Sag das doch deinen Freunden!
Ich verlasse watson. Nicht ganz freiwillig. Der Grund meiner Entlassung findest du unter Punkt 10. So gesehen habe ich meinen Job richtig gut gemacht. Oder: Der Chef möchte die Redaktion in Pflicht nehmen 😉
Das waren sie nun also: meine ersten zwei Jahre in «den Medien». Als Fazit präsentiere ich 23 Gründe, weshalb zwei Jahre Jagd nach dem schnellen Klick noch nicht genug sind. Das heisst: Die Branche wird mich wohl nicht so schnell los 💥👊😎
Und so hat alles angefangen:
Nach einer ordentlichen Berufslehre bin ich inzwischen in der vierten Branche tätig. Die Quereinstiege verdanke ich meiner Naivität, meiner Neugierde und Menschen, die mir ihr Vertrauen schenkten. Zuletzt war dies Hansi Voigt ✨🙏✨
Im Schnelldurchlauf mein Werdegang und was ich dabei für meine Tätigkeit als Social Media Profi gelernt habe (denn ich habe in dieser Tätigkeit nicht eine Stunde Aus- oder Weiterbildung genossen):
Zehn Jahre baute und pflegte ich als Landschaftsgärtner, Vorarbeiter und Bauführer Gärten und Parks. Dabei lernte ich, wie durch Umgebungsgestaltung die Atmosphäre von Räumen massgeblich beeinflusst wird.
Anschliessend organisierte ich über zehn Jahre Partys; von der kleinen Keller-Sause über künstlerische Konzept-Events bis hin zu mehrtägigen Gross-Raves. Auch hier war ich meistens für die Gestaltung der Räume zuständig; hinzu kam der Aufbau, die Mobilisierung und die (passive!) Animation von Communities.
Danach leitete ich knapp zehn Jahre das Cabaret Voltaire – ich kuratierte Ausstellungen, einen Shop, Veranstaltungen, Medienprojekte und Guerilla-Kunstaktionen. Somit zählte das Kuratieren zu meinem beruflichen Alltag, noch bevor es sich als Schlüsseleigenschaft im Web etablierte.
Und jetzt arbeite ich also seit zwei Jahren in «den Medien» — genau genommen in den Massenmedien; denn dank Blogs und Social Media arbeiten wir heute alle in den Medien.
Die nachfolgenden Punkte beziehen sich ganz allgemein auf mein «teilnehmendes Beobachten» in der Medienbranche und sind nicht nach Gewichtung geordnet. Mein kurzer, persönlicher Rückblick auf watson folgt ganz am Schluss.
Alles gibt es rund um die Uhr und gratis im Netz; nur noch der (aufsehenerregende) Live-Moment erhält eine Gleichzeitigkeit in der Timeline der unterschiedlichsten Menschen; sei es bei einem wichtigen Fussball-Spiel oder bei einem Terror-Anschlag.
Bei grossen Ereignissen hingen früher alle vor dem TV und am Radio. Heute verfolgen alle — neben Social Media — den Live-Ticker eines Newsportals. Die meisten User sind sich dabei bewusst, dass viele Infos noch nicht endgültig verifiziert sind.
Der Ticker ist im Grunde genommen ein Informations-Puzzle, das vielen Artikeln und Storys zu Grunde liegt; bei dem jedoch die User live miterleben können, wie es Form annimmt.
Bei einem Live-Ticker kann man auch erfahren, wie Crowdsourcing im Journalismus funktioniert, denn ein Ticker besteht nicht selten aus vielen Beiträgen von Social Media Usern; nämlich denjenigen, die vor Ort sind. Das sind die (nicht mehr ganz neuen;) «Bürgerjournalisten».
Zu fast allen normalen Storys gibt oder gäbe es nach deren Publizierung Ergänzungen oder Korrekturen. So gesehen wäre ein Format mit einer Zeitachse passender, das ständig und (wenn immer möglich) transparent ergänzt werden kann.
