Es ist noch nicht allzu lange her: Vor vier Jahren begrüsste der ehemalige Flughafen-Zürich-Chef Thomas Kern feierlich mit einer Delegation den 25-millionsten Passagier. Und nun folgt bereits der nächste Meilenstein in der Geschichte des Landesflughafens.
Am Montag wird laut Sprecherin Sonja Zöchling Passagier Nummer 30'000'000 erwartet:
Das Wachstum ist rasant. Zur Jahrtausendwende, kurz vor dem Swissair-Grounding, waren es rund 22 Millionen Passagiere. Geht es nach dem Flughafen Zürich ist das Ende des Booms noch lange nicht erreicht: 2030 rechnet der Flughafen mit 40 Millionen und 2040 gar mit 50 Millionen (siehe nachfolgende Grafik). Dies entspräche einem jährlichen Wachstum von 3 Prozent. Rekordjahr folgt auf Rekordjahr also.
Die Anzahl Flüge werde jedoch, so die Prognose, nur um 1.5 Prozent steigen, da die Airlines ihre Flotten tendenziell durch grössere Flugzeugmodelle ersetzen würden, wie Sprecherin Sonja Zöchling sagt. «Wir rechnen damit, dass das weiterhin so anhält.»
Zöchling verweist auf die Swiss, die ihre Kurz- und Langstreckenflotte durch neue und deutlich grössere Maschinen ersetzt hat, die bis zu 50 Prozent mehr Sitze fassen.
Werden somit irgendwann Riesenvögel wie die «Triple Seven» oder der doppelstöckige A380 von Zürich nach London fliegen? «Vielleicht nicht gerade ein A380. Aber es ist durchaus denkbar, dass grössere Maschinen zum Einsatz kommen werden», sagt Andreas Wittmer, Leiter des Center for Aviation Competence an der Universität St. Gallen. In Asien seien Riesenmaschinen auf Kurzstrecken heute schon gang und gäbe. «Von Bangkok nach Phuket oder Hongkong nach Taipei fliegen mehrmals täglich Jumbojets hin und her.»
Dennoch sind die Wachstumsprognosen des Zürcher Flughafens für Wittmer nicht in Stein gemeisselt: «Europa ist nicht Asien. Die natürliche Grenze, rein von der Infrastruktur und den Luftraumkapazitäten her, liegt in Zürich wohl eher bei 320'000 Flügen und 40 Millionen Passagieren. Für 50 Millionen bräuchte es grössere bauliche Massnahmen, oder eine Lockerung des Nachtflugverbots.»
Ohne ein neues Pistensystem, seien 50 Millionen nur schwer machbar. Doch bauliche Veränderungen des Pistensystems gelten in der Branche derzeit als Ding der politischen Unmöglichkeit. Der Protest der lärmgeplagten Bevölkerung wäre zu gross.
Schon heute mehren sich mehr denn je die Zeichen einer Sättigung. Insbesondere der Sommer 2018 zeigte die Grenzen der europäischen Aviatik auf. Die Flughäfen sind mit einer ungebremsten Reiselust konfrontiert, doch können sie ihre Kapazitäten nicht im gleichen Tempo ausbauen. Und den Airlines fehlt es an Crewmitgliedern. Die Folge: Verspätungen von Flügen, lange Schlangen an den Sicherheitskontrollen, Streiks.
Gleichzeitig werden in der Gesellschaft die Bedenken am Boom grösser: Auf der einen Seite steht der ungestillte, globale Reisehunger– auf der anderen das ökologische Gewissen. Schweizer Passagiere haben im vergangenen Jahr pro Kopf gar am meisten CO2-Emissionen aufgrund von Flugreisen verursacht – doppelt so viel wie die Nachbarländer Österreich, Frankreich, Italien und Deutschland, wie Zahlen der Organisation «Global Sustainable Tourism Dashboard» zeigen. 18 Prozent des Schweizer Erdölverbrauch gehen auf das Konto der Luftfahrt.
Zuletzt stellten Politiker der SP und der Grünen gar ein Inlandflugverbot zur Debatte. Ein solches Gesetz ist politisch zwar unwahrscheinlich, doch allein die Tatsache, dass solche Überlegungen thematisiert werden, bringt die gestiegene Klima-Sensibilität vieler Kunden zum Vorschein.
