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Wirtschaft

Coronavirus: Warum die Ausweitung der Zertifikatspflicht richtig ist

Offen gesagt

«Lieber Herr Maurer, wer nicht hören will, muss impfen …»

Der Bundesrat weitet die Zertifikatspflicht auf weite Teile des öffentlichen Lebens aus und führt damit die Impfpflicht durch die Hintertür ein. Das ist nötigend und bedauerlich. Aber ohne Alternative.
08.09.2021, 18:09
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Lieber Herr Maurer

Nun ist es entgegen Ihrer Skepsis doch soweit. Die Covid-Zertifikatspflicht wird landesweit massiv ausgeweitet, um die Impfquote raufzubringen.

Da am 1. Oktober Schluss ist mit Gratis-Tests, wird ab dann vom gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen, wer nicht entweder reich, geimpft oder genesen ist.

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Diese – nennen wir sie – Impfnötigung kommt auch wegen Äusserungen, wie Sie sie gemacht haben. Sie seien zäh, sagten Sie zu Beginn der Impfkampagne, Ihnen würde eine Impfdosis reichen. Der Präsident der Impfkommission redete Ihnen danach öffentlich ins Gewissen. Sie haben ihn gehört und sich dann doch ein zweites Mal geimpft.

Zu viele andere wollten nicht hören und haben sich nicht impfen lassen. Diesen impfskeptischen Teil der Bevölkerung bestärkten Sie, bezeichneten die Leute noch kürzlich als «senkrechte Schweizer».

Die Impfskepsis auch nicht gelindert hat die Sprachregelung ihrer Partei in der Frage. Demnach seien offene Grenzen und ein heruntergefahrenes Gesundheitswesen an der derzeitigen Lage schuld, da dürfe niemand vom Staat zur Impfung gezwungen werden.

Letzteres ist bis zu einem gewissen Zeitpunkt auch richtig.

Aber der ist dann überschritten, wenn der Staat seine Kernaufgabe wahrnehmen muss: Die Interessen der unmündigen Schwachen gegen die Interessen der unsolidarischen Starken zu verteidigen. Und dieser Zeitpunkt ist spätestens jetzt.

Die Kinder können sich nicht impfen lassen, müssen aber zur Schule. Sie stecken sich dort reihenweise an und hocken bereits jetzt mit ihren Eltern zu Hunderten, bald eher zu Tausenden, in Quarantäne. Die Ärztinnen und Pfleger müssen sich um viele vermeidbare schwere Covid-Fälle kümmern, was nicht nur körperlich, sondern auch seelisch belastend ist. Die Kranken müssen auf Behandlungen und Operationen warten, was Linderung ihrer Gebrechen verzögert.

Der bundesrätliche 3-Phasen-Plan war von Anfang an eine Wette auf eine genügend hohe Impfquote unter gesunden Erwachsenen bis im Herbst. Eine Impfquote, die auch die Kinder, Unimpfbare und das Gesundheitswesen vor Erkrankung beziehungsweise Kollaps bestmöglich schützt.

Das hat nun nicht geklappt. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber einer davon ist die auch von Ihnen als Bundesrat vertretene Haltung, dass das Impfen eine persönliche Entscheidung sei.

Das ist im Pandemiefall leider nicht so und weil Argumente nicht ausgereicht haben, muss der Staat die individuelle Freiheit der Impfskeptiker nun zum kollektiven Schutz der Schwachen umso umfassender einschränken.

Nun gilt: Auch wer nicht hören will, muss impfen.

Hochachtungsvoll

Ihr Maurice Thiriet

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294 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hierundjetzt
08.09.2021 18:26registriert Mai 2015
Merci für die klaren, längst überfälligen Worte.

Wenn wir bei der Polio / Kinderlähmung auch so ein Theater anstellen würden, wäre aktuell 20% (1,5 Mio) der Schweiz im Rollstuhl (überspitz formuliert).

Auch wenn bei der Kinderlähmung weltweit viel weniger als 4 Mrd Impfdosen verabreicht wurden, kein normaldenkender Mensch würde sich dieser Impfung verweigern.

Bei Covid gehts dann aber plötzlich nicht mehr. Da stirbt man ja nur.

Hä?
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Phteven Phtiz
08.09.2021 18:31registriert Oktober 2016
Naja, von einer Impfpflicht kann immer noch keine Rede sein. Die Impfung bleibt ja freiwillig. Man muss dann aber auch die Konsequenzen akzeptieren können, wenn man sich nicht impfen lassen will.
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R10
08.09.2021 18:19registriert Juli 2016
Maurer hat in der Pandemie-Bekämpfung stark angefangen, aber danach leider noch viel stärker nachgelassen. Die SVP und Maurer sind zu einem nicht unbeträchtlichen Teil mitschuldig an der tiefen Impfquote und somit auch am heutigen Entscheid.

Bundesrat Parmelin hat mich jedoch in den letzten Monaten wirklich positiv überrascht. Klar, das obligatorische SVPler-Ausscheren bringt auch er nicht immer ganz weg, aber insgesamt hat er Verantwortung übernommen und sich im Gegensatz zum Ueli nicht von den Machtspielen seiner Partei anstecken lassen.
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