Die Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind, kurz «SHMK», schaltet auf Instagram Werbung für ihre neue Kampagne #HoerstDuMich. Angezeigt wird ein Bild und das Versprechen, dass ungewollt Schwangere mit Unterstützung und Hilfe rechnen dürfen.
Der Post verlinkt direkt auf die Kampagnenseite. Dort wird die Userin von einem Video empfangen, das einen Embryo zeigt, der sich bewegt und dessen Herz schlägt. Die Kampagne erzählt die Geschichten von vier Frauen, die sich für oder gegen eine Abtreibung entschieden haben. Die Videos sind professionell produziert, die Testimonials blicken mit ernsten Augen in die Kamera und blättern in Fotoalben, die ihre Schwangerschaft dokumentieren. Froh sind die, die ihre Kinder behalten haben.
Die, die abgetrieben haben, sind todunglücklich. Würden «es» nicht mehr machen lassen. Zum Schluss der Solgan: «Höre auf dein Kind! Nicht auf deine Ängste.»
Die Seite erklärt weiter, dass Abtreibung «nicht einfach ein Schwangerschaftsabbruch» sei. Abtreibung sei entwürdigend und bringe Schuldgefühle mit sich. Die Beziehung zum Vater sei danach zum Scheitern verurteilt. Das Herz des Kindes schlage ohnehin seit dem 16. Tag und das Ungeborene sei nun seiner Mutter hilflos ausgeliefert.
Unter jedem Absatz, nach jedem Video wird «Hilfe» angeboten. Die «SHMK» verspricht, dass Frauen, die ungewollt schwanger sind, beraten und unterstützt werden. Kostenlos, vertraulich und rund um die Uhr.
Dass jede Beratung zum Ziel hat, der Frau eine Abtreibung auszureden, steht nirgends.
Mit Instagram hat die «SHMK» einen Kanal gewählt, auf dem sich mehrheitlich junge Frauen bewegen, wodurch sie direkt abgeholt und angesprochen werden. Dies ist insofern gefährlich, da die Frauen zunächst der einseitigen und belastenden Kampagne ausgesetzt sind, bevor sie eine für sie stimmige Entscheidung treffen konnten.
Genau dies kritisiert Hildegard Pfäffli Murer von der elbe, der Fachstelle für Lebensfragen in Luzern. «Beratungsstellen, die nicht ergebnisoffene Beratungen im Schwangerschaftskonflikt anbieten, handeln entgegen dem Recht auf eine selbstbestimmte Entscheidung», sagt sie gegenüber watson.
«Die Werbestrategie zielt darauf ab, bei Betroffenen Schuldgefühle zu erzeugen, schürt die Angst vor psychischen Folgen und trägt damit zur weiteren Tabuisierung des Schwangerschaftsabbruches bei». Diese Tabuisierung verstärke die Notlage bei einer ungeplanten Schwangerschaft und die Hürde sich jemandem anzuvertrauen sei ohnehin schon hoch. «Trifft man in dieser verletzlichen Phase auf die beschriebenen Werbeinhalte, kann dies sehr verunsichernd wirken», sagt Pfäffli Murer.
Um dies zu vermeiden gibt es in allen Kantonen konfessionell und politisch unabhängige und kantonal anerkannte Beratungsstellen, welche kostenlos und vertraulich Beratung im Bereich Schwangerschaft bieten. Unabhängig davon, ob sich die Frau für oder gegen die Schwangerschaft entscheidet.
Stiftungsratspräsident der «SHMK», Dominik Müggler, glaubt nicht, dass es für eine Frau traumatisch sein kann, wenn sie zum Behalten eines Kindes gedrängt wird. «Leider ist das nur eine Behauptung, die nicht belegt werden kann», sagt er zum Vorwurf. Das genaue Gegenteil sei seiner Meinung nach der Fall: «Sehr viele Frauen stehen unter Druck zur Abtreibung und nicht unter Druck zum Behalten des Kindes».
Auch ich, die Autorin dieses Textes, erhalte die Werbung. Der Verdacht liegt nahe, dass ich die Werbung angezeigt bekomme, weil sie personalisiert ist. Ich bin schwanger. Und das Netz weiss darüber Bescheid, denn auch ich habe jedes Schwangerschafts-Wehwehchen gegoogelt, dabei das Schlagwort «schwanger» sicher am häufigsten benutzt und Babyblogger abonniert. Dass ich glücklich und gewollt schwanger bin, kann der Algorithmus nicht wissen.
«Jeder hinterlässt Spuren im Netz. Beim Surfen, beim Onlineshopping oder durchs Liken auf sozialen Netzwerken», erklärt Ivan Markovic, der personalisierte Werbekampagnen im Bereich Soziale Medien für diverse Kunden plant und schaltet. «Abtreibungsgegner können deshalb ihre Zielgruppe ganz gezielt ansprechen, weil Instagram mit grosser Wahrscheinlichkeit weiss, dass du weiblich, schwanger und jung bist». Angesprochen werden können Mädchen ab 13 Jahren.
Wie teuer die Instagram-Werbung ist, könne man nicht so einfach sagen, die Spannbreite reiche von 50 bis zu einigen tausend Franken. «Aber man sieht definitiv, dass die ‹SHMK› Geld in die Hand genommen hat, um ihre Zielgruppe anzusprechen», sagt Markovic. Müggler spricht von einem Zufall, dass mir die Werbung angezeigt wurde. «Wir wissen ja auch nicht, wer sich gerade in einer Notsituation befindet», sagt er gegenüber watson.
