12. April 2015: Beim Spiel FC Basel – FC Zürich fliegen Knallpetarden aus dem Zürcher Fan-Sektor aufs Spielfeld, Fackeln werden gezündet. Aus Sicherheitsgründen unterbricht der Schiedsrichter die Partie für rund zehn Minuten.
Einer der Fackelwerfer ist P. P.* Der mittlerweile 20-Jährige soll eine Fackel gezündet und aufs Spielfeld geworfen, im Gästesektor zwei Sitze herausgerissen haben, und nach dem Spiel mit zahlreichen weiteren Mobs auf die Basler Fans zugestürmt sein.
Zum Verhängnis wurde dem Angeklagten der Fackelwurf vom April vergangenen Jahres nicht sofort. Erst als er in diesem Jahr einen Jugendlichen verprügelt und einen zweiten bedroht, wird er verhaftet und von der Staatsanwaltschaft angeklagt. In der Anklageschrift ist der Vorfall vom April 2015 vermerkt, zudem ein Vergehen vom 5. Oktober 2013: P. P. soll beim Spiel FCZ – FC Luzern ebenfalls eine Fackel gezündet haben.
Das Strafmass allein für versuchte schwere Körperverletzung liegt tiefer, als die Staatsanwaltschaft sie bei P. P. wegen diesen Vorstrafen ansetzte – jetzt droht ihm nicht nur eine bedingte Strafe, sondern eine teilbedingte von drei Jahren. P. P. könnte also im Gefängnis landen.
Ohnehin wird es der 20-Jährige schwer haben vor Gericht. Denn obwohl der Prozess kein klassischer Hooligan-Fall ist, wird P. P. als solcher angeklagt werden: Im Tagesprogramm der Schweizer Depeschenagentur, die den Fall den Medien angekündigt hat, steht «Hooligan vor Gericht».
Seit dem Inkrafttreten des revidierten schweizerischen Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) am 1. Januar 2007 gibt es eine eigene Datenbank für Hooligans (HOOGAN). Erfasst werden Personen, gegen die wegen einer Sportveranstaltung in der Schweiz eine polizeiliche Massnahme (Rayonverbot, Meldeauflage, maximal 24-stündiger Polizeigewahrsam, Ausreisebeschränkung) oder ein Stadionverbot vom Veranstalter verhängt worden ist.
Alle Kantone, die Grenzbehörden, die Bundespolizei Fedpol und die Polizeiliche Koordinationsplattform Sport PKPS (vorher Schweizerische Zentralstelle Hooliganismus) haben einen Direktzugriff, zudem können die Organisatoren Einsicht verlangen. Im ersten Betriebsjahr wurden 264 Personen (davon 263 Männer) erfasst, die alle mit einem Rayonverbot oder Stadionverbot belegt wurden. Andere Massnahmen wurden nicht ausgesprochen.
Die HOOGAN-Datenbank wurde als eine der Massnahmen gegen Gewalt bei Fussballspielen erlassen. Um verfassungsmässige Bedenken aus dem Weg zu räumen, erliess die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) das Hooligan-Konkordat, dem sich bis Ende 2010 alle Kantone anschlossen. Damit steht in allen Kantonen das Konkordatsrecht über dem kantonalen Recht.
Im Februar 2012 verabschiedete die KKJPD eine Revision des bestehenden Konkordats – eine Verschärfung aller bisherigen Massnahmen. Nicht alle Kantone waren einverstanden – während in Zürich der Entscheid an der Urne mit 85,5 Prozent Zustimmung gefällt wurde, ist das revidierte Konkordat in Basel gescheitert.
Denn die Verschärfung ist in vielen Kantonen noch umstrittener, als es das Hooligan-Konkordat ohnehin schon ist, wohl zu Recht: Die hehre Absicht hinter den mit dem Konkordat erlassenen Massnahmen – präventiv zu wirken – wurde bislang verfehlt, auch eine Verschärfung hat nicht gewirkt.
«Aufgrund unserer Beobachtungen können wir sagen, dass sich die Gewalt an Sportveranstaltungen grundsätzlich auf hohem Niveau stabilisiert hat», sagt Lulzana Musliu, Mediensprecherin des Bundesamtes für Polizei (Fedpol). Die Verstösse gegen das Sprengstoffgesetz hätten zugenommen, ebenso die Gewalt gegen Beamte. Damit bestätigt Musliu teilweise die Zahlen der KKJPD.
Christian Wandeler von «Fanarbeit Schweiz» meint dazu: «Aus meiner Sicht hat sich nicht viel an der Situation in den Stadien geändert.» Durch die weite Auslegung, was alles als «Gewalt» einzustufen sei, sei eine Datenbank erschaffen worden, die nicht wirklich aussagekräftig sei. Das Konkordat habe keine abschreckende Wirkung, zudem würden die HOOGAN-Zahlen ein «verschrobenes Bild betreffend Gewalt und Fans verbreiten».
