Schweiz
Interview

Bundesratsnoten: Worauf es beim Ranking ankommt

KEYPIX - Bundespraesidentin Karin Keller-Sutter, sowie die Bundesraete Guy Parmelin, Ignazio Cassis, Albert Roesti, Elisabeth Baume-Schneider, Beat Jans, der neugewaehlte Martin Pfister und Bundeskanz ...
Der aktuelle Bundesrat (v.l.n.r.): Karin Keller-Sutter, Guy Parmelin, Ignazio Cassis, Albert Rösti, Elisabeth Baume-Schneider, Beat Jans, Martin Pfister und Bundeskanzler Viktor Russi.Bild: KEYSTONE POOL
Interview

«Der Bundesrat besteht aus sieben grossen Egos, die geliebt werden wollen»

Worauf kommt es beim Bundesratsranking an? Und warum schneidet der Bundesrat dieses Jahr besonders schlecht ab? Polit-Analyst Mark Balsiger ordnet ein.
01.10.2025, 18:1101.10.2025, 19:41

Alle Bundesräte schneiden im jüngsten Bundesratsranking von Tamedia und «20 Minuten» in Zusammenarbeit mit Leewas mit einer ungenügenden Note ab. Was sagt das über unsere Landesregierung aus?
Mark Balsiger: Es sagt vor allem etwas über die Leute aus, die bei der Umfrage mitgemacht haben. Bei dieser Online-Befragung können Menschen aus der Anonymität heraus die mächtigen Bundesrätinnen und Bundesräte beurteilen. Da ist die Verlockung gross, streng zu sein.

Zur Person
Mark Balsiger ist Politologe, ehemaliger Journalist und Spezialist für politische Kommunikation. Als Politanalyst ordnet er in seinen Büchern und für verschiedene Medien regelmässig das politische Geschehen in der Schweiz ein.
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Bild: zvg

Die Resultate sagen also wenig über die tatsächliche Leistung der Bundesrätinnen und Bundesräte aus und mehr über die Natur der Umfrage?
Ich finde es legitim, dass die breite Bevölkerung der Landesregierung Noten verteilen kann. Die Frage ist aber schon: Auf welcher Basis trifft sie diese Entscheidung? Könnten die fast 15’000 Teilnehmenden bei jedem Bundesratsmitglied begründen, warum sie eine schlechte Note verteilen? Mir kommen Zweifel.

«Die ‹Neulinge› sind noch frisch und unverbraucht, sie hatten wenig Zeit, Fehler zu machen.»

Schauen wir uns die Resultate des Rankings genauer an. Der amtsjüngste Bundesrat Martin Pfister sichert sich den ersten Platz – überrascht Sie das?
Nein. Das war bereits in früheren Jahren so: Im Frühling 2024 schnitt etwa der damals frisch gewählte Beat Jans am besten ab. Die «Neulinge» sind noch frisch und unverbraucht, sie hatten wenig Zeit, Fehler zu machen. Ausserdem profitieren sie von einem Schub der Bundesratswahl, die in der Schweiz beinahe royale Ausmasse annimmt. Bei Martin Pfister kommt hinzu: Er hat eine grosse Glaubwürdigkeit, weil er sehr besonnen und gleichzeitig nahbar auftritt. Damit holt er Punkte.

Die Noten des Bundesrats (gemäss Leewas, September 2025):

  1. Martin Pfister: 3,89
  2. Guy Parmelin: 3,84
  3. Albert Rösti: 3,63
  4. Karin Keller-Sutter: 3,51
  5. Beat Jans: 3,31
  6. Elisabeth Baume-Schneider: 3,14
  7. Ignazio Cassis: 3,01

Obwohl er mit dem Verteidigungsdepartement keine leichte Aufgabe hat.
Genau, er hat das schwierigste Departement von allen übernommen. Die riesigen Baustellen haben noch nicht auf die Wahrnehmung der Leute abgefärbt. Die Probleme hat er ja von seiner Vorgängerin geerbt. Bei der Umfrage in einem Jahr hat er diesen Bonus nicht mehr.

Le Conseiller federal Martin Pfister visite le stand de tir des Grandes Iles d?Amont lors de la Fete Federale de Tir des Jeunes, a Saint-Triphon, dimanche 10 aout 2025. Ages de 10 a 20 ans, les plus d ...
An der Spitze des Bundesrats-Rankings: der amtsjüngste Martin Pfister.Bild: keystone

Die beiden SVP-Vertreter liegen auf den vorderen, die SP-Bundesratsmitglieder auf den hinteren Rängen. Warum schneiden die SP-Regierungsmitglieder so schlecht ab?
Die Rangierung hat mit der Parteizugehörigkeit nichts zu tun. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die allermeisten Leute, die ungestützt an der Befragung teilnehmen, nicht zuordnen könnten, wer zu welcher Partei gehört. Entscheidend sind hier weiche Faktoren: Albert Rösti hat das Image des Machers, Guy Parmelin gilt als jovialer Landesvater. Die SP-Bundesratsmitglieder fallen daneben ab.

Was ist wichtiger, um im Ranking zu glänzen: sympathisches Auftreten oder politische Erfolge?
Im Ranking geht es vor allem um den Gmögigkeitsfaktor. Mit wem würden wir gerne einen Kaffee trinken oder auf eine Bergtour gehen? Mit wem überhaupt nicht? Wer miesepetrig, verstellt oder kühl wirkt, sackt ab.

