«S'isch scho chli Porno, am Afang isch mir das gar nöd so bewusst gsi, dass jetzt alli mini Frässi 90 Minute lang müend aluegä», sagt Lara Stoll. Doch entgegen ihren Befürchtungen tut man das als Zuschauer ziemlich gern. Man leidet mit dieser Fresse mit.
Und auch mit allem, was um diese Fresse herum gewachsen ist. Denn im «Höllentor von Zürich» ist die gesamte Lara Stoll gefangen in einer höchst unangenehmen Situation. Allerdings birgt ihre missliche Lage ein enormes Identifikationspotential für viele Frauen: Lara stopft die in der Wanne herumliegenden Haare nach dem Baden in den Abfluss. Nur leider – und an dieser Stelle mag sich bitte niemand mehr wiedererkennen – bleibt sie mit dem Finger darin stecken.
Für 127 Stunden.
Man kann Lara also wie ein sehr hilfsunbereiter Voyeur dabei zusehen, wie ihre Befreiungsversuche kläglich scheitern – wie sie Appenzeller mit Redbull und später auch ihren Urin trinkt («wenigschtens öppis mit chli Gschmack»), wie sie ihres letzten halben Minipics verlustig geht, wie sie mit ihrem verzerrten Spiegelbild im Wasserhahn spricht. Kurz, wie sie allmählich den Verstand verliert.
All das Duschgel, alles Shampoo nützt nichts. Der Finger bleibt im Loch. Bald versucht es Lara mit dem Nagelklipser, dann mit einem Haarspängeli. Es blutet. Und es ist echtes Blut.
«Sie hat sich einmal in der Küche in den Finger geschnitten, da mussten wir sofort ins Badezimmer rennen und drehen», erzählt Cyrill Oberholzer. Er ist der Regisseur des Films. Es sei eben schwierig, Blut zu inszenieren, das so frisch aus der Wunde herausspritzt.
Lara kann sich daran nicht mehr erinnern. «Sie hat alles verdrängt», sagt Cyrill. Es war ein schwieriger Dreh. In einer schwierigen Zeit. Aus den dafür vorgesehenen zwei Wochen wurden acht Monate – und allesamt verbrachten die beiden damals noch als Paar in diesem vermaledeiten Badezimmer.
Lara hat sogar mit Heuschrecken gedreht, dabei hat sie eine furchtbare Insektenphobie. Schnaps und Temesta haben geholfen. Aber die meiste Zeit über hat sie den Film abgrundtief gehasst.
Vielleicht sei der Film deshalb auch gut geworden, weil man ihm dieses Leiden, die unzähligen Nervenzusammenbrüche wirklich anmerke, meint Lara. Das Dasein, das nach Cyrill so oder so Leiden ist, «ist komprimiert worden, ins Format Film gedrückt wie eins dieser handgefertigten Modellschiffchen, die man in Glasflaschen mostet.»
Lara steckt also fest und verzweifelt. Sie kommt deshalb auch nicht umhin, sich der grossen Fragen des Lebens anzunehmen. Ist der Wahnsinn nicht eigentlich besser als die schnöde Realität? Warum stecke ich im Abfluss fest? Wer bin ich? Was weissagt mir das Orakel von Delphi, wenn ich es in Unterhosen, mitten in der Nacht und verbotenerweise besuche?
Die Disney-Formel lautet: Für jede Träne einen Lacher. So ähnlich sei das auch im «Höllentor von Zürich».
In «Lion King», Cyrills Überfilm, würden genauso die grossen Themen abgehandelt. «Im Grunde ist es Hamlet. Aber gleichzeitig gibt's da noch Timon und Pumbaa.»
«Das Höllentor von Zürich» ist aber vor allem ein schnittgetreues Remake des 2010 erschienenen Films «127 Hours» von Danny Boyle. James Franco spielt darin den Bergsteiger Aron Ralston, der in einer Felsspalte stecken bleibt – und sich nach fünf schlaflosen Nächten den Arm amputiert, um endlich freizukommen.
Die Arbeitsweise der beiden bestand darin, nebenher James Franco auf dem Laptop abzuspielen und die Szenen so genau wie möglich zu kopieren.
Cyrill und Lara wollten nämlich kein Drehbuch schreiben. Sie nahmen sich lieber etwas, was es schon gab, und machten daraus etwas Neues. Für mehr hatten sie auch gar kein Geld.
Mit ein bisschen Crowdfunding (es gab erotische Fotoanhänge oder schlecht gedrehte Joints als Gegenleistung), einem Zustupf von Minipic und der Migros haben sie sich ans Werk gemacht. Denn durch Werbung wollte sich Cyrill nicht finanzieren. Sonst kriegt er Magengeschwüre.
Das ist dann wohl der Ursprung des ominösen Reizdarms, von dem Lara im Film geplagt wird.
Einmal sieht man sogar einen Mageninhalt, aber es ist nicht der von Lara. Er gehört einem Fremden, Cyrill hat ihn irgendwo im Internet gefunden und ihn bis zur ziemlichen Unkenntlichkeit verfremdet. «Sowas nennt man ‹Fair Use›. Da wir mit dem Film kein Geld machen wollen, ist es auch nicht so tragisch, dass wir uns Copyright-technisch manchmal ein bisschen in der dunkelgrauen Zone bewegen», sagt er.
Für Cyrill ist «Das Höllentor von Zürich» auch eine Kampfansage an die vorherrschenden Verwendungsverbote. «Schnitt und Kameraeinstellungen zum Beispiel sind nicht geschützt, da gibt's keinerlei Copyright, auch wenn man etwas exakt nachfilmt. Unser Film spielt ein bisschen damit.»
Eigentlich wollte er den Film sowieso «Die Göttliche Ordnung 2» nennen. Aber eben. Dann hat er halt die Hölle genommen.
Und Shia LaBeouf. Der stellt sich in einem seiner Performance-Videos nämlich explizit zur Weiterverwendung zur Verfügung. Praktischerweise hat er sich dafür vor einen Greenscreen gestellt, und äusserst motivierend «Just do it!» in die Kamera gebrüllt.
Genau das haben Lara und Cyrill getan. Deshalb spielt Shia jetzt auch in ihrem Film mit, er ziert sogar die Plakate. Und deshalb sei der Film auch geil, sagt Cyrill. «Das hat nicht in meiner Macht gelegen, es hat sich einfach so ergeben. Wir haben uns eben nicht mega schlaue Sachen überlegt, wir haben kein Drehbuch geschrieben, wir haben einfach gemacht.»