Ein ergaunertes Einkommen von rund 4320 Franken, verteilt auf acht Monate, ist bescheiden. Beachtlich ist dagegen, wenn diese Summe dadurch zusammenkommt, dass der gleiche Trick nicht weniger als 178 Mal funktioniert. Jelena (Name geändert), eine unauffällige Frau Ende 20, die gestern vor dem Bezirksgericht stand, war stets nach demselben Muster vorgegangen: Sie schnappte sich in einer Migros-Filiale ein Produkt, steckte es in die Tasche und verliess den Laden, ohne zu bezahlen. Manchmal wartete sie bloss ein paar Minuten, manchmal bis zu einem Tag, dann ging sie zum Kundendienst der gleichen oder einer anderen Migros-Filiale und sagte, sie wolle das Produkt zurückgeben. Sie habe einen Fehlkauf getätigt.
Die Retouren wurden ausnahmslos akzeptiert. Gegen Quittieren des Retouren-Belegs erhielt Jelena den Kaufpreis erstattet – in Bar oder in Form von Migros-Gutscheinen. Aus dem Erlös kaufte die seit 2014 arbeitslose und wegen einer gescheiterten selbstständigen Tätigkeit mit rund 20 000 Franken verschuldete Frau aus der Region Aarau hauptsächlich Lebensmittel für den Eigengebrauch.
Natürlich konnte Jelena nie eine Kaufquittung vorweisen. Doch die Detailhandelsfachfrau hatte schon bei der Migros die Lehre gemacht und wusste, wie kulant die Praxis der Migros in solchen Fällen ist. Dass nämlich bei Vorzeigen der Cumulus-Karte bei einem Gesamtwert von weniger als 50 Franken die Ware auch ohne Kaufquittung zurückgenommen wird. Dieses Wissen machte sich Jelena zunutze. Wobei ihr, wie sie gestern andeutete, bewusst war, dass das Ganze eines Tages auffliegen würde.
Das war dann auch der Fall. Da sich Jelenas Aktivität dank der Cumulus-Karte lückenlos zurückverfolgen lässt, sind die Eckwerte aller 178 Fälle registriert: Filiale, Datum und Uhrzeit der Retouren, Produkt und erstatteter Betrag. Jelena frequentierte mehrheitlich Filialen im Aargau, in einzelnen Fällen auch solche in den Kantonen Bern und Solothurn. Es waren immer wieder die gleichen Produkte, zumeist aus dem Drogeriebereich, die sie (und zwar immer nur eines auf einmal) mitlaufen liess. «Topseller» und zugleich teuerstes Produkt waren Grünlippmuschelpulver-Kapseln für Fr. 29.90. Das Muschelpulver taucht in der Statistik von Jelenas «Fehlkäufen» 79-mal auf.
Meistens unterschrieb Jelena mit ihrem eigenen Namen, 34-mal aber mit einem fremden oder einem Fantasienamen. Daher warf die Staatsanwaltschaft der Beschuldigten auch mehrfache Urkundenfälschung vor. Von diesem Anklagepunkt sprach Gerichtspräsident Andreas Schöb Jelena frei. Aus den gefälschten Unterschriften sei der Zivil- und Strafklägerin, der Genossenschaft Migros Aare, kein über den Diebstahl hinausgehender Schaden entstanden.
Schuldig gesprochen wurde die vollumfänglich geständige Frau, die auf einen Verteidiger verzichtete, wegen gewerbsmässigen Diebstahls. Um einen leichten Fall handle es sich nicht, betonte der Gerichtspräsident. Jelena sei aber «praktisch eine Ersttäterin». Eine Vorstrafe wegen eines Verkehrsdeliktes dürfe sich nicht strafverschärfend auswirken. Schöb verurteilte Jelena für das Vermögensdelikt, übereinstimmend mit der Staatsanwaltschaft, zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten bei einer Probezeit von drei Jahren. Dazu kommen eine Verbindungsbusse von 900 Franken und die Verfahrenskosten.