Als Vertreterin des rechten Flügels der Sozialdemokraten hat sich Chantal Galladé einen respektablen Ruf geschaffen. Jetzt ist sie – zumindest kurzzeitig – eine nationale Figur geworden. Grund dafür ist ihr sorgsam inszenierter Austritt aus der SP und der Übertritt zur GLP. Der «Tages-Anzeiger» hat ihr dafür ein grosses Interview gewährt, die «Arena» gar kurzfristig ihr Programm auf den Kopf gestellt.
Jeder Polit-PR-Berater wird Galladé für ihren Coup Hochachtung zollen. Sie selbst sieht sich jedoch in der Rolle eines modernen Martin Luthers und will nach dessen Devise gehandelt haben: «Hier stehe ich und kann nicht anders.» Grund dafür sei, dass die SP sich europapolitisch auf einem Irrweg befinde, erklärte sie jedem, der es hören wollte.
SP-Insider kaufen ihr diese Nummer nicht ab. So schreibt Koni Loepfe, der langjährige SP-Präsident der Stadt Zürich, im Wochenblatt «P.S:»: «Sie hatte mit der Partei noch eine Rechnung offen und begleicht sie vier Wochen vor den Wahlen im wirksamsten Moment. Sie erreicht damit, wie im Kommentar vom ‹Tages-Anzeiger› bereits erfolgt, die Darstellung der SP als intolerant, als Fahrzeug, das den rechten Flügel am liebsten abwerfen möchte.» (Offenlegung: Koni ist mein Bruder.)
In die gleiche Kerbe schlägt auch Daniel Binswanger in der «Republik»: Galladé sei eine ambitionierte Politikerin, «der die SP nicht die Karriere ermöglicht hat, auf die sie einen Anspruch zu haben glaubt. Jetzt zahlt sie es den Genossen heim.»
Die Verbindung von Rache und Sachpolitik kann auch fruchtbar sein. Es ist unbestritten, dass sich die SP in Sachen Europapolitik derzeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Galladé ist nicht die Einzige, die den sturen Kurs der Partei bemängelt. Selbst Koni Loepfe gibt zu: «Mit dem Vorwurf, dass die SP beim Rahmenvertrag auf einer schlechten Welle reitet, hat sie leider recht.»
Altmeister Peter Bodenmann hingegen glaubt, dass das ganze Theater letztlich für die Katz sei. «Wir werden über das Rahmenabkommen abstimmen. Schneller als wir denken», sagte er in der «SonntagsZeitung». «Dank der SP und den Gewerkschaften, dank neuer flankierender Massnahmen wird es auch angenommen.»
Galladés Parteiübertritt war Polittheater – mehr nicht. Hätte sie tatsächlich ein Gewissensproblem, hätte sie auch ganz anders vorgehen können. «Ein stiller Übertritt nach den Wahlen und eine Anstandspause zum Übertritt in eine andere Partei wäre auch ein Weg gewesen», so Koni Loepfe.
Stattdessen hat sich Galladé nun ihre Viertelstunde des nationalen Ruhms erstritten. Der Preis dafür dürfte happig sein. Nochmals Bodenmann: «Madame Galladé sollte bedenken: Man liebt den Verrat, aber selten die Verräterin.»
Überläufer sind eher unsympathische Figuren. Ihnen haftet der Geruch des Opportunismus, wenn nicht des Verrats an. Mit solchen Vorwürfen muss sich auch Chantal Galladé herumschlagen, seit sie im «Tages-Anzeiger» ihren Wechsel von der SP zu den Grünliberalen angekündigt hat. Viele Ex-Parteikollegen reagierten empört, allen voran SP-Präsident Christian Levrat.
Man kann sie teilweise verstehen. Die 46-jährige Winterthurerin hat den Sozialdemokraten viel zu verdanken. Sie sass 15 Jahre für die Partei im Nationalrat. Und der Zeitpunkt des Wechsels nur drei Wochen vor den Zürcher Wahlen wirkte nicht ideal. Man wurde den Verdacht nicht los, dass sie ihrer neuen Partei einen Gefallen tun und bisherige SP-Wähler abwerben will.
Aber ist Galladé eine Verräterin? Nein, sie hat konsequent gehandelt. Seit Jahren politisierte sie auf dem rechten SP-Flügel. Sie war Mitglied der Reformplattform, zu deren Gründern Pascale Bruderer und Daniel Jositsch gehören, Galladés Ex-Lebenspartner. Sie waren und sind Zugpferde der Partei. Nicht zuletzt dank ihnen ist die SP im Ständerat so stark wie nie zuvor.
Honoriert wurde das wenig. Programmatisch steht die SP weit links. Die «Reformer» wurden an den Rand gedrängt und teilweise verhöhnt. Es erstaunt wenig, dass es einer Chantal Galladé auf gut Schweizerdeutsch «den Nuggi rausgehauen» hat. Das Fass zum Überlaufen brachte die harte Linie in der Europapolitik und das Nein zum Rahmenabkommen.
Damit hat sich die SP verrannt, denn ihre mittelständische Basis dürfte wesentlich EU-freundlicher eingestellt sein als die Gewerkschaften mit ihrer kompromisslosen Verteidigung der flankierenden Massnahmen gegen Lohndumping. Galladé ist so etwas wie die Personifizierung dieser urbanen Progressiven, mit ihrem Austritt hat sie den wunden Punkt der SP offengelegt.
Und tatsächlich hat ein Umdenken begonnen. Fraktionschef Roger Nordmann liess am Freitag in der «Arena» Flexibilität beim Lohnschutz durchblicken. Christian Levrat bekannte sich tags darauf an der Delegiertenversammlung in Goldau offen zum Rahmenabkommen. Der Galladé-Eklat war dafür nicht allein verantwortlich. Aber er hat vielleicht den letzten Schub gegeben.
In der «Arena» wurde auch deutlich, dass Chantal Galladé nicht aus Überzeugung die Partei gewechselt hat, sondern primär aus enttäuschter Liebe. Fast schon flehentlich rief sie den Gewerkschafter Daniel Lampart auf, gemeinsam an einen Tisch zu sitzen und Lösungen beim Lohnschutz zu finden. Für ihren mutigen Schritt verdient sie Lob und nicht Tadel.
In gewisser Weise kann man sie als Visionärin bezeichnen, die die SP auf den Pfad der europapolitischen Tugend zurückgeführt hat. Deshalb war vielleicht sogar der Zeitpunkt gar nicht schlecht. Gerade im Kanton Zürich leben viele dieser progressiven Mittelständler. Wenn die SP sich nun zum Rahmenabkommen bekennt, könnte sie am 24. März profitieren.