Im Herbst vor zwei Jahren hatte Till Eigenheer einen Freund vor dem Bezirksgericht Zürich vor einer Ordnungsbusse bewahrt. Der Fall ereignete sich im Januar 2015. Sein Mandant wurde mit acht Gramm Cannabis von der Stadtpolizei erwischt. Die Ordnungsbusse von 100 Franken wollte er nicht bezahlen, deshalb zog er vor Gericht.
Eigenheer, der damals im ersten Semester Jura studierte, konnte den Bezirksrichter überzeugen, dass sein Freund nichts Illegales getan hatte. Gestützt hat er sich dabei auf Artikel 19b im Betäubungsmittelgesetz (BetmG), der besagt, geringe Mengen in «Vorbereitung» auf den Eigenkonsum seien straffrei.
Tatsächlich besteht seit geraumer Zeit Rechtsunsicherheit im Bezug auf diesen Artikel. Was ist eine geringfügige Menge? Und was heisst vorbereiten? In der Praxis wird grundsätzlich jeder mit einer Ordnungsbusse von 100 Franken gebüsst, der mit Gras im Sack erwischt wird.
Das will Eigenheer nun ändern. Wie schon im letzten Fall vertritt er einen Mandanten, der zwei Mal mit Cannabis von der Stadtpolizei Zürich angehalten wurde. In beiden Fällen waren weniger als zehn Gramm im Spiel. «Ich erwarte, dass das Bezirksgericht sein Urteil von 2015 bestätigen wird und mein Mandant einen Freispruch erhält», sagt Till Eigenheer, der mittlerweile in der Rechtsanwaltskanzlei Bühlmann & Fritschi in Zürich arbeitet.
Ziel sei es, dass das Stadtrichteramt anschliessend fristgerecht Berufung einlegt, so dass das Obergericht des Kantons Zürich einen Grundsatzentscheid fällen kann. Dazu wurde das Stadtrichteramt sogar beauftragt. Denn nach dem letzten Fall vor zwei Jahren hatte der Gemeinderat eine Klärung des Sachverhaltes gefordert.
«Urteile in höheren Instanzen würden helfen, endgültig zu klären, ob der Besitz geringfügiger Mengen Cannabis unter Strafe steht», sagt Eigenheer. Das Verteilen von Ordnungsbussen wäre somit unrechtmässig.
Notfalls wolle der Mandant das Urteil sogar noch weiter ziehen. «Ich kann mir gut vorstellen, dass mein Mandant bis vor das Bundesgericht zieht», so Eigenheer. «Durch einen Bundesgerichtsentscheid würde endgültig Rechtssicherheit geschaffen.» In diesem Fall könne er nur im Hintergrund für seinen Mandanten tätig werden, da er als Jus-Student nicht zur Verteidigung zugelassen sei.
Zuerst steht aber die Verhandlung vor dem Bezirksgericht in Zürich im Juni an. Theoretisch müsste das Gericht sein Urteil vom letzten Herbst 2015 wiederholen. «Für mich ist die Rechtslage klar», sagt Stephan Schlegel, Rechtsanwalt und BetmG-Experte. Es könne aber sein, dass der Richter dies anders sieht. Eine konkrete Einschätzung, wie gut Eigenheers Chancen stehen, will Schlegel nicht geben.
Sollte das Bezirksgericht im Sinne Eigenheers entscheiden, muss das Stadtrichteramt erneut Berufung einreichen, der Fall landet vor dem Obergericht. Danach kann jede der beiden Parteien den Fall vor das Bundesgericht ziehen. «Wenn Eigenheer schlussendlich verlieren würde, würde ihn der Fall wohl nicht mehr als ein paar 1000 Franken kosten», schätzt Schlegel. «In ein bis zwei Jahren könnte Klarheit herrschen.»
Ein Urteil des Bundesgerichts in diesem Fall würde die polizeiliche Praxis beim Umgang mit geringen Mengen Cannabis in der ganzen Schweiz nachhaltig verändern. «Die Polizei könnte in diesem Fall nicht mehr mit gutem Gewissen Ordnungsbussen für den blossen Cannabisbesitz verteilen», sagt Schlegel.
Wie kürzlich veröffentlichte Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS) zeigen, ist die Anzahl Ordnungsbussen im Jahr 2016 auf etwas mehr als 19'000 Fälle angestiegen. Am meisten Bussen wurden im Kanton Zürich verteilt, was auf die Bevölkerungsdichte zurückzuführen ist.
Stellt man die Anzahl verteilter Bussen den Einwohnerzahlen gegenüber, so zeigt sich ein klareres Bild. Besonders bussenfreudig ist die Polizei im Kanton Zug. Dort werden mehr als fünf Bussen auf 1000 Einwohner verteilt. Auf sehr tiefem Niveau ist dieser Anteil im Kanton Basel-Landschaft und im Kanton Bern.
Am 6. Juni wird der Fall vor dem Bezirksgericht in Zürich verhandelt. Je nachdem wie das Urteil dann lautet, könnte noch dieses Jahr ein Entscheid des Obergerichts vorliegen. Ein allfälliger Bundesgerichtsentscheid dürfte aber erst im Frühling 2018 gefällt werden.