«Welches Ereignis im Leben ist wichtiger als die Geburt des eigenen Kindes?» Die Frage stellt Gerhard Andrey, Mitbegründer der Internetagentur Liip. Er ist überzeugt, dass Vätern Zeit gegeben werden soll, an diesem Ereignis teilzunehmen und in die Vaterrolle hineinzuwachsen. Deshalb gibt es in seinem Unternehmen vier Wochen Vaterschaftsurlaub. Er sagt: «Wenn wir in der Schweiz politisch keine Lösung hinbekommen, dann wollen wir als Unternehmen eine solche zumindest für alle unsere Mitarbeitenden.»
Mit seiner Aussage spielt Audrey darauf an, dass im Parlament Vorstösse für einen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub kaum Chancen haben (vgl. Infobox). Das Hauptargument der Wirtschaftsvertreter ist, dass Unternehmen in der derzeitigen angespannten Wirtschaftslage nicht mit zusätzlichen Lohnnebenkosten belastet werden dürfen. Der Preis für zwei Wochen Vaterschaftsurlaub beträgt 190 Millionen Franken. Über die Erwerbsersatzordnung finanziert, würde er zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgeteilt. Andrey lässt das Kostenargument nicht gelten. «Es ist eine Frage der Priorität, ob man den Mitarbeitern einen Vaterschaftsurlaub finanziert oder dem Kader hohe Löhne und Boni.»
Mit seinem Engagement ist Andrey nicht allein. Eine Reihe privater Betriebe und öffentlicher Arbeitgeber gesteht ihren Mitarbeitern einen bezahlten Vaterschaftsurlaub zu, von einigen Tagen bis zu vier Wochen. Ihre Zahl ist in den letzten fünfzehn Jahren stetig angewachsen. Das zeigen entsprechende Umfragen von Bund von 2012 und «Tages-Anzeiger» von 2013. Dabei sind es im privaten Sektor laut der Gewerkschaft Travail Suisse vor allem Grossunternehmen, die einen Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen oder mehr haben. Liip mit 135 Mitarbeitenden (davon 70 Prozent Männer) ist diesbezüglich also eine Ausnahme.
Was motiviert Firmen, einen Vaterschaftsurlaub einzuführen? Eine Stichprobe mit Beispielen verschiedener Branchen gewährt einen Einblick in verschiedene Unternehmenskulturen.
Bei der Novartis erhält der Vater insgesamt sechs Tage bezahlten Urlaub. Letztes Jahr beanspruchten ihn fünf Prozent der männlichen Belegschaft. Novartis ist überzeugt, dass eine Unternehmenskultur, die unterschiedliche Lebensmodelle fördert, zum langfristigen Unternehmenserfolg beiträgt.
Mitarbeitende sollen sich zudem voll auf ihre Aufgabe konzentrieren können, die Familie soll keine «unnötige Zusatzlast» sein. Deshalb unterstützt der Konzern Familien mit einer ganzen Palette von Angeboten. Einen gesetzlichen Vaterschaftsurlaub lehnt Novartis mit dem Verweis auf die angespannte Wirtschaftslage ab.
Dagegen ist auch Josef Wiederkehr, Präsident des Schweizerischen Gerüstbau-Unternehmer-Verbandes. Er sagt, Sozialpartner sollten Vereinbarungen aushandeln, die den Bedürfnissen der jeweiligen Branche entsprechen. Im Gesamtarbeitsvertrag für den Schweizerischen Gerüstbau sind für Väter zwei freie Tage festgesetzt.
Laut Wiederkehr sind den Bauarbeitern Frühpensionierung, ein guter Lohn oder eine zusätzliche Ferienwoche wichtiger. Diese Leistungen seien auf ihre Bedürfnisse geschnitten. Viele hätten ihre Familie im Ausland. Für sie seien zusätzliche Ferientage interessanter als ein einmaliger Vaterschaftsurlaub.
Bei Raiffeisen Schweiz haben Väter Anspruch auf drei Wochen bezahlten Urlaub. Auch Kinderkrippen und die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit bietet die Bank ihren Mitarbeitenden an. Damit positioniere sie sich als familienfreundliches Unternehmen, sagt Christoph Eckert von Raiffeisen Schweiz. Doch Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien nicht für alle Arbeitnehmer gleich wichtig. Deshalb könne man auch nicht allgemeingültig bestimmen, was die Attraktivität eines Arbeitgebers ausmache. Raiffeisen Schweiz mischt sich nicht in die politische Diskussion ein.
Für einen gesetzlichen Vaterschaftsurlaub ist das Carsharing-Unternehmen Mobility, das selbst bis zu vier Wochen gewährt. Mobility schreibt, sie stelle hohe Anforderungen an ihre Mitarbeitenden und wolle im Gegenzug ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben ermöglichen. Der Vaterschaftsurlaub sei einer der Faktoren, die ein Unternehmen als Arbeitgeber attraktiv machen. Mobility habe ihn aber nicht aus unternehmerischem Kalkül eingeführt, sondern aus Überzeugung.
Mit guten Sozialleistungen bei den Arbeitnehmern punkten, das könnten vor allem gewinnstarke Unternehmen, sagt Clemens Moser. Er ist Leiter des Wohnheims Tangram für schwerstbehinderte Menschen in Bubendorf. 15 der 80 Mitarbeitenden sind Männer. Bei Geburt eines Kindes haben sie Anspruch auf drei freie bezahlte Tage.
Moser befürwortet einen über eine Sozialversicherung finanzierten gesetzlichen Vaterschaftsurlaub. Betriebe wie seiner, der von einem gemeinnützigen Verein getragen wird, würden davon profitieren, ist er überzeugt. Doch es gebe gewichtigere Gründe für eine politische Lösung. Familien sorgten für den Fortbestand der Gesellschaft und würden in die Arbeitnehmer von morgen investieren.
Zudem nimmt mit der Zahl der Eltern, die alternative Familienmodelle leben, auch deren Erwerbstätigkeit zu. Heute liegt der Anteil der Eltern, die beide berufstätig sind, bei gut 70 Prozent. Knapp 30 Prozent der Eltern arbeiten zusammen über 150 Prozent. Davon profitieren die Volkswirtschaft und – wegen zusätzlicher Steuereinnahmen – auch der Staat. «Die Gesellschaft soll etwas an die Familien zurückgeben», findet Moser deshalb.