Viele gute Storys sind zeitlos oder können mit wenig Aufwand aufdatiert werden. Das Archiv ist also nicht mehr nur eine Ablage von abgelaufenen Artikeln, sondern ein Reservoir für Storys, die wieder aufgegriffen, korrigiert und/oder ergänzt werden können. Für zeitlose Storys (zum Beispiel zu den Themen Essen oder Fotografie) gibt es übrigens auch Social Media Plattformen, auf denen sich die User vor allem an Themen- und nicht an Timelines orientieren.
... unabgeschlossen, weil es viel ehrlicher ist, denn es gibt zu vielem keine abschliessende Meinung oder sie müsste zumindest aufgrund von einem neuen Wissenstand angepasst werden können.
In bestimmten Konstellationen können ganz spezifische Inhalte so produziert und geteilt werden, dass sie ziemlich sicher viral gehen. Die bekanntesten Beispiele sind «Katzen» und der klassische «Clickbait». Abgesehen davon kann Viralität jedoch nur begünstigt werden. Sehr oft entscheiden auch zufällige Konstellationen und Dynamiken darüber, ob etwas massenhaft geteilt wird (unter anderem, ob der Inhalt einen Nerv der Zeit trifft).
Diese 50% sind Handgelenk mal Pi geschätzt und in dieser Genauigkeit nicht weiter wichtig. Das meint einfach, dass das Thema der Story (aktuell, respektive auf die ausgewählten Communities zugeschnitten), Titel, Gliederung (zum Beispiel als Listicle) und die visuellen Mittel (vom Bild über Gif und Grafik bis zum Video) für den viralen Erfolg sehr wichtig sind.
Oder umgekehrt: Teasertext, Teaserbild und die zeitliche und communityspezifische Platzierung für und auf Social Media sind nur die halbe Miete.
Vieles von dem, was ich hier ausführe, bezieht sich vor allem auf Facebook. Und bei Facebook kann sich innert Monatsfrist einiges ändern; denn da ist die einzige Konstante, dass sich der Algorithmus ständig verändert.
Grundsätzlich ist es schon so, dass etwas nicht mehr viral geht, das schon massenhaft rumgereicht wurde. Wenn eine Story jedoch da und dort schon mal auftauchte, aber noch nicht richtig steil ging, dann ist es sehr wohl einen Versuch wert, etwas (nochmals) zu teilen. Auch etwas, das vor längerer Zeit mal viral ging, kann Monate oder Jahre später nochmals massenhaft geteilt, geliked und kommentiert werden.
Möglicherweise gibt es Situationen und Betriebe, in denen ein Social Media Handbuch sinnvoll ist. Ich persönlich halte jedoch nicht viel davon. Ein solches müsste eh ständig angepasst werden, denn die Algorithmen, die Aktualität (bezüglich Form und Inhalt) und die Communities ändern sich ständig. Ausserdem führt es dazu, dass die Vorsicht in Form von «PR-Blabla» und auswechselbaren Posts überhand nimmt.
Dieser Punkt betrifft vor allem Twitter; aber eigentlich auch jede andere Plattform: Wenn dir etwas wichtig ist, dann teile es mehrmals (oder behandle den Post so, dass er ein weiteres Mal Aufmerksamkeit kriegt;) Ändere dabei wenn möglich auch Teasertext und -Bild. Niemand folgt dir lückenlos.
Und immer wieder:
Fehler machen ist menschlich, und Fehler und Missverständnisse führen zu Interaktionen. Wer schnell, souverän und selbstkritisch auf Fehler und Missverständnisse reagiert, macht oft aus Kritikern Fans.
Das sollte nicht dazu führen, dass (ständig;) bewusst Fehler provoziert werden, aber es sollte helfen, die oft sehr lähmende Vorsicht zu überwinden.
So gut wie jedes Thema hat eine «Zielgruppe». Man muss nur wissen, wo sie sich auf- und unterhält. Inzwischen können auf Social Media auch sehr lokale oder Nischen-Storys in vergleichsweise grosser Zahl geteilt und diskutiert werden. Gerade was die Viralität betrifft, spielt die Nische eine wichtige Rolle. Zumindest dann, wenn nicht einfach die (so genannt;) «niederen Instinkte» bedient werden möchten.
