Wer am 24. Mai ein «20 Minuten» in die Finger bekommen hat, dem muss angst und bange werden. «Linksextreme werden zunehmend brutaler», warnt die Titelseite. Der Anlass: die schweren Ausschreitungen am vergangenen Samstag in Bern, bei denen elf Polizisten verletzt worden sind.
Titelseite von «20 Minuten» am 24. Mai 2016.
In dem dazugehörigen Artikel bescheinigt Experte Samuel Althof Linksextremen ein «zunehmend brutales und organisiertes Vorgehen». Sie «bewaffnen sich stärker, das kann vom Pflasterstein bis hin zum Revolver gehen». Ein zusätzlicher Artikel im Blatt ist mit «Eine neue Dimension der Gewalt» überschrieben. Darin werden weitere schwere Taten von links aufgezählt:
Angriff auf einen SVP-Politiker auf offener Strasse in Zürich
Acht verletzte Polizisten nach Krawallen in Zürich
Verletzung eines Polizisten und einer Demonstrantin in Winterthur
Ein Angriff auf Polizisten in Zürich, bei dem «gezielt brennendes Feuerwerk» gegen die Beamten eingesetzt wurde
Weitere Krawalle in Bern, bei denen elf Polizisten verletzt wurden
Das liest sich wirklich schlecht und dem unbedarften Leser werden sich viele Fragen stellen. Sind wir in der Schweiz noch sicher?
«20 Minuten» am 24. Mai 2016.
Wie es wirklich war
Fall 1: Der Angriff auf SVP-Mann Hans Fehr ist inzwischen fünf Jahre her.
Fall 2: Auch aus dem Jahr 2011 datieren die Krawalle nach der Auflösung einer illegalen Party am Zürcher Bellevue.
Fall 3: Der Fall aus Winterthur ist allerdings schon etwas länger her. Es handelt sich um die Ausschreitungen im Rahmen der «Tanz dich frei»-Veranstaltung im Jahr 2013. Die erwähnte Verletzung der Demonstrantin hatte zu internen Ermittlungen der Polizei geführt. Wie bei der illegalen Party am Bellevue ist fraglich, ob die beteiligten Personen samt und sonders dem linksextremen Lager zuzuordnen sind.
Fall 4 ereignete sich im Dezember 2014, als bei einem «Saubannerzug» Chaoten sieben Polizisten verletzten. Das «gezielt brennende Feuerwerk» waren Petarden. Nichtbrennendes Feuerwerk einzusetzen, wäre allerdings selbst für Chaoten ziemlich sinnlos gewesen.
Fall 5 aus Bern ist der aktuellste in der Aufzählung. Anfang März 2016 hatten sich Gewalttäter vom Kulturzentrum Reitschule aus durch die Stadt geprügelt.
«Reclaim the Streets»: Krawall im Dezember 2014 in Zürich
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RTS: Krawall in Zürich
Die Polizei im Kreis 4 im Grossaufgebot. «Dank neuem Alarmierungssystem konnten innerhalb kürzester Zeit viele Polizisten aufgeboten werden», sagt Polizeisprecher Mario Cortesi. Bild: userinput watson
«Das Gewaltpotenzial sowohl der rechts- wie der linksextremen Szene bleibt bestehen. Trotzdem
ist die Lage derzeit weitgehend entspannt.»
Weiter heisst es da: «Hinweise auf eine [Verschärfung der Lage] bestehen in der Schweiz zwar derzeit nicht, wohl aber in andern Ländern Europas.» Nicht zuletzt weist der Sicherheitsbericht aus, dass die Zahl linksextremer Straf- wie auch Gewalttaten seit Jahren rückläufig sind. Dagegen gibt es mehr rechtsextreme Gewaltakte – wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau.
Alles in allem hinterlassen die «20 Minuten»-Artikel den Eindruck, als sollten hier die Pferde scheu gemacht gemacht werden. Und dann wird Samuel Althof hinzugezogen. Ausgerechnet der Basler Psychologe, der als Experte für Rechtsextremismus gilt. Ob der wohl gewusst hat, vor welchen politischen Karren er hier gespannt worden ist?
Klar dürfte sein, dass Extremismus immer Eselei ist. Um im Bild zu bleiben: Rechts- wie Linksextreme können den Karren in den Dreck fahren, den andere dann herausziehen müssen. Und Gewalt hilft da nicht, gegen keinen. Am Ende stehen im Jahr 2015 mit Blick auf die Statistik einfach 127 Ereignisse zu viel zu Buche.
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Die beliebtesten Kommentare
PenPen
24.05.2016 20:49registriert März 2016
Das ungute Gefühl, wenn man die eigene Klientel verteidigen muss...
Gewaltätige Chaoten sind in erster Linie Kriminelle, ob sie ihr Treiben nun mit linken, rechten, religiösen oder anderen weltanschaulichen Parolen zu legitimieren versuchen. Die Parolen sind in der Regel nur Vorwand. Das eigentliche Ziel dieser Leute ist einzig und allein die Ausübung von Gewalt.
Anstatt mit dem Finger auf 20min zu zeigen: Weshalb war bei watson bis jetzt kein einziges Wort zu den Ereignissen am Samstag zu finden? Ein Hintergrundbericht zu den Urhebern der Aktion wäre z.B. spannend. Oder ein Kommentar dazu, dass die Leidtragenden solcher Aktionen meist die kleinen Geschäfte sind (oder in diesem Fall u.a. ein Altersheim), dazu dass die vermeintlich unschuldigen Partygänger auf Kosten derer feierten, die sich für ihr Quartier einsetzen: http://mobile2.derbund.ch/articles/5741f786ab5c376565000001 Totschweigen oder gar kleinschreiben macht das Thema nicht transparenter.
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