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Meine erste Panikattacke hatte ich im Sommer 1997 während dem Film «The Fifth Element». Einfach so – boom – ansatzlose Todesangst.
Tunnelblick. Gefolgt von einem tierischen Fluchttrieb: Ab ins Zimmer, eine rauchen, zwei rauchen, drei rauchen, hysterische Pulskontrolle, warten auf den nächsten Herzschlag, warten auf den Hirnschlag, warten auf das plötzliche Ende. Dazu Adrenalin-Flash und ein olympiawürdiges Ping-Pong der Sinne. Eine gefühlte Ewigkeit später lässt mich die Panik langsam los.
Am nächsten Tag die nächste Attacke, eine Woche lang Attacken, Monate, Jahre. Es folgt der langsame Rückzug aus der Gesellschaft. Isolation. Und das alles wegen völlig irrationaler und für Aussenstehende nicht nachvollziehbaren Ängsten.
«Für Aussenstehende nicht nachvollziehbare Ängste» – da haben wir's, was die Schweiz in zwei Lager trennt. Der Stadt-Landgraben aka Güllengraben war gestern, der Röstigraben vorgestern. Was die Schweiz wirklich in zwei Lager unterteilt, sind die, die aus unerklärlichen Gründen Angst vor allem Fremden haben, und die, die aus ebenso unerklärlichen Gründen keine Angst vor allem Fremden haben. Die Schweiz hat einen Phobiegraben.
Meine Panikattacken-Karriere hatte ihren Höhepunkt, als der Besuch der Universität nicht mehr möglich war. Kaum füllte sich der Hörsaal, musste ich die Flucht ergreifen – wenn ich denn überhaupt so weit kam. Meist bedeutete bereits die Tram- oder Busfahrt Endstation. Zurück nach Hause. Zurück in die Sicherheit der eigenen vier Wände.
Unsicherheitsgefühle in den ÖV – auch das hört man immer wieder im Zusammenhang mit Xenophobie. Für die einen eine völlig irrationale Angst, etwas worüber man den Kopf schüttelt oder gar Witzchen reisst, für andere allerdings eine traurige Wirklichkeit.
Ein erster Schritt der Genesung kam für mich mit der Diagnose. Nein, kein Hirntumor, keine Epilepsie und auch keine Hepatitis war für meine Anfälle verantwortlich, sondern einzig und alleine mein Geist. Ich empfand das damals als beruhigend.
Weniger beruhigend war die vorgeschlagene Therapieform: Flucht sei zwar bequem, aber kontraproduktiv. Ich müsse mich den Situationen stellen, mich zwingen, nicht die Flucht zu ergreifen, lernen, dass die empfundene Bedrohung gänzlich surreal ist.
So abgedroschen, wie es klingen mag: Angst besiegt man nur, wenn man sich ihr stellt. Immer und immer wieder. Und jedes Mal kommt es zum Kräftemessen mit den eigenen Instinkten.
Und genau deshalb ist Angst ein derart hinterhältiges politisches Instrument: Sie ist schnell und einfach gesät, beseitigt werden kann sie aber nur in mühsamer Kleinarbeit von den Betroffenen selber. Die Angst ist die Landmine unter den politischen Instrumenten.
Umso schwieriger wird der Beseitigungsprozess, wenn gleichzeitig verführerische Scheinlösungen präsentiert werden: ein Verbot hier, ein Gesetzchen da. Sich einmauern in die eigenen vier Wände.
Ja. Auch ich fühlte mich damals kurzfristig sicher, wenn ich mich nach einem erfolglosen Versuch in die Aussenwelt endlich wieder zuhause in die eigenen vier Wände einschliessen konnte.
Die Freude war aber nur von kurzer Dauer, denn das eigentliche Problem war damit nur aufgeschoben. Und das nächste Mal, als ich den Fuss vor die Türe setzte, kehrte auch die Angst zurück – und zwar noch etwas stärker. Langfristig bezahlt man die Zeche.
Sich abnabeln, sich wohlig und sicher in den eigenen vier Wänden fühlen: Die politischen Architekten der Angst spielen genau auf diese Bedürfnisse an. Und wie bei den Panikattacken handelt es sich um kurzfristige Scheinlösungen, welche das eigentliche Problem längerfristig noch verstärken – was aber genau die Intention ist. Denn diese Ärzte wollen nicht das Wohl des Patienten, nein, sie wollen ihn für ihre eigenen Zwecke aussaugen. Und dafür eignet sich dieses selbsterhaltende System bestens.
Ein erster Anfang, dieses System zu durchbrechen, wäre, wenn man die Ängste der Betroffenen – so irrational sie auch erscheinen mögen – ernst nehmen würde. Die Schweizer Linke hat für sämtliche Randgruppen dieser Welt Empathie, nur nicht für verängstigte Schweizer.
Weiter wäre es hilfreich, wenn sich die Linke endlich vom hohen Ross der moralischen Überlegenheit herab begeben würde. Denn dafür, dass sie von Xenophobie nicht betroffen ist, kann sie nichts. Nein. Rein gar nichts. Pures Glück quasi. Und Betroffene verspotten und belächeln ist zwar gut fürs eigene Ego, treibt diese aber in die offenen Hände ihrer Metzger.
Zu guter Letzt aber braucht es den Effort der Betroffenen. Sie müssen sich aktiv ihrer Angst stellen und Begegnungen mit unseren ausländischen, anders religiösen, anders aussehenden Mitbewohnern suchen. Sie müssen realisieren, dass die verführerischen Lösungen nur kurzfristig Linderung bieten, längerfristig aber genau das Gegenteil bewirken: Noch mehr Angst. Oder gibt es irgend jemanden, der sich seit der Annahme des Minarettverbots sicherer fühlt in der Schweiz?