Deshalb gibt es nichts Schwammigeres als wenn für oder gegen ein Thema «Relevanz» ins Feld geführt wird. Im Prinzip geht es meistens darum, dass jemand damit seine oder ihre subjektive Meinung untermauern möchte (was nicht nur schlecht, denn das verleiht dem Journalismus eine erfrischende Zufälligkeit;)
Niemand kann (theoretisch;) besser Diskurse führen und weiss am Besten, wo die Diskurse zu bestimmten Themen geführt werden, als diejenige, die Inhalte produzieren. Um in der Medienbranche den Wandel von «senden» zu «kommunizieren» möglichst konsequent voranzutreiben, sollten diejenigen, die Inhalte (Geschichten, Content, etc.) produzieren, für Social Media und die/ihre Community verantwortlich sein. Es versteht sich von selbst, dass es trotzdem einen gewissen Support, Graubereiche, Tests und Weiterentwicklungen bedarf.
2016 is the year online journalists have to face "real conversations" https://t.co/hK1LhAfCOu
— Mathias Menzl (@mathiasmenzl) 15. Dezember 2015
Randbemerkung: Ich benutze das Wort «Manager» im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit nicht. Ich verbinde mit Social Media vor allem Emotionen und auch den Austausch mit Menschen. Dabei finden bestimmt auch Prozesse statt, die «gemanagt» werden müssen, dies sollte jedoch auf Social Media nie die Kerntätigkeit und der Hauptfokus sein.
Naiv, wie ich (übrigens gerne;) bin, stellte ich mir einen Online-Journalisten wahnsinnig web-gewandt vor. Und spätestens mit Facebook — immerhin vor mehr als zehn Jahren lanciert — ist Social Media ein prägender Teil des Webs.
Wenn überhaupt, dann sind viele Journalisten nach wie vor vor allem auf Twitter aktiv, wo es jedoch oft um eine branchenspezifische Nabelschau geht. Hier holen sie sich Lorbeeren, Beef oder im besten Fall Inputs; jedoch eher selten Austausch mit Usern und Traffic für ihre Storys. Die wenigsten interagieren so, dass sie eine aktive Community aufbauen können; die ihnen zum Beispiel hilft, ihre Storys dorthin zu bringen, wo sie diskutiert werden.
Sind sie auf Facebook aktiv, kommt es nicht selten vor, dass sie die Funktion gesperrt haben, dass man ihnen in ihre Chronik schreiben kann. Dadurch wird verunmöglicht, dass Dritte ihnen etwas auf Augenhöhe mit-teilen können (via Direktnachricht ist es nicht öffentlich und in den Kommentaren ist es demjenigen Inhalt untergeordnet, den der Account-Inhaber geteilt hat).
So gesehen sind sich Online- und Print-Journalisten oft viel näher, als es auf Aussenstehende wirkt (im Wissen darum, dass diese Trennung immer seltener vorkommt).
Das führt zum Schluss, dass die Möglichkeiten, die das Web bietet (von Interaktion bis prozesshaftem Informationsfluss), in «den Medien» noch lange nicht ausgeschöpft werden (Beispiele finden sich in diesem Listicle).
In Diskussionen auf Social Media habe ich manchmal das Gefühl, niemand sträubt sich stärker gegen die Verbreitung von journalistischen Inhalten auf Social Media, als die Journalisten selber. Alles wird reflexartig abgelehnt, was aufzeigen könnte, wie sich journalistische Inhalte einfacher verbreiten lassen.
Bis anhin mussten sich Journalisten nicht gross damit beschäftigen, dass ihre Artikel in der gedruckten Zeitung oder ihre Beiträge in Radio und TV um die Aufmerksamkeit buhlen mussten; ob im Kafi, am Arbeitsplatz oder Zuhause.
So gesehen ist die Konkurrenz einer journalistischen Geschichte mit profanem Klatsch und vielen anderen alltäglichen Ablenkungen nichts Neues.
