
Sag das doch deinen Freunden!
Für solche Wetterstürze hatte die erfolgsverwöhnte Sünneli-Partei wohl keine passenden Kleider mehr im Schrank: Dank der SVP-Durchsetzungsinitiative (DSI) erleben junge Bürgerinnen und Bürger wie ich zum ersten Mal eine öffentliche politische Debatte, die diesen Namen verdient:
Die SRF-Politsendung «Arena» wurde plötzlich richtig emotional, Privatpersonen machten Geld für Gegenkampagnen locker, Rechtsprofessoren veröffentlichten wütende Manifeste, Bundesrichter mischten sich in politische Diskussionen ein, überdurchschnittlich viele Bürger liefen frühzeitig mit dem Stimmzettel zur Post, ja sogar die Coop- und Migros-Chefs traten vereint gegen die DSI an.
Dem heissesten Abstimmungskampf seit Jahren sind am Ende nur die Schweizerischen Bundesbahnen erlegen – so wie jeden Winter dem ersten Schnee. Auf dem Höhepunkt des Spektakels stolperten sie über ein Hakenkreuz. Die SBB stoppte ein Plakat mit dem angedeuteten Nazi-Symbol, zu dem das Schweizerkreuz zerfliesst. Es habe «Kundinnen und Kunden in ihren Gefühlen in tiefster Weise verletzt», heisst es in der SBB-Medienmitteilung.
Die SBB stuft eine politische Werbung als unzulässig ein, obwohl sie im Juli 2012 vom Bundesgericht diesbezüglich ausgiebig abgemahnt wurde. Die SBB muss seither politische, religiöse oder andere ideelle Aktionen in ihren Bahnhöfen tolerieren. Auch wenn die Entrüstung auf Social Media oder anderswo gross ist. Das Hakenkreuz als Symbol ist in der Schweiz, anders als in Deutschland, nicht verboten.
Eine genauere Erklärung, wie die SBB das Bundesgerichtsurteil interpretieren, bleiben sie schuldig: Der normalerweise sehr kommunikationsfreudige ÖV-Riese ist verstummt und verweigert jegliche weitere Auskunft.
Man kann das Hakenkreuz-Plakat gut finden oder nicht, man kann die DSI ablehnen oder annehmen, aber wenn sich die SVP seit Jahren mit provokativen Plakaten in aller Öffentlichkeit selber überbieten darf, muss die Gegenseite auch provozieren dürfen.
Wen verletzt das Hakenkreuz? Nazis? Die gibt es seit dem Fall von Nazi-Deutschland nicht mehr. Neonazis? Sie würden sich ob der Verbreitung des Symbols wohl eher freuen. Einzig bei den Juden wäre eine gewisse Verletzung nachvollziehbar. Sie könnten das Plakat als Verharmlosung des Holocaust empfinden.
Womit die SVP in den letzten Jahren die Schweiz aber zukleisterte, verletzte real existierende Minderheiten. Ihre Plakate verunglimpften Ausländer als schwarze Schafe, Kosovaren als Messerstecher, Schwarze als Pass-Diebe und Muslime als Terroristen.
Das Hakenkreuz-Plakat verletzt höchstens die heile Welt der Schweizer Stimmbürger, wenn es uns – plakativ aber treffend – vor Augen führt, dass wir über etwas abstimmen, das Anfang einer Entwicklung einer Zweiklassen-Justiz sein könnte, wie es Deutschland 1933 oder Südafrika 1948 erlebte.
Aber Verletzte gibt es bei Kämpfen immer. Bei einem so engagierten Kampf, wie wir ihn gerade sehen, sowieso. Solange die Verletzungen aber unter Einhaltung der Spielregeln entstehen, sind sie legitim. Denn die Spielregeln bestimmen wir. Und wenn wir sie anpassen wollen, muss das Schweizer Volk das tun. Sicher nicht die SBB.