Schweiz
Wirtschaft

SVP pusht unheilige Allianz mit Linken und Gewerkschaften

SVP ❤️ Gewerkschaften (also im Moment – und aus Gründen)

Die Schweizerische Volkspartei will mit Schweizer Löhnen und tiefer Arbeitslosenquote für ihre Begrenzungs-Initiative werben.
13.08.2018, 06:3613.08.2018, 08:38
Othmar von Matt / Nordwestschweiz
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Noch am 30. Januar hatte die SVP die Gewerkschaften an einer Medienkonferenz frontal angegriffen. Sie seien, dank flankierender Massnahmen, die wahren Gewinner der Personenfreizügigkeit. Seit sie 2001 eingeführt wurde, habe sich die Zahl der Gesamtarbeitsverträge (GAV) verdoppelt. Damit werde der liberale Arbeitsmarkt zerstört.

Und SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi betonte, die Gewerkschaften hätten sich mit den Flankierenden neue Einnahmequellen verschafft: «Gesamtarbeitsverträge sind für die Gewerkschaften regelrechte Geldmaschinen.»

Fraktionschef Thomas Aeschi, SVP-ZG, spielt mit einer Marionette, um seinen Argumenten in der Debatte um die Selbstbestimmungsinitiative Nachdruck zu verleihen, an der Sommersession der Eidgenoessisch ...
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi steuert eine Marionette.Bild: KEYSTONE

Nun scheint alles anders: Nach dem Gesprächs-Boykott der Gewerkschaften schlägt Thomas Aeschi völlig neue Töne an. Er begrüsst es, dass sie die Gespräche zu den Flankierenden verweigern und damit das Rahmenabkommen blockieren.

«Zum Glück realisieren auch die Gewerkschaften, dass alle flankierenden Massnahmen dem EU-Recht unterstellt werden sollen, so wie es Bundesrat Schneider-Ammann formuliert», sagt er. Und betont: «Endlich – und zum Glück – bringen die Gewerkschaften die SP auf SVP-Kurs.»

«Erster Schritt der Erkenntnis»

Die SVP sei gegen das Rahmenabkommen, «weil die Schweiz zwingend EU-Recht übernehmen und sich fremden Richtern unterstellen» müsste. «Die SP brauchte lange, um zu verstehen, was die zwingende Rechtsübernahme bedeutet», sagt Aeschi. Der Lohnschutz habe nun zu einem Umdenken geführt. Die Gesprächsverweigerung der Gewerkschaften wertet er «als ersten Schritt der Erkenntnis der Linken», wie er sagt. «Als zweiter Schritt wäre es logisch, dass sie einer Kündigung der Personenfreizügigkeit und damit der Abschaffung der unbeschränkten Zuwanderung in die Schweiz zustimmt.»

Die neuen Töne können als Versuch der SVP verstanden werden, europapolitisch eine unheilige Allianz mit Gewerkschaften und SP zu schaffen, wie sie bis vor kurzem noch absolut unvorstellbar war. In diesen Kontext passt auch, dass Aeschi inzwischen die Schweizer Löhne und die Situation der Beschäftigten fast in Gewerkschafts-Manier thematisiert. «Kommen immer mehr billige europäische Arbeitskräfte, steigt die Arbeitslosigkeit bei den Schweizern weiter an, vor allem bei den Schweizern über 50 Jahre», sagt er. Die EU habe alles Interesse daran, «dass noch mehr Bürger aus Osteuropa in die Schweiz zuwandern». Damit komme sie «ihrem Ziel einer europaweiten Angleichung der Löhne und des Lebensstandards näher». Für die Schweiz könne dies «nur Nivellierung nach unten bedeuten».

Rahmenabkommen: FDP, CVP und SP wollen Verhandlungs-Stopp
Aussenminister Ignazio Cassis solle noch einen letzten Versuch unternehmen, um mit Brüssel eine Einigung für das Rahmenabkommen zu erzielen ohne Reform der flankierenden Massnahmen. Das sagt SP-Präsident Christian Levrat in der «SonntagsZeitung». Und fügt hinzu: «Wenn das im Herbst nicht gelingt, muss der Bundesrat die Verhandlungen mit Brüssel sistieren.»
Fast dasselbe sagt Petra Gössi: «Wenn der Bundesrat inhaltlich mit der EU keine Einigung findet, müssen die Verhandlungen sistiert werden», hält die FDP-Präsidentin fest. Das überrascht, sind es doch die FDP-Bundesräte Cassis und Johann Schneider-Ammann, welche die Flankierenden zur Diskussion gestellt haben. Sogar «unumgänglich» ist eine Sistierung für CVP-Präsident Gerhard Pfister. Für ihn braucht es «Schadensbegrenzung und ein Stillhalteabkommen mit der EU».
Gestern schlug dann die SVP in einem Mediencommuniqué vor, dass alle Bundesratsparteien den Bundesrat nächste Woche schriftlich dazu auffordern, der EU den Abbruch der Verhandlungen zu kommunizieren. (ATT)