Beim Spiel damit – wieso so was nicht mal etwas spielerischer angehen? – wie eine Story möglichst viele Menschen erreichen könnte, sollte es keine Tabus geben. Clickbait wäre schon lange wieder verschwunden, wenn er die Leute derart verarschen würde, wie viele (Branchen-Hengste;) behaupten.
Aber: «Lernen von Clickbait» meint nicht (per se;), Clickbait zu kopieren.
Keine Frage: Nackte Frauen/Brüste werden immer (noch) gerne geklickt. Auf Social Media haben sie jedoch gegenüber Katzen einen entscheidenden Nachteil: Niemand möchte zeigen, dass er (und möglicherweise seltener: sie;) sie klickt. Ergo: Storys mit nackten Frauen/Brüsten werden viel seltener geliked und noch weniger geteilt, als (behaarte;) Katzen. Deshalb finden Nacktheiten nur in der angestammten Community Beachtung. Sobald etwas geliked oder geteilt wird, erweitert sich jedoch die Community, weil es auch von denjenigen beachtet wird, die keine (Stamm-)User sind.
Soll also noch einer sagen, dass mit dem Internet alles schlechter wird.
Die Nachbarin zieht sich schon wieder am offenen Fenster um und versperrt den Blick auf die niedliche Katze.
— Jesse Custer (@jesscuster) 3. April 2015
Auch wenn Journalisten noch so (schein;)objektiv schreiben und eine (Pseudo;)Relevanz ins Feld führen; so färben sie ihre Ausführungen immer mehr oder weniger stark mit ihrer subjektiven Sicht. Die Zufälligkeit also, dass gerade sie die Plattform von unzähligen Usern benutzen dürfen, ist darauf zurück zu führen, dass sie ein bestimmtes Handwerk beherrschen. Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass hierzulande alle schreiben und fotografieren können (und immer mehr filmen), eine Meinung haben und in bestimmten Themen sattelfest sind, dann wird die Zufälligkeit offensichtlich.
Es ist also ein Privileg, wenn jemand in unserer Gesellschaft die Exklusivität nutzen darf, regelmässig ein breiteres Publikum anzusprechen. Dies sollten sich vor allem diejenigen Journalisten vor Augen führen, die finden, dass die Kritik von User XY einfach eine Meinung von vielen sei. Das ist nämlich die Ihrige auch.
Journalistinnen und Journalisten sind oft grosse Meister im Beobachten, Beschreiben, Kritisieren und Einordnen. Aber wehe, es betrifft mal sie selber, respektive ihre Branche. Dann werden sie (Betriebs)blind; respektive, im Gegenteil: Sie reagieren gereizt, hadern und suchen die Fehler überall, nur nicht bei sich.
So kommt es, dass der Journalismus bereits vor knapp 15 Jahren den Niedergang der (industriellen) Musikbranche (da wäre sogar der Begriff «Verlag» zu finden;) begleiten, beschreiben, kritisieren und einordnen konnte; jedoch unfähig war, Schlüsse auf sich selber, respektive seine Branche zu ziehen. Dasselbe heute mit Uber.
wow @Uber pic.twitter.com/nbbQYx2xe8
— dissent.is_/#███/عمه (@sms2sms) 12. Dezember 2015
Bei vielen Verlagshäusern lautet die Devise noch nicht mal «online first», dabei sollte sie inzwischen «mobile first» lauten. Aber vielleicht machen sie es, wie viele Regionen des Kontinentes Afrika, die — als Metapher, anstelle von «online» — die Festnetz-Telefonie übersprungen haben und gleich auf mobile setzten.
Auf die Unterschiede zwischen Online und Mobile gehe ich nicht weiter ein. Sie sind ziemlich offensichtlich, nicht?
Was ein CVD ist, wusste ich vor drei Jahren noch nicht. Ausgeschrieben klingt es irgendwie altertümlich: Chef vom Dienst. Seine oder ihre Aufgabe ist es in erster Linie, darüber zu entscheiden, wann und wo auf der Front eine Story platziert wird, und zu kontrollieren, ob Teaserbild und Titel «funktionieren».
