Schweiz
Wirtschaft

Daniel Lampart vom SGB über Deindustrialisierung in der Schweiz

Daniel Lampart, Chefökonom Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB).
Daniel Lampart, Chefökonom Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB).
Bild: KEYSTONE
Interview

Herr Lampart, wäre es so schlimm, wenn sich die Schweiz deindustrialisiert?

16.03.2016, 07:0516.03.2016, 07:13
Kian Ramezani
Mehr «Schweiz»

Alstom, Rieter, Sulzer: Kaum eine Woche vergeht, ohne dass namhafte Schweizer Industriebetriebe einen Stellenabbau bekannt geben. Das Phänomen hat inzwischen derartige Ausmasse angenommen, dass die Gewerkschaften vor einer Deindustrialisierung warnen. Im Interview erläutert Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), wie schlimm es um den Werkplatz Schweiz steht und wer die Krise entschärfen könnte.

Die Hiobsbotschaften aus der Industrie häufen sich. Zählt der SBG mit, wenn Betriebe einen Stellenabbau ankünden?
Daniel Lampart: Ja, und zwar nicht nur jene, die öffentlich bekannt gegeben werden. Die «Schattenstatistik» wird allerdