Es ist so heiss hier! Also derart heiss, dass die Leute nicht einmal mehr stinken, weil die Hitze sofort alle Flüssigkeit aus einem raussaugt und man sich fühlt wie eine leergequetschte Gummipuppe. Nur Adrien Brody sieht aus, als gäbe es die Hitze nicht. Männer, ganz ehrlich, wie macht ihr das? Im Brutofen des Sommers in langärmligen Hemden ganz entspannt aussehen?
Womit wir auch schon bei der Frage aller Fragen wären. Gestellt wird sie Adrien Brody am Samstagmorgen in Locarno von einem jungen Mann: «Sie modeln viel. Wie halten Sie die Oberflächlichkeit der Modewelt bloss aus?»
Und was sagt der attraktive Kleiderständer? «Ich bin dankbar! Ich bin in Queens aufgewachsen, wir hatten kein Geld, meine Kleider waren immer Second Hand, meine Jeans kosteten höchstens 50 Cent. Und so lange ich meine Figur habe, freu ich mich, wenn mir die Designer Kleider nachschmeissen und mich auf den Laufsteg schicken. Oft entlöhnen sie mich besser als ein schöner Independent-Film. Ich hatte viele Schulden, ich schäme mich nicht, das zu sagen. Und das Ganze hat zu sehr schönen Fotos geführt.»
Adrien Brody ist 44. Mit 27 drehte er für Roman Polanski die Geschichte eines Pianisten, der den Holocaust überlebt, gewann einen Oscar und war ein Superstar. Dabei hatte er Maler werden wollen. «An der Kunsthochschule haben sie mich nicht angenommen, dafür an der Schauspielschule.» Gerade hat er eine längere Filmpause hinter sich, er hat gemalt, etwa einen Zyklus mit dem Titel «Hotdogs, Hamburgers and Handguns». Weil alle drei omnipräsent und gefährlich seien in der amerikanischen Kultur.
Adrien Brody decided it was time to devote himself to a passion he had long neglected: paintinghttps://t.co/gyyKNuAa4E #ArtNews via @artsy pic.twitter.com/uADQbcUjo2
— IdeelArt (@IdeelArt) 6. Dezember 2016
Festivalchef Carlo Chatrian will wissen, wie denn das so war mit «The Pianist». Also konkret mit dem Abnehmen. Und dem Klavierspielen. Abnehmen tat zwar weh, war aber nicht schwierig, Klavierspielen schon, sagt Brody, «ich kann ja keine Noten lesen», und überhaupt würde ihn nur HipHop interessieren. Weshalb auch der Punk in Spike Lees «Summer of Sam» nicht seins war.
Aber weil er für Polanski nichts essen durfte und deshalb auch gar keine sozialen Kontakte mehr hatte und nur noch hungrig zuhause sass, klemmte er sich eben hinter die Musik. «Die Isolation, die Leere, der Verzicht, die man fühlt, wenn man hungrig und alleine ist, können mit Musik gefüllt werden.» Okay. Schauspieler möchte man echt nicht werden.
Brodys Eltern sind – schlechter Witz, aber wahr – brotlose Künstler. Daher auch die Billigjeans. Aber weil sie auch sensible Künstler sind, war der Vater nicht begeistert, dass der Sohn 2009 mit Dario Argento den Horrorstreifen «Giallo» drehte. Dabei «war es mein Kindheitstraum, einmal in einem Horrorfilm zu spielen! Und überhaupt sind Horrorfilme diejenigen Filme, die man am einfachsten finanziert kriegt, weil die tatsächlich ein Publikum haben. Der Vater kam dann hochbesorgt ans Set und lernte in Dario Argento einen «lieben, sanften Mann» kennen, «der auf der Leinwand einfach gerne Leute zerstückelt».
Der Film, mit dem Adrien Brody einmal seine «sehr kleinen Enkel – aber das ist jetzt viel zu weit in die Zukunft gegriffen» beeindrucken möchte, ist Peter Jacksons «King Kong». «Sie sollen sagen: Wow, so cool war Grossvater! Aber wahrscheinlich ist der Film dann total veraltet.»
Nach Locarno ist Adrien Brody übrigens mit seiner Mutter gekommen, der ungarisch-amerikanischen Fotografin Sylvia Plachy. Er sagt nicht, dass sie seine Mutter ist, bloss seine «alte Freundin», die ihn so viel gelehrt habe und im Besitz der tollsten Kameras der Welt sei. Sie steht da wie ein uralter Fels und richtet eine Kamera auf ihren Kleinen, der auch im Wachzustand immer aussieht wie ein schlafender Träumer.
Ob sie stolz ist? Sicher. Den Sohn kann man brauchen. Der ist auch keine Festivalzicke. Und dann mahnt er noch so schön, wie wichtig es sei, die «Kreativität in Kindern zu wecken und zum Blühen zu bringen». Und viel, viel Geld in die Künste zu stecken, diese Brückenbauer zwischen Menschen, Ländern und Geschichten. Kein Subventions-Streichungs-Schwein zu sein wie Trump. «Was wird den Leuten jetzt vermittelt? Dass es die Kunst nicht wert ist, unterstützt zu werden.»
Er selbst hat jedenfalls schon viel für die werte Kinokunst getan. «Malick!», ruft an dieser Stelle mein Tessiner Lieblingskellner, als der Name Brody fällt. Stimmt, «The Thin Red Line» von Terrence Malick hätten wir hier fast vergessen. Und Brodys Filme mit Wes Anderson, dem Regisseur, der ihm nach der Schwere des Pianisten erlaubte, «Lachen und Leichtigkeit» zu feiern.
Oder «The Village» von M. Night Shaymalan, für den Brody mit geistig behinderten Kindern arbeitete, und heute findet, dass sie «die Wesen mit den reinsten Herzen der Welt» seien. Okay, das ist nun ziemlicher Kitsch, aber einer jener Sätze, die Adrien Brody sicher zu einem der besten Söhne Hollywoods machen.