Dieselbe Aufgabe auf Social Media umzudenken, entwickelt deshalb einen besonderen Reiz, weil dann viele Unterschiede, respektive gewisse Parallelen zur Homepage sichtbar werden. Was auf der Homepage relativ simpel zweidimensional ist — mal abgesehen davon, dass ein «Portal» auch eine gewisse Tiefe beinhaltet — ist «Social» quasi dreidimensional. Nicht umsonst spricht man hier von Plattformen und nicht von Front oder Page.
Im Gegensatz zur Homepage, wo die Leute hinkommen müssen, halten sich die Menschen auf den Social Media Plattformen ständig auf; meistens in bestimmten Themen-, Berufs- und Familien- respektive Freundschafts-Bubbles. Es ist somit nicht nur entscheidend, mit welchem Teaser (Text/Bild) eine Story auf welcher Plattform geteilt wird, sondern auch noch, in welchen thematischen Milieus und mit welchem Interaktionsgrad.
Abgesehen von Umfragen und Kommentaren ist die User-Beteiligung auf einem Newsportal vergleichsweise bescheiden. Auf Sociale Media können sie sich viel stärker einbringen, Fremde Inhalte teilen (nicht nur in den Kommentaren) und mehr oder weniger bewusst ihre Plattform und ihr «Publikum» kuratieren. Hier kann erlebt werden, was die Leute beschäftigt, was sie mit-/teilen und diskutieren. Hier wird also eine Story mehrfach und unterschiedlich angeteasert geteilt. Jedes Teilen ist als Test zu werten und quasi als «Anschubhilfe» zu verstehen. Im besten Fall macht sich die Geschichte anschliessend selbstständig.
Die Anzahl Follower oder Likes sagt relativ wenig über die eigentliche Inter-/Aktivität der Community aus. Umgekehrt bedeutet jedoch eine grosse Aktivität auf Social Media nicht automatisch, dass die Community den eigentlichen Inhalten viel Aufmerksamkeit schenkt.
Deshalb sagt es wenig aus, wenn sich jemand mit der Anzahl Follower/Likes brüstet. Auch sollte man sich bewusst sein, weshalb man auf Social Media aktiv ist. Aus Prinzip oder auf Biegen und Brechen die Leute unterhalten, kann selten zielführend sein.
Es gibt nicht nur viele Journalisten, die sich gegen die offensive Verbreitung ihrer Storys wehren (siehe Clickbait), sondern auch solche (oft die selben;), die sich gegen neue Formen der Finanzierung ihrer Arbeit wehren. Dabei entsteht der Eindruck (wohl unbewusst bewusst;), dass bisher alles «sauber» verlief. Dabei war die Einflussnahme auf Journalismus seit jeher vorhanden; ob durch Kirchen, Parteien oder andere mächtige und finanzkräftige Player. Auch heute werden Journalisten tagtäglich absichtsvoll Hinweise, Studien und Storys gesteckt. Da sind Heerscharen von Lobbyisten, PR- und Marketing-Fachleute aktiv.
Und nun soll gerade die transparenteste Form einer solchen «Kooperation» der Verrat am journalistischen Ethos sein?!
Come on!
Das ist nicht nur peinlich, sondern ein geschickter Schachzug, um vom eigentlichen Problem abzulenken: Die diffuse und gänzlich intransparente Einflussnahme von NGOs, Firmen, Verbänden und Institutionen. Das(!) ist nämlich einer der wichtigsten Gründe für das schwindende Vertrauen in die Massenmedien.
Desweiteren ist die Native Ad nicht nur ein (finanzieller) Gewinn für den Verlag (gerade in einer Zeit, in der die Adblocker massentauglich werden), sondern auch ein (inhaltlicher) Gewinn für die User, denn sie kriegen anstelle von nervender Banner- und Popup-Werbung Storys und Informationen, die sie interessieren.
