Er ist seit zwei Monaten ein freier Mann. Am 9. Oktober, eine Woche nach seinem 40. Geburtstag, schreitet K. T. durch die Sicherheitsschleuse der Strafanstalt Bostadel in Menzingen ZG. Nach drei Jahren und drei Monaten Haft kehrt er zurück nach Basel zu seiner Frau und seinen Kindern und versucht, ein neues Leben zu beginnen. Seine Perspektiven sind düster.
Die Strafanstalt beschreibt ihn in einem Vollzugsbericht zwar als «unauffälligen und höflichen Gefangenen», der mit den Kollegen gut ausgekommen sei und nie disziplinarisch habe bestraft werden müssen. Bei einer Weiterbildung im Gefängnis sei er sogar als «sehr engagierter Teilnehmer» aufgefallen, der den Kurs mit seiner «lebensbejahenden, menschenrechtskonformen Meinung und seiner respektvollen Art» bereichert habe.
Auch wenn man K. T. auf seinem Handy anruft, erklärt er mit freundlicher Stimme, weshalb er keine Auskunft gebe, und bittet um Verständnis.
Die Anti-Terror-Spezialisten des Bundesamts für Polizei Fedpol sind aber überzeugt, dass das alles nur Fassade sei. Sie gehen davon aus, dass ein Mann frei gelassen wurde, der eine «erhebliche und konkrete Gefahr für die innere und äussere Sicherheit der Schweiz» darstellt.
Das Bundesstrafgericht verurteilte K. T. und seinen jüngeren Bruder M. T. 2014 in einem der ersten grossen Dschihad-Prozesse. Das Bundesgericht bestätigte das Urteil 2016. Die beiden Iraker hatten von Basel aus eine Internetplattform betrieben, mit der sie «mit grossem persönlichen Aufwand» Propaganda für die Terrororganisation al-Kaida verbreiteten.
Sie unterstützten deren terroristische Aktivitäten «gezielt und massgeblich» und trugen «schwerwiegend» zur Radikalisierung von Drittpersonen und zur Verbreitung von dschihadistischem Gedankengut bei. So werden ihre Taten in Gerichtsurteilen beschrieben.
Die Brüder publizierten Interviews mit führenden Terroristen. Alles, was Rang und Namen hatte, war als Botschafter willkommen. Das Glanzstück der Basler Al-Kaida-Fans: Sie schalteten ein Gespräch mit Osama Bin Laden online. Für ihr Argument, sie hätten lediglich Journalismus betrieben, hatten die Richter kein Gehör.
Im Gefängnis verlangte K. T. in einem Antrag, dass er nach zwei Dritteln seiner Haft vorzeitig entlassen werde. Er bereue seine Taten, sie täten ihm sehr leid. Er werde ein Dschihadismus-kritisches Buch schreiben und radikalisierte Muslime zur Vernunft aufrufen.
Das Amt für Justizvollzug lehnte den Antrag ab, das Basler Appellationsgericht stützte den Entscheid. Denn beim geltend gemachten Gesinnungswandel handle es sich um «reine Lippenbekenntnisse». K. T. verharmlose seine Taten und übernehme dafür zu wenig Verantwortung. Ein Buch hat er bisher nicht geschrieben.
So konnten die Behörden dafür sorgen, dass K. T. nicht frühzeitig frei kam. Doch sie können derzeit nicht dafür sorgen, dass er das Land verlässt.
Gemäss Fedpol ist es wahrscheinlich, dass er weiterhin Beziehungen zu Personen aus dem dschihadistischen Netzwerk pflegt. Zudem sei er bereits nach seiner letzten Entlassung aus dem Gefängnis in das alte Muster zurückgefallen. In der Zeit zwischen der U-Haft und der Freiheitsstrafe habe er erneut Terrorpropaganda verbreitet.
