Davos ist für manche Dinge berühmt: das Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF) im Januar, seine Tradition als Luftkurort (bekannt durch Thomas Manns «Zauberberg» oder die Fernsehserie «Davos 1917»), den Spengler Cup, das Kirchner-Museum, das Skigebiet. Und für einen Holzschlitten, der nach dem Bündner Ferienort benannt wurde.
Nun hat ein Schlitten, oder vielmehr dessen Diebstahl, für grosse Aufregung gesorgt. Im Bergrestaurant des Skigebiets Pischa konnte man am Wochenende auf einem auf hebräisch verfassten Zettel lesen, aufgrund «diverser trauriger Vorfälle», darunter besagter Diebstahl, vermiete man «keine Sportgeräte mehr an unsere jüdischen Brüder».
Heute bei der Bergbahn Pischa in Davos:
— Jehuda Spielman (@JehudaSpielman) February 11, 2024
Ein Aushang auf Hebräisch informiert darüber, dass "aufgrund verschiedener ärgerlicher Vorfälle" keine Sportgeräte wie Schlitten und Skis an Juden vermietet werden können.
Hier ist eine Übersetzung des gesamten Texts:
«Aufgrund… pic.twitter.com/SnxAtZD54h
Der jüdische Zürcher FDP-Gemeinderat Jehuda Spielmann veröffentlichte den Aushang auf X, und der Shitstorm nahm seinen Lauf. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und sein Generalsekretär Jonathan Kreutner, ein regelmässiger Feriengast in Davos, zeigten sich entsetzt: Der Inhalt des Zettels sei «höchst diskriminierend und antisemitisch».
Widerspruch ist zwecklos: Eine ganze Gruppe aufgrund des Fehlverhaltens einzelner Leute zu bestrafen, ist ausgrenzend und rassistisch. Die Kantonspolizei Graubünden hat ein Verfahren eröffnet. Der Pächter des Restaurants zeigte sich einsichtig, betonte gegenüber dem «Blick» aber, der Vorfall habe «sicher nichts mit Antisemitismus zu tun».
Diese Rechtfertigung wirkt wenig glaubwürdig. Es gibt Wege, solche Vorfälle zu verhindern, ohne auf bestimmte Menschen zu zielen. Um zu verhindern, dass Sportgeräte gestohlen oder stehen gelassen werden, kann man ein Depot einziehen. Um Unfälle zu vermeiden, verlangt man eine passende Ausrüstung, wie dies auf einem neuen Aushang der Fall ist.
Warum wurden trotzdem nur jüdische Gäste «angeprangert»? Eine erste schriftliche Stellungnahme des Restaurants gegenüber «20 Minuten» ist aufschlussreich. Darin hiess es, dass «wir keine Lust mehr haben auf diese täglichen Diskussionen und Reibereien». Es sei immer wieder zu ärgerlichen Vorfällen mit jüdischer Kundschaft gekommen.
Das lässt sich ein Stück weit erklären. Orthodoxe Juden sind eine spezielle Klientel, denn sie leben vielfach in einer eigenen Welt. Trotzdem bemühen sich Schweizer Ferienorte wie Davos, Arosa – wo ein anderer gegen Juden gerichteter Zettel vor einigen Jahren ebenfalls für einen enormen Shitstorm sorgte – oder das Walliser Saastal um sie.
Sie bieten religiöse Einrichtungen nach ihren Bedürfnissen und koscheres Essen und ziehen damit Gäste aus ganz Europa und Übersee an. Gleichzeitig kommt es zu Irritationen und Querelen, wobei Jonathan Kreutner gegenüber der «Südostschweiz» betonte, diese Probleme würden nicht nur von jüdisch-orthodoxen Gästen verursacht.
Allerdings seien diese aufgrund ihrer Kleidung besser zu identifizieren. Das macht sie zum idealen «Blitzableiter» für pauschale Vorwürfe, auch wenn die Mehrheit dieser Gäste zu keinen Beanstandungen Anlass gibt. Und führt zu einem weiteren schwierigen Punkt: dem in der Schweiz oft fehlenden Gespür für jüdische Befindlichkeiten – und für Judenhass.
Der Umgang mit Menschen jüdischen Glaubens ist ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte, und das betrifft nicht nur die Wegweisung von Flüchtlingen im Zweiten Weltkrieg. Antijudaismus und Antisemitismus reichen zurück bis zu den Pogromen im Mittelalter und zur «Verbannung» in die Aargauer «Judendörfer» Endingen und Lengnau.
Bei der Gründung des Bundesstaats 1848 erhielten die Juden keine Gleichberechtigung. Dies änderte sich erst auf Druck des Auslands. Als Bedingung für ein Handelsabkommen forderte Frankreich die Niederlassungsfreiheit in der Schweiz für seine Staatsbürger – auch die jüdischen. Die Diskriminierung der Schweizer Juden wurde damit unhaltbar.
Sie wurde 1866 per Volksentscheid abgeschafft, doch der Antisemitismus liess sich nicht beseitigen. Davon zeugen explizite Einträge in den Gästebüchern von Engadiner Hotels, und noch 1986 berichtete der «Spiegel» über Vorurteile und Feindseligkeiten gegenüber orthodoxen Juden in Arosa, auch und gerade unter Einheimischen.
Sehr viel weiter scheint man seither nicht gekommen zu sein, wie der Vorfall in Davos zeigt. Er wirkt besonders irritierend, weil antisemitische Übergriffe seit der Eskalation im Nahen Osten auch in der Schweiz zugenommen haben. Und im letzten Sommer ist in Davos ein Vermittlungsprojekt des SIG mit orthodoxen Touristen laut der NZZ «krachend gescheitert».
Es ist herausfordernd, eine Balance zwischen den Lebenswelten strenggläubiger Juden und der säkularen Schweiz zu finden. Ein Minimum an Gespür im Umgang mit diesen Gästen sollte aber drin liegen. Das nützt auch dem gegenseitigen Verständnis. Ansonsten leidet der Ruf des Schweizer Tourismus.
Sehr guter Artikel aber dieser abschliessende Satz ist für mich etwas problematisch. Bedeutet er doch, dass sich die heimische Bevölkerung gegenüber den Touristen anpassen müsse.
Und Herr & Frau Schweizer verhalten sich im Ausland auch genau so: ohne Respekt vor der lokalen Kultur und mit dem Anspruch ihrer Lebensweise angepasst Urlaub machen zu können.
Für mich müsste es anders herum sein: Reist du in ein fremdes Land, passt du dich an die lokalen Gepflogenheiten an.
Sie sind Gast hier also passt man sich den Gepflogenheiten des Landes an das man besucht.
Warum soll das für anders Gläubige nicht gelten?
Sorry nur weiljemand streng Religiös ist muss ich mich nicht Unterwerfen.