Ist etwas nun eine Analyse, ein Kommentar oder ein normaler Artikel? Ich könnte in dieser Branche wohl alt werden und den Unterschied nie (gänzlich) verstehen. Ist nicht jeder Artikel auch ein (schein;)objektiv verfasster Kommentar? Eigentlich ist sogar die Auswahl der Storys ein Kommentar; nämlich derjenige, welchen Themen eine Präsenz verschafft wird (und welchen nicht).
Das wirkt alles so wahnsinnig gekünstelt und theoretisch. In gewissem Sinne ist es sogar eine Irreführung; denn mit der Bezeichnung «Kommentar» wird impliziert, dass es daneben Artikel gibt, die frei von Subjektivität seien.
Wir sind uns einig, dass es diese eine Objektivität nicht gibt. Dann wäre es umso interessanter, zu wissen, wer hinter den Ausführungen steckt. Es gäbe wohl unterschiedliche Möglichkeiten und Formate, eine gewisse Transparenz herzustellen. Das Einfachste ist, den Journalisten auf Social Media zu folgen. Umso wichtiger ist es, dass Journalisten – und hier schliesst sich ein Kreis (siehe Punkt 11.) – auf Social Media im besten Sinn gesprächig sind. Dadurch werden sie nah- und fassbarer. Wenn also ein Journalist beispielsweise einem Freund zu seiner Wahl in ein politisches Gremium gratuliert oder ein Selfie mit einem Promi teilt, dann hilft das beim Einordnen seiner Ausführungen.
Jede andere Marke oder Firma würde sich die Finger danach lecken, derart inter/aktive Communities zu haben, wie sie auf den Newsportalen ganz selbstverständlich vorhanden und aktiv sind. Um Annäherndes zu erreichen, müssen sie jeweils grosse und teure Kampagne starten. Auch wenn nur ein Bruchteil aller User in den Kommentaren aktiv ist, so werden die so genannten «Kommentarspalten» oft auch von denen aufmerksam verfolgt, die nicht kommentieren. Eine spannende Kommentarkultur erhöht deshalb die Verweildauer. Bereits so betrachtet wird offensichtlich, dass die User (ungefragt und unbezahlt;) zusätzliche Inhalte produzieren.
Darüber hinaus kann man in den Kommentaren virulente Themen aufspüren und nicht selten ganz konkrete Inputs für neue oder Folge-Storys finden. Damit es jedoch so weit kommt, dass die Kommentierenden Inputs liefern und die Verweildauer verlängern, braucht es eine konstruktive Diskussionskultur, die in erster Linie durch das (Nicht;)Freischalten der Kommentare und die aktive Teilnahme der Journalisten gepflegt werden kann.
Aber auch die Communities auf Facebook-Seiten, Twitter und Instagram bieten Stoff, um (neue) Geschichten zu machen; respektive, zu kuratieren. Gerade Twitter und Instagram zeigen, dass mit Retweets und Reposts der Content der User ein (massgeblicher) Bestandteil der Aktivitäten auf diesen Plattformen beisteuern können.
Es ist wirklich erstaunlich, wie nun schon sehr lange dieses gigantische Potenzial grösstenteils ungenutzt bleibt (wobei es natürlich nicht so erstaunlich ist, denn die User machen den Journalisten durch ihre Interaktion quasi die Deutungshoheit streitig;)
Bei einem (seriösen;) Newsportal ist es klar, dass nicht alle Geschichten massig geklickt werden müssen. Solche Artikel werden deshalb produziert, weil sie zum Einen eine bestimmte Haltung betonen und zum Anderen dem Portal eine gewisse Glaubwürdigkeit verleihen. Und aus demselben Grund darf auch nicht die ganze Arbeit im Bereich Social Media und Community klickgetrieben erfolgen. Wie vorgängig bereits ausgeführt, kann man hier unter vielem Anderem (u.a. Inputs) aus Kritikern Fans oder aus Gelegenheits-Usern Stamm-User machen. Die gleiche Augenhöhe muss nicht nur in den Kommentaren gelebt werden, sondern auch auf Social Media.