In Bern demonstrierten am Samstag Schwule, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuelle an der «Pride Ouest 2017» für eine vielfältige Gesellschaft. Laut den Organisatoren kamen auf allen acht Eventplätzen 8'000 bis 10'000 Menschen zusammen.
Die «Pride Ouest 2017» hatte am Freitag begonnen und dauert noch bis Sonntag. Sie steht unter dem Motto «The Power of Diversity», also etwa «Die Stärke der Vielfalt». Die Veranstaltung soll aufzeigen, dass Vielfalt ein Plus sein kann.
Auf dem Bundesplatz wandte sich Bundesrätin Simonetta Sommaruga an die Demonstrierenden. In ihrer Rede sprach sie sich für die Ehe für alle aus. Sie sagte, selbst das katholische Irland habe aufgehört, Homosexuelle bei der Ehe zu diskriminieren. «Da fragt man sich schon: Worauf warten wir eigentlich in der Schweiz noch?»
Im Interview mit watson sagt Sommaruga, warum es so lange dauert, bis auch in der Schweiz Homosexuelle endlich heiraten dürfen.
Frau Bundesrätin, im Parlament haben sich Meinungen zu Homo-Ehe und Stiefkindadoption in den letzten Jahren verändert. Sogar SVP-Männer Thomas Hurter oder Mauro Tuena sprechen sich für eine Ehe für alle aus. Rücken wir damit in die Nähe einer baldigen Legalisierung der Ehe für homosexuelle Paare?
Simonetta Sommaruga: Die Gesellschaft hat sich verändert und das wirkt sich auf die Politik aus. Viele haben erkannt, dass mit der «Ehe für alle» niemandem etwas weggenommen wird: Wer heiraten will, kann das weiterhin tun. Und warum sollen das nicht auch homosexuelle Paare tun können? Es ist ein wichtiger Weg, den das Parlament eingeschlagen hat. Aber es braucht noch etwas mehr Zeit.
Aber worauf warten wir dann noch? Das fragten Sie sich in Ihrer heutigen Rede selbst.
Inzwischen dürfen Homosexuelle ja in 14 europäischen Staaten heiraten, jetzt auch in Deutschland und sogar im katholischen Irland. In der Schweiz sind wir auf dem richtigen Weg, und es ist in diesem Fall das Parlament, das das Tempo für die Verwaltung vorgibt.
Ärgert es Sie, dass dies in der Schweiz länger dauert, als in unseren Nachbarländern?
Es ist eine Realität, dass die Schweiz in gewissen Dingen langsamer ist, als unsere Nachbarländer. Das ist unser politisches System.
Sie sprachen heute auch an, dass es inakzeptabel ist, dass noch heute Homosexuelle angefeindet werden. Doch gerade kürzlich wurde in der Schweiz beschlossen, dass auf die Einführung einer Statistik über Straftaten gegen Homosexuelle verzichtet werden soll. Warum tut sich da nichts?
Der Bundesrat hat die Einführung einer Statistik über Straftaten gegen Homosexuelle positiv beurteilt. Nur hat dann die Mehrheit der Kantone gesagt, dass sie nicht in der Lage seien, die Daten für eine solche Statistik zu liefern.
Bräuchte es da nicht den Effort der Politik, um da nochmals nachzuhaken?
Ohne diese Daten der Kantone gibt es nun mal keine Statistik. Für mich ist diese Diskussion aber noch nicht gelaufen. Der Bundesrat hat diesbezüglich ein klares Signal gesendet. Und wer weiss, vielleicht kommen die Kantone ja auf ihren Entscheid zurück. Ich würde das begrüssen.
Wann wird es homosexuellen Paaren in der Schweiz möglich sein, Kinder zu adoptieren?
Neu ist in der Schweiz die Stiefkindadoption möglich. Gegen diesen Entscheid wurde kein Referendum ergriffen. Das zeigt, wie selbstverständlich dieses Anliegen ist. Bei der anstehenden Diskussion über die Ehe für alle werden wir auch über die Volladoption diskutieren. Es liegt nun am Parlament, darüber zu beraten. Zuerst müssen aber noch verschiedene offene Fragen geklärt werden. Zum Beispiel welche anderen Gesetze für die Ehe für alle noch geändert werden müssen. Das Bundesamt für Justiz klärt das zurzeit im Auftrag des Parlaments.