Die fragwürdigen Methoden der «SHMK» zeigte die Journalistin Sarah Jäggi bereits im Jahr 2013 auf. Dass die Beratung dazu ausgerichtet ist, einer Schwangeren die Abtreibung kategorisch auszureden, hat sie damals am eigenen Leib erfahren, als sie sich als ungewollt Schwangere ausgab und von der «SHMK» beraten liess.
Dort wird ihr geraten, das ungeborene und ausserehelich gezeugte Kind dem Ehemann unterzujubeln. Wenn der Vater nicht dunkelhäutig sei, falle dies nicht auf. Die Beraterin erklärt der Journalistin, dass Abtreibungen im Grunde genommen nie legal seien – und nur bis zur 12. Schwangerschaftswoche nicht bestraft würden. Dann werden die Abtreibungsmethoden erklärt: Das Baby – man spricht hier nicht vom Embryo oder Fötus – würde in Stücke gerissen, das solle sie sich vorstellen. Nach weiteren Horrorstorys wird der Undercover-Journalistin monatliches Geld angeboten, das ihr helfen soll, das Kind zu behalten und über die Runden zu bringen. Und um zum Coiffeur zu gehen – um sich besser zu fühlen.
Müggler spricht von 1300 Hilfesuchenden, die sich jährlich an die Stiftung wenden. Ich möchte von ihm wissen, wie viele Frauen sich nach einer Beratung gegen eine Abtreibung entscheiden. «Das Ergebnis unserer Beratung kennen wir nicht in allen Fällen. Wir schätzen zur Zeit rund 80%», mutmasst er.
Die «SHMK» finanziert sich ausschliesslich über Spenden. Laut Müggler kommen die Beiträge «unter anderem immer wieder auch von Personen, die zuvor abgetrieben haben und wieder etwas gut machen wollen». Zehn Beraterinnen und Berater sind fest angestellt, um rund um die Uhr tätig sein zu können, zusätzlich arbeiten über ein Dutzend ehrenamtlich. Neben den Beratungen führt die «SHMK» auch Babyklappen an sechs Orten in der Schweiz.
Die «SHMK» ist eine Zewo-zertifizierte und steuerbefreite Stiftung, die vom Verein «Mamma» gegründet wurde, welcher die politische Arbeit macht. Stiftungen werden nur steuerbefreit, sofern ihr Zweck als gemeinnützig anerkannt wird und sie eben nicht politisch tätig sind. Gemeinnützig sei eine Tätigkeit, die einerseits im Allgemeininteresse liege und andererseits uneigennützig erbracht werde.
Das Zewo-Gütesiegel bürgt für die Seriosität des Hilfswerks. «Wir zertifizieren Organisationen, die die 21 Zewo-Standards einhalten. Die ‹SHMK› hat sich dem Zertifizierungsprozess gestellt und die Anforderungen erfüllt», erklärt Zewo-Geschäftsleiterin Martina Ziegerer. Spender müssen selbst entscheiden, ob sie eine Haltung einer Organisation teilen – auch dann wenn das Thema polarisiert.
Aus ihrer Sicht sei es aber wichtig, dass die «SHMK» klar kommuniziert, wofür sie steht, was sie unterstützt und was nicht. «So muss Spendenden und Hilfesuchenden klar sein, dass schwangere Frauen von der ‹SHMK› keine ergebnisneutrale Beratung erwarten können, dass die Organisation Abtreibungen stets und in jeder Situation ablehnt und dass Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden oder abgetrieben haben, von der ‹SHMK› keine Unterstützung erhalten», sagt Ziegerer gegenüber watson.
Ob dies verunsicherten schwangeren Frauen klar ist, die auf eine Instagram-Kampagne stossen und denen «Beratung» angeboten wird, ist fraglich. Die «SHMK» deklariert ihr Angebot kaum als abtreibungsverhindernd – im Gegenteil: «In der fachkompetenten Beratung und Direkthilfe werden Mut machende, konkrete Zukunftsperspektiven erarbeitet, wobei alle Beteiligten – insbesondere auch Kinder – ernst genommen und wertgeschätzt werden», heisst es auf der Webseite.
Schon vor drei Jahren setzte die «SHMK» das Zewo-Gütesiegel aufs Spiel. Damals stellte Zewo fragwürdige Inhalte auf der Webseite der «SHMK» fest, welche die Würde der betroffenen Frauen verletzten. Daraufhin wurde der SMHK eine Frist gesetzt, um diese Inhalte zu entfernen. Damals ging es um Sätze wie: «Die Abtreibung kann man nicht mehr rückgängig machen. Sie löst die Probleme nicht, sondern vergrössert und vermehrt sie». Inwiefern die Sätze in der neuen Kampagne und auf der Webseite weniger abwertend sind, bleibt ein Fragezeichen.
Vorerst wird die Zertifizierung bleiben. Zewo wird die «SHMK» erst bei der nächsten Rezertifizierung erneut auf die Einhaltung der Zewo-Standards prüfen. «Um die Prüfung vorzuziehen, müssen wir mehrere Beschwerden oder konkrete Hinweise darauf haben, dass die Organisation mit ihren Handlungen oder in ihrer Kommunikation gegen die die Menschenwürde verstösst», sagt Ziegerer.