So dürfte die kürzlich vom Parlament versenkte CO2-Steuer für Flugtickets bald wieder aufs politische Parkett kommen. Auftrieb erhält die Forderung durch Bilder von verstopften Gassen in Barcelona oder Paris, welche die Auswüchse der kurzen Billigtrips in Europa widerspiegeln. Das Schimpfwort dazu lautet Overtourism.
Es sind diese globalen Trends, mit denen der börsenkotierte Flughafen Zürich zu kämpfen hat – und die hauseigenen vor Ort. So wollen die Aktionäre weiterhin Wachstum und Dividenden sehen. Die Hauptkundin, die Lufthansa-Tochter Swiss, klagt derweil über die zahlreichen Verspätungen. Jede vierte Swiss-Maschine hebt in Zürich mindestens 15 Minuten zu spät ab.
Swiss-Chef Thomas Klühr schlug zuletzt gar einen temporären Wachstumsstopp vor. Im Interview mit dieser Zeitung sagte er, dass es der falsche Zeitpunkt sei, das System in Zürich noch stärker zu belasten, so wie es die Flughafen-Betreiberin durchzieht.
Denn: «Selbst wenn wir alles perfekt machen, ist die Wahrscheinlichkeit extrem hoch, dass die Flüge über den Tag hinweg Verspätungen einfahren. Das ist ein Domino-Effekt, den man nicht aufhalten kann.»
Das geht für die Swiss ins Geld: Es fallen Entschädigungsleistungen an die Kunden an, Überstunden bei den Crews und – insgesamt resultiert ein zweistelliger Millionen-Betrag, der das Ergebnis negativ belastet. Klühr weist darauf hin, dass die Lufthansa-Gruppe einen Bogen um Zürich machen könnte, wenn es darum geht, wo zusätzliche Flugzeuge eingesetzt werden sollen.
Wenn Zürich die Situation nicht in den Griff bekomme, werde das Wachstum der Lufthansa-Airlines anderswo stattfinden müssen. Nicht, weil die Lufthansa das so wolle. «Aber wenn’s nicht geht, geht’s halt einfach nicht.»
Flughafen-Chef Stephan Widrig gab darauf zu verstehen, dass er von solchen Drohungen nicht viel hält und die Swiss Zürich treu bleiben werde. Viel Lärm um nichts also? Falsch.
Wie dem neusten Flughafenbericht des Kantons Zürich zu entnehmen ist, nimmt der Flughafen die Warnung der Swiss durchaus ernst. Im Kapitel «Risikomanagement, Internes Kontrollsystem» wird auf die Abhängigkeit des so genannten Hub Carriers Swiss hingewiesen, der bedeutendsten Kundin des Flughafens mit einem aktuellen Marktanteil von 53 Prozent.
Die Betreiberin analysiere laufend die Konzernstrategie der Lufthansa-Gruppe und deren Auswirkungen auf den Hub Zürich, schreibt der Zürcher Regierungsrat. Und: «Zudem besteht für den Fall eines Rückzugs der Lufthansa-Gruppe vom Hub Zürich ein Massnahmenplan, der aufzeigt, wie neue Fluggesellschaften für die Übernahme von Direktverbindungen akquiriert und wie die Kostenstruktur sowie die Infrastruktur auf die neue Situation angepasst werden können.»
Ein weiteres Worst-Case-Szenario, auf das der Kanton aus Eignersicht hinweist: Der mögliche Ausschluss aus dem Schengen-System. Soweit könnte es laut Kanton kommen, falls die bilateralen Verträge mit der EU wegfallen würden im Zuge der Umsetzung der Zuwanderungsinitiative sowie aufgrund der von der SVP lancierten Kündigungsinitiative.
Für diesen Fall bestehe beim Flughafen «ein Plan für eine zeitnahe Umsetzung der Anpassungen bei den betroffenen Infrastrukturen und Anlagen».
Der 30-millionste Passagier muss sich am Montag um diese Szenarien keine Sorgen machen. Er oder sie erhält vom Flughafen ein kleines Präsent überreicht.
(aargauerzeitung.ch)
«Der Passagier-Boom in der Fliegerei geht uns alle an» – den Kommentar zum Thema liest du hier.