Am Ende konnten sie es nicht lassen. Bis kurz vor der Abstimmung hatte die SVP ihre Samtpfoten-Kampagne für die Selbstbestimmungs-Initiative durchgehalten. Die unerfreulichen letzten Umfragen sorgten für die Kehrtwende. Auf gekauften «20-Minuten»-Titelseiten und in den sozialen Medien kehrten SVP und Konsorten zurück in den bekannten Kampf- und Hetzmodus.
So mussten die Scharia und der UNO-Migrationspakt als Gründe dafür herhalten, warum ein Ja zur SBI angeblich dringend notwendig war. Dabei hat dieser Mix aus Fremdenhass, Halb- und Unwahrheiten zuletzt selbst bei vermeintlich «sicheren» Themen wie «kriminellen» Ausländern und Einbürgerungen nicht mehr funktioniert. Warum dann bei einer derart «trockenen» Vorlage?
Mit der Rückkehr zur alten Masche wollten die SVP-Hardliner um Andreas Glarner unentschlossene Stimmbürger aufwiegeln. Vermutlich haben sie eher das Gegenteil bewirkt und Initiativgegner, die sich aufgrund der Umfragen bereits zurücklehnten, an die Urnen getrieben. Während manche potenziellen Ja-Sager ob der Gaga-Kampagne verdrossen abwinkten.
Das von der selbst ernannten Volkspartei verherrlichte «Volk» lässt sich eben nicht für dumm verkaufen. Es hat durchschaut, dass die Initiative gleichzeitig überflüssig und gefährlich war. Die global (nicht nur wirtschaftlich) vernetzte Schweiz ist darauf angewiesen, das Spannungsfeld zwischen nationalem und internationalem Recht pragmatisch und mit Augenmass zu regeln.
Das ist ihr insgesamt gut gelungen, auch wenn es in Einzelfällen zu Reibungsverlusten kommt. Deshalb war die Initiative überflüssig. Gleichzeitig hätte sie diese pragmatische Handhabung aus der Balance gebracht und für Rechtsunsicherheit gesorgt. Deshalb war sie auch brandgefährlich.
Die SVP hat sich aber auch nach Kräften um ein Scheitern ihrer Initiative bemüht. Sie hat nicht erst am Ende einen Zickzack-Kurs hingelegt, der so gar nicht zu ihrem Selbstbild als geradlinige Vertreterin des gesunden Volksempfindens passt. Anlass für die Lancierung der Initiative war bekanntlich ein Bundesgerichtsurteil von 2012, das bei Ausschaffungen die Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verlangt.
Der damalige Parteipräsident Toni Brunner drohte in der «Aargauer Zeitung» mit einer Kündigung der EMRK. Damit weckte er die Gegner zum frühestmöglichen Zeitpunkt auf, allen voran die unerschrockene Menschenrechtlerin Andrea Huber. Ihr beherzter Einsatz sorgte dafür, dass die SVP im Abstimmungskampf plötzlich nichts mehr von einer Kündigung der EMRK wissen wollte.
Das Nein ist ein Triumph für Huber, die jahrelang Schwerarbeit als Aktivistin und Lobbyistin geleistet hat. Doch die Nein-Kampagne war auch nicht makellos. Die anfangs guten Umfragewerte der Initiative sorgten für panikartige Reaktionen, die zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt waren.
Ärgerlich waren besonders die permanenten Vergleiche mit der Masseneinwanderungs-Initiative. Diese hatte vor bald fünf Jahren von einem verbreiteten Unmut über die starke Zuwanderung und ihre Folgen (Stichwort Dichtestress) profitiert. Und von der Arroganz und Ignoranz in weiten Teilen von Politik, Medien und Wirtschaft. Die SBI hatte einen ähnlich emotionalen Effekt nur bei den Hardcore-Anhängern der SVP.
Man kann nur hoffen, dass die SVP-Gegner in ähnlichen Fällen künftig gelassener agieren werden. Denn die SVP muss sich fragen, wie sie ihre Anliegen in Zukunft noch durchbringen will. Zum Beispiel die Kündigungs-Initiative. Bleibt die Zuwanderung auf dem heutigen, relativ niedrigen Stand, muss sie sich gar nicht erst überlegen, welche Kampagne sie dann führen will.
Auch aus diesem Grund war das Nein zur Selbstbestimmungs-Initiative so richtig und wichtig.