Wir erklären dir das institutionelle Rahmenabkommen

Video: Lea Senn, Angelina Graf

Dass die SVP Löhne und Arbeitslosenquote immer stärker zum Thema macht, hat in erster Linie mit ihrer Begrenzungs-Initiative zu tun. Die Partei wird sie am 31. August einreichen. Sie will im Abstimmungskampf zwei Argumente für die Initiative in den Vordergrund rücken, wie Recherchen zeigen: Mit starker Zuwanderung aus der EU sinken die Schweizer Löhne und steigt die Arbeitslosenquote. Thematisieren will die SVP vor allem die Situation der Beschäftigten über 50 Jahre.

Schon 2016 hatte Nationalrat Thomas Matter (ZH) im SVP-Mediendienst festgehalten, die Arbeitslosenquote von Arbeitnehmern über 50 Jahre steige seit 2013. Auch Thomas Aeschi machte die über 50-Jährigen zum Thema. Ende Juni hielt er an der SVP-Delegiertenversammlung fest, über 50 Jahre alte Schweizer würden verstärkt durch jüngere und billigere Ausländer aus dem EU-Raum ersetzt. Und Nationalrätin Natalie Rickli (ZH) sagte, sie werde in ihrer Kandidatur für den Zürcher Regierungsrat die Arbeitslosigkeit der über 50-Jährigen zum Thema machen.

Bei den Gewerkschaften kontert man die Umarmung der SVP heftig. Noch im Januar sei «der totale Angriff auf die Gewerkschaften und die flankierenden Massnahmen» gekommen, sagt Nico Lutz, Geschäftsleitungsmitglied der Gewerkschaft Unia. «Der SVP geht es um Deregulierung und Wildwest auf dem Arbeitsmarkt. Doch jetzt, wo es um die europapolitische Dimension geht, lobt sie uns plötzlich.»

Wenn SVP-Vertreter jetzt unversehens «Lohnschutz und die Gewerkschaften loben», sagt auch Thomas Zimmermann, Leiter Kommunikation des Gewerkschaftsbundes, «stecken dahinter durchsichtige parteipolitische Überlegungen.» (aargauerzeitung.ch)

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40 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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dorfne
13.08.2018 08:31registriert Februar 2017
"Gesamtarbeitsverträge sind für die Gewerkschaften regelrechte Geldmaschinen."

Diesen Spruch hab ich schon zig Mal aus SVP-Mündern gehört. Gestern z.B. aus dem Mund von Natalie Rickli im Sonntalk auf Tele Züri. Wie wenn Gewerkschaftsangestellte keinen Anspruch auf einen rechten Lohn hätten. Es müssen Kampagnen finanziert die Streikkassen gefüllt werden. Das passt der SVP nat. nicht. Wie wäre mal mit diesem Spruch:

"Steuersenkungen, tiefe Löhne und sinkende Renten sind für die Wirtschaft regelrechte Geldmaschinen."
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manhunt
13.08.2018 07:45registriert April 2014
jaja GAV‘s zerstören den liberalen arbeitsmarkt. in wirklichkeit schützen GAV‘s den/die arbeitnehmer/in vor der ausbeutung durch euch gierige abzocker. arbeitnehmer sind für euch „neoliberale“ sowieso nur ein lästiger kostenfaktor, welchereuren firmen auf der tasche liegt. den ganzen unternehmenserfolg ist schliesslich einzig und allein eurer grandiosen führung, eurer grenzenlosen weitsicht und eurer überdurchschnittlichen leistung zu verdanken. welcome to svp, der partei der arbeitenden bevölkerung.
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Zahlenheini
13.08.2018 08:52registriert Juli 2018
Das passt ins Bild der horrenden Widersprüche. 1. Beim Waffenbesitz pocht man auf die Freiheit der Bürger, bei der Wehrpflicht setzt man auf staatlichen Zwang. 2. man sagt, dass man die EU nicht brauche und mit anderen Nationen handeln könne, blockiert aber wegen unseren Bauern diese Abkommen. 3. man finanziert sich über das Blocher‘sche EMS-Imperium, welche 3% des Umsatzes in der EU macht. 4. man will nicht länger arbeiten, aber man will auch nicht mehr Zuwanderung 5. man will Meinungsfreiheit und keine Political Correctness, duldet aber keine anderen Meinungen. 6. Köppels Ehefrau aus Asien.
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