteil. Zu Beginn des Jahrhunderts noch als Symbol der Befreiung aus dem Korsett gefeiert, bedeuteten diese Körbchen jetzt Unterdrückung, patriarchale Strukturen und Sexualisierung. Und so warfen amerikanische Feministinnen im Zuge der für sie als Fleischschau empfundenen Miss America Wahl ihre Büstenhalter in einen Freiheits-Mülleimer.
Am Ende passierte genau das, wogegen die Frauen ankämpften: Ihre entblössten Brüste wurden von den Medien zweckentfremdet, kommerzialisiert. Das Pin-up-Girl wurde durch das Protest-Girl ersetzt. Die Botschaft aber bleibt immer dieselbe: Sex sells.
In den 80ern trat Madonna als «Virgin» auf. In skandalösen Dessous. Aber damit machte sie Unterwäsche als Oberbekleidung salonfähig. Sie zog den BH sozusagen von der Intimität mitten hinein ins Rampenlicht.
In den 90ern rollte die letzte BH-Revolution über die Brüste dieser Welt und hob sie mindestens eine Etage höher. Dort oben, ganz nahe beieinander, zelebrierten sie die Wirkung eines Quetsch-Dekolletés. Und die war so mächtig, dass die «Wonderbra»-Plakate mit Eva Herzigová die fahrenden Männer Amerikas zum Stillstand brachte. Einige fuhren ihre Wagen vor lauter Starren gar zu Schrott.
Heute haben wir neben dem Push-up-Exemplar auch bügellose Triangel-BHs, wir haben softe Bustiers und solche mit Verstärkungen, die an Korsetts erinnern, wir haben selbst Korsetts, wir haben Sport- und Schalen-BHs. Die freie Wahl also.
Was aber passiert, wenn sich die Frauen des Büstenhalters gänzlich entledigen? Der Stern schreibt, das sei jetzt Trend. Weil schliesslich auch Kendall Jenner BH-los durch die Gegend spaziert. Und die Bild spricht gar von der #NoBraRevolution. Nun, danach sieht es zumindest auf Instagram nicht aus. Und ebenso wenig auf unseren Strassen.
Aber womöglich macht genau dies unsere Zeit aus: Jede, wie sie will. Wir sollten keinen Busen-Trends hinterherjagen, seien sie modisch, revolutionär, befreiungstechnisch oder wie auch immer geartet. Selbstbestimmung heisst das Zauberwort.
Nur bei einem Punkt sind sich sicher alle Frauen einig: Nach einem langen Arbeitstag aufs Sofa zu plumpsen und den BH in eine Ecke zu knallen, ist eine Wohltat ...