Seit 2005 steht im Ausländergesetz, dass Fedpol Ausländer ausweisen kann, die als Gefahr für die Sicherheit der Schweiz eingestuft werden. Dadurch hat die Bundesbehörde die Möglichkeit, gefährliche Ausländer auszuschaffen, ohne ein Gerichtsverfahren durchzuführen.
Es genügt ein Entscheid der Bundespolizei, der vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) im Rekursfall bestätigt werden muss. Da Fedpol zum EJPD gehört, werden die Entscheide in der Regel durchgewinkt. Es ist eine Ausschaffung auf dem kurzen Dienstweg.
Der Paragraf schlummerte jahrelang unbenutzt in der Werkzeugkiste der Anti-Terror-Spezialisten. Nachdem islamistische Szenen in der Schweiz zum Problem geworden waren, wendete Fedpol den Gesetzesartikel 2016 erstmals an. Seither ordnete die Bundespolizei 19 Ausweisungen an. 13 davon wurden vollzogen. Diese Islamisten haben die Schweiz verlassen. In sechs Fällen konnte die Ausweisung bisher jedoch nicht umgesetzt werden. Zwei davon sind rechtskräftig gescheitert. Vier Fälle befinden sich im Beschwerdeverfahren. Diese Zahlen teilt eine Fedpol-Sprecherin auf Anfrage mit.
Einer dieser vier Fälle ist K. T. Er kann derzeit nicht ausgeschafft werden, weil ihm in seinem Heimatland, dem Irak, Folter oder die Todesstrafe droht. Auch bei den anderen Unausschaffbaren handelt es sich um Islamisten aus dem Irak, die wegen der Menschenrechtskonvention in der Schweiz bleiben dürfen.
Die Bundespolizei möchte in diesen Fällen die aus ihrer Sicht zweitbeste Variante umsetzen. Solange diese Ausländer nicht ausgeschafft werden können, sollen sie eingesperrt werden. In einem Präzedenzfall zu Wesam A. aus Baden (siehe Bildergalerie) urteilte das Bundesgericht jedoch, dass jemand unter diesen Umständen nicht im Gefängnis behalten werden darf. Deshalb laufen in der Schweiz derzeit sechs Männer frei herum, obwohl sie gemäss Fedpol die Sicherheit der Schweiz gefährden.
Die Kantone sind dafür verantwortlich, die Gefahr der Unausschaffbaren unter Kontrolle zu haben. Betroffen sind Basel-Stadt, der Aargau und Schaffhausen. Eine Fedpol-Sprecherin sagt: «Das ist eine grosse Belastung für die Kantone. Wir haben erkannt, dass die heutigen Massnahmen nicht genügen.»
Der Bundesrat will ein Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus einführen. Die Vernehmlassung ist abgeschlossen und wird aktuell ausgewertet. Die Vorlage sieht einen neuen Haftgrund vor einer Landesverweisung vor: Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz.
Radikalisierte Ausländer könnten dank dieses Paragrafen eingesperrt werden, bevor sie überhaupt eine Straftat begangen haben oder nachdem sie diese bereits verbüsst haben. Die Formulierung ist massgeschneidert für Männer wie K. T.
Seine Verteidigerin Stephanie Motz kämpft mit allen Rechtsmitteln dafür, dass sich der Iraker weiterhin frei in der Schweiz bewegen kann. Vor Bundesgericht verlangte sie, dass ein Richter anstelle der Bundesbeamten über die Ausweisung entscheide. Doch das höchste Gericht bestätigte die Praxis.
Motz sagt, K. T. stelle keine Gefahr dar: «Die Einschätzung von Fedpol ist irreführend und zeichnet ein falsches Bild von meinem Mandanten.» Wie das richtige Bild aussieht, lässt sie offen.
Fest steht: Die Geschichte von K. T. begann in der Schweiz mit einer Lüge. Nach seiner Flucht aus dem Irak erschlich er mit falschen Angaben und gefälschten Dokumenten Asyl für sich und seine Familie. Während er Werbung für Terror machte, kassierte seine Familie 360'000 Franken Sozialhilfe. (aargauerzeitung.ch)