Das verfehlte Ziel des Konkordats ist nicht der einzige Kritikpunkt, auch Juristen halten das Konkordat für problematisch. Die Verschärfung schränke die Grundrechte der Fans ein (wie Bewegungsfreiheit, körperliche und geistige Unversehrtheit, Schutz der Privatsphäre oder Versammlungsfreiheit), es sei unverhältnismässig und stelle die Sportfans unter Generalverdacht.
Ausserdem wird bemängelt, dass es sich um eine verwaltungsrechtliche Massnahme handle, was die strafrechtliche Unschuldsvermutung und die Beweispflicht aushebeln würde. Es fehle der strafprozessuale Schutz; eine Aussage reicht für das Verhängen von Massnahmen aus. «HOOGAN hält sich nicht an die Rechtssprechung», sagt Wandeler dazu.
So besteht die Möglichkeit, Rayonverbote auf polizeiliche Anordnung zu erteilen, ohne richterlichen Beschluss. Das ist faktisch eine rechtliche Ungleichbehandlung von Fussballfans gegenüber Nicht-Fussballfans.
Am eigenen Leib erlebt hat das D. K.*. An einem Fussballspiel in Lugano wurde er von der Polizei angehalten, musste die Nacht hinter Gitter verbringen und wurde mit einem dreijährigen Rayonverbot belegt. Das war im Mai dieses Jahres, bewiesen ist noch nichts. Eine Anklage wurde vorerst zurückgewiesen, weil zu wenige Beweise vorhanden sind, K. rechnet auch nicht damit, dass jemals eine erhoben werden kann. Man kann zudem davon ausgehen, dass der Fall erst bis nach dem Ablaufen des Rayonverbotes abgeschlossen werden kann. K. erlebt also Repressalien, ohne dass ein Tatbestand bewiesen wäre und muss sich während drei Jahren von Rayons fern halten, was auch viele private Einschränkungen mit sich zieht. Und: Auch wenn es zum Prozess (und Freispruch) käme; die Konsequenz sind hohe Kosten für die Bemühungen, den Eintrag in der HOOGAN-Datenbank löschen zu lassen (was nicht automatisch geschieht).
«Das Schlimmste ist die permanente Auseinandersetzung damit, der zeitliche und bürokratische Aufwand und vor allem der finanzielle Aspekt», sagt K. dazu. Die Absicht des Konkordats, präventiv zu wirken, werde damit auch hier verfehlt: Anstatt sich vom Verdacht distanzieren zu können, werde er kriminalisiert.
Doch viele würden sich – im Gegensatz zu K. – nicht wehren, weil das Geld, die Geduld, oder das Wissen um die eigenen Rechte fehle. Diese würden dann lieber die Busse bezahlen, um die ganze Sache hinter sich zu haben. «Dabei muss man klar sehen», sagt. K. «jede Verurteilung gegen die nicht vorgegangen wurde, ist für die Statistik eine Straftat im Rahmen des Fussballs, ob nun schuldig oder nicht.»
Weil Repressalien nicht greifen, gehen einzelne Veranstalter bereits andere Wege. So hat beispielsweise der FC St.Gallen das «Good Hosting» eingeführt. Benni Burkart, Sicherheitsverantwortlicher des FC St. Gallen sagt, damit seien sie dazu übergegangen, «auf repressive Massnahmen zu verzichten.» Denn beispielsweise hätten die Personenkontrollen am Eingang oft Konfliktpotenzial geboten. Allerdings setzt der Verein nun mehr auf Videoüberwachung im Stadion.
Philippe Guggisberg, Mediensprecher der Swiss Football League (SFL), wiederum betont, dass die Harmonisierung vorangetrieben werde. Auf die Saison 2016/17 hin seien die «gemeinsam erarbeiteten Empfehlungen für eine einheitliche Umsetzung des Konkordats» veröffentlicht worden. Auf diesen Empfehlungen basiert auch das «Good Hosting» des FC St. Gallen. Mit diesem Schulterschluss hätten alle Beteiligten klar gemacht, dass sie die Bekämpfung der Gewalt im Umfeld von Sportveranstaltungen als Verbundaufgabe sehen und künftig konsequent einen gemeinsamen Weg beschreiten wollen. Guggisberg: «Diese Entwicklung stimmt uns sehr zuversichtlich.»
Bei der KKJPD, den eigentlichen Architekten des Konkordates, ist man ebenfalls guter Dinge: «Wir sind mit dem heutigen Zustand der Gesetzgebung zu Gewalt bei Sportveranstaltungen zufrieden. Sie sind mit dem Konkordat den internationalen Standards angepasst worden, besonders was die Möglichkeit betrifft, Spiele als bewilligungspflichtig zu erklären und Auflagen im Bereich Sicherheit zu machen», sagt Roger Schneeberger, Generalsekretär der KKJPD. «Wir hatten Erfolg mit dem Konkordat, nicht vorwiegend wegen den Repressionen gegen die Fans, sondern wegen der verbesserten Zusammenarbeit zwischen Behörden und Klubs, die mit der Umsetzung des Konkordats erfolgt ist.»