«Im Ranking geht es vor allem um den Gmögigkeitsfaktor.»

Wer als eher kühl beschrieben wird, ist Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Trotzdem führte sie das Ranking im Februar dieses Jahres an. Suchen die Menschen also womöglich trotzdem nach anderen Eigenschaften bei ihren Regierungsmitgliedern?
Ihre Einschätzung zu Keller-Sutter ist zutreffend. Sie ist die kühle, kontrollierte Macherin, die einen konkreten Plan hat. Volksnähe lässt sich ihr nur mit Fantasie zuschreiben. Ihr Beispiel zeigt aber auch die Schwierigkeit, diese Rankings einzuordnen: Sie hat sich nicht verändert in der Zwischenzeit, ihr Platz im Ranking aber deutlich.

Können Sie sich den Absturz Keller-Sutters von Platz 1 auf Platz 4 innerhalb eines halben Jahres trotzdem erklären?
Karin Keller-Sutters schwierige Phase begann im Februar, als der amerikanische US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine umstrittene Rede hielt, in der er die EU schalt. Keller-Sutter billigte seine Aussagen damals weitgehend. Danach folgte ihr Versuch, die US-Zolltarife zu senken. Viele Leute machen sie dafür verantwortlich, dass er scheiterte. Vorher wurde sie lange hochgelobt, jetzt abgestraft. Wer über eine längere Phase viel Applaus erhält, wird gerne zurückgestutzt. Das ist typisch für die Schweiz.

Bundespraesidentin Karin Keller-Sutter, rechts, und Bundesrat Beat Jans sprechen zu den Abstimmungsergebnissen, am Sonntag, 28. September 2025, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Haben beide an Beliebtheit eingebüsst: Beat Jans und Karin Keller-Sutter.Bild: keystone

Ignazio Cassis bildet das Schlusslicht des Rankings. Warum ist er in der Bevölkerung so unbeliebt?
Cassis hat seit seinem Start im Bundesrat 2017 eine durchzogene Wirkung beim Publikum. Er überzeugt nicht – auch nicht bei seinen eigenen Parteileuten der FDP. An ihm klebt das Image des Zauderers, der immer wieder in Fettnäpfchen tritt.

Die allgemeine Zufriedenheit mit dem Bundesrat und dem Parlament ist auf einem Tiefpunkt angelangt seit Beginn der Erhebung 2018. Nur 32 Prozent der Befragten sind zufrieden mit der Arbeit des Bundesrats, 36 Prozent mit jener des Parlaments. Zum Vergleich: Anfang 2022 waren es noch 65 und 56 Prozent. Woher kommen diese tiefen Werte?
Die hohen Zufriedenheitswerte Anfang 2022 sind mit der Coronaphase zu erklären. In dieser Zeit hat die Landesregierung enorme Popularitätswerte genossen. Aktuell nehme ich allerdings eine grosse Verunsicherung in der Bevölkerung wahr. Das hat viel mit der geopolitischen Lage zu tun. Die Umfrage fungiert hier als Ventil.

Sagen die tiefen Zufriedenheitswerte auch etwas über den Stand der Demokratie in der Schweiz aus? Müssen wir uns Sorgen machen?
Wegen dieser Ergebnisse sollten wir nicht den Krisenmodus ausrufen. Leichtfertig vom Tisch wischen sollten wir sie aber auch nicht. Der Kitt in unserem Land ist immer noch gross. Aber er nimmt ab, weil die Gesellschaft immer mehr fragmentiert und die Leute sich auf ihre individuellen Bedürfnisse konzentrieren. Schwierig wird es dann, wenn sich eine Mehrheit im Land politisch nicht mehr abgeholt fühlt, gleichzeitig aber eine Erwartungshaltung aufbaut, ohne selbst etwas beizutragen. Wir sollten nicht vergessen: In der Schweiz sind wir alle ein Teil des Staates. Wir tragen zur Demokratie bei – sei das im Quartierverein oder in einer lokalen Partei.

«Schwierig wird es dann, wenn sich eine Mehrheit im Land politisch nicht mehr abgeholt fühlt.»

Wie werden solche Rankings bei den Bundesratsmitgliedern selbst aufgenommen?
Diese Rankings werden von den Bundesratsmitgliedern und ihrer Entourage sicherlich registriert. Letztendlich sind sie eher ein Zeugnis für deren Teams als für die Bundesräte und Bundesrätinnen selbst. Am Ende des Tages zählt für ein Bundesratsmitglied vor allem, wie erfolgreich es in der realen Politik ist, also wie viele Abstimmungen und Gesetze es durchgebracht hat. Aber natürlich, der Bundesrat besteht aus sieben grossen Egos, die von den Medien und dem Publikum geliebt werden wollen. Gewissen gelingt dies, anderen nicht.

Welchen Tipp würden Sie einem Bundesratsmitglied geben, das seinen Platz im Ranking verbessern will?
Erstens: Seien Sie authentisch. Zweitens: Seien sie mutig. Drittens: Schaffen Sie im Generalsekretariat eine Kultur, die Kritik der Mitarbeitenden einfordert und nicht zu Karriereknicks führt.

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