Was haben Sie gedacht, als Sie vom Lawinenniedergang in Crans-Montana gehört haben?
Art Furrer: Der Unfall von Crans-Montana ist in jeder Beziehung aussergewöhnlich. Ich war nicht vor Ort und habe nur über Fernsehen, Radio und Presse vom Unglück gehört. Aber ich kenne die Natur. Wir hatten in diesem Winter sehr kalte Perioden mit sehr viel Schnee und sehr vielen Verwehungen. Von Schneeverwehungen haben die Bergerführer am meisten Angst. An einem Ort kann sich der Schnee meterhoch aufschichten, an anderen Orten sieht man die Felsen. Durch die grosse Erwärmung der letzten Wochen, als die Nullgradgrenze auf fast 3000 Meter stieg, wurde dies zur grossen Gefahr.
Das heisst, das Unglück steht auch im Zusammenhang mit der Klimaveränderung?
Ja und nein. Schon für uns war es immer oberstes Gebot, dass man auf Bergtouren spätestens am Mittag zurück in der Hütte sein muss. Unter der starken Sonneneinstrahlung und den wärmeren Temperaturen halten die Schneehänge nicht mehr. Die Gefahr von Lawinen und Steinschlag steigt markant.
Also hätte man die Gefahr antizipieren müssen?
Wasser fliesst, Eis fliesst – und Schnee fliesst. Ein Kubikmeter Schnee hat ein spezifisches Gewicht von rund 300 Kilogramm. Wenn es aber warm wird, hat dieselbe Menge Schnee ein Gewicht von 600 bis 700 Kilogramm. Und dann beginnt die Schwerkraft, den Schnee talwärts zu ziehen – und wenn die Masse plötzlich in Bewegung gerät, entsteht ein Riss. Es gibt einen Knall und die Lawine wird ausgelöst.
In Crans-Montana waren Menschen auf der Piste betroffen. Das macht Angst. Ist man auf der Piste nicht mehr sicher?
Ich will niemanden anklagen, aber ich denke, die Konstellation wurde auch vom Schnee- und Lawinenforschungsinstitut Weissfluhjoch in Davos falsch eingeschätzt und kommuniziert. Die allgemeine Lawinengefahr wurde als mässig eingestuft. Das trifft auf den Morgen zu, aber nicht auf den Nachmittag. Und als dann durch die steigende Temperatur und die Sonneneinwirkung ein Riss entstand, wurden grosse Mengen von Schnee in Bewegung gesetzt. Und dann wird aus Schnee fast Fliessbeton. Durch diese Kräfte und Druck können die Lawinen bis auf die Piste gelangen.
Wie geht man auf der Riederalp mit dieser Gefahr um?
Bei uns werden die exponierten Pisten am Nachmittag konsequent gesperrt. An vielen anderen Orten ist dies ein Problem der Verantwortlichkeit und der Kompetenzverteilung. Es braucht einen ortskundigen Pistenchef, der den Mut aufbringt und sagt: Ich sperre – unabhängig von kommerziellen Interessen und Kundenwünschen. Wenn dieser Pistenchef nur einen kleinen Fehler macht, kann dies eine verheerende Auswirkung haben. Nochmals: Ich will niemanden anklagen. Aber im Zweifelsfall muss man die Pisten immer sperren.
Was machen Sie für sich, um diese Gefahren zu reduzieren?
Ich bin nun 60 Jahren am Berg. Ich hatte nie einen Unfall, in dem Gäste involviert waren. Der einzige, der in eine Gletscherspalte gestürzt ist, war ich – an einem Föhn-Tag, an dem man wohl gar nicht ins Gelände hätte gehen dürfen. Man muss immer aussergewöhnlich vorsichtig sein. Und es braucht immer auch einen Schutzengel. Offenbar war der Schutzengel in Crans nicht vor Ort. Und der Verantwortliche hat die Situation falsch eingeschätzt – oder Weissfluhjoch hätte eine klarere Warnung aussprechen sollen.