Die schlechte Nachricht erreicht die elf Mitglieder des CVP-Präsidiums an einem Samstagabend Mitte September. Eine Sonntagszeitung hat herausgefunden, dass der ehemalige Parteipräsident Christophe Darbellay Vater eines ausserehelichen Kindes geworden ist.
Speziell ist nicht nur die Botschaft, sondern auch der Kanal, auf dem sie verbreitet wird: Die Parteiführung informiert die Präsidiumsmitglieder über einen Gruppenchat in der Smartphone-Applikation WhatsApp.
In Sekundenschnelle wissen alle: Morgen drohen unangenehme Medienanfragen. Der Solothurner CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt erinnert sich: «Ich war sehr froh über diese Vorwarnung. So konnte ich mich vorbereiten.»
Der Fall ist nur ein Beispiel dafür, wie neue digitale Kommunikationsformen die politische Arbeit verändern. Der weltgrösste Kurznachrichten-Dienst WhatsApp spielt dabei eine zentrale Rolle.
Besonders beliebt bei Politikern sind Gruppen-Chats, sie lassen sich diskret und mit minimalem Aufwand einrichten. Parlamentsabgeordnete und Regierungsvertreter von London bis Canberra nutzen das Kommunikationsmittel, um sich abseits der Öffentlichkeit auszutauschen.
Vergangenen Sommer etwa schliessen sich mehrere Mitglieder der britischen Konservativen in einem Gruppen-Chat zusammen, um Boris Johnson als neuen Premierminister zu verhindern. Auch der australische Regierungschef Malcom Turnbull hat schon auf Whatsapp-Gruppen zurückgegriffen, um mit seinen Kabinettsmitgliedern zu kommunizieren.
Im Bundeshaus in Bern organisieren sich neben der CVP auch die Grünen in einer institutionalisierten WhatsApp-Gruppe. Sämtliche Fraktionsmitglieder sind laut dem Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli angeschlossen.
Am aktivsten ist der Chat bei Wahlen und Abstimmungen. Die Teilnehmer halten sich mit Resultaten, Sprachregelungen und Hochrechnungen auf dem Laufenden.
Keine offiziellen Gruppen haben SP, FDP und SVP. Im informellen Rahmen tauscht man sich aber auch hier rege via Handy aus.
Ein bekannter Parlamentarier erzählt, wie er sich jeweils während Kommissionssitzungen über eine WhatsApp-Gruppe mit seinen Parteikollegen abspricht. «Als Kommissionspräsident kann ich den Sitzungsraum nicht einfach verlassen. Dank WhatsApp kann ich meine Leute zum Beispiel fragen: Soll ich das Tempo der Sitzung drosseln?»
Auf diese Weise könnten er und seine Kollegen die Strategie während der Sitzungen in Echtzeit weiterentwickeln. Verborgene Allianzen bilden sich auch im Rahmen von Fraktionssitzungen und innerhalb von Arbeitsgruppen: «Bei wichtigen Diskussionen kann man sich so zeitgleich mit mehreren Verbündeten koordinieren.»
Bei der SVP hat sich gut ein Dutzend Neo-Parlamentarier in einem informellen Chat zusammengeschlossen. «Wir tauschen uns rege aus – zu ganz unterschiedlichen Themen. Das kann sehr wertvoll sein», sagt Jung-Nationalrat Christian Imark aus Solothurn.
Auch der Waadtländer SP-Mann Jean Christophe Schwaab greift regelmässig auf WhatsApp-Gruppen zurück. «Politiker sind Alltagsmenschen. Was praktisch ist für das Privatleben, ist auch praktisch für die Politik.»
Am passivsten punkto WhatsApp ist ausgerechnet die FDP, die sich gerne als Partei der Digitalisierung positioniert. Der Berner Nationalrat Christian Wasserfallen sagt selbstkritisch: «Wir sind leider noch ziemlich altmodisch unterwegs: Die digitale Kommunikation erfolgt meist per E-Mail.»
Grundsätzlich müssen die Volksvertreter auch bei WhatsApp-Chats damit rechnen, dass sie eines Tages öffentlich werden, wie das Beispiel Irland zeigt: Nachdem die Regierung in Dublin im Nachgang zur Brexit-Abstimmung im Juni 2016 über eine WhatsApp-Gruppe ihr Krisenmanagement koordiniert, verlangt eine Zeitung, gestützt auf das irische Öffentlichkeitsgesetz, die Chatprotokolle – mit Erfolg.
Zahlreiche Politiker bevorzugen deshalb auch heute noch das gute alte Gespräch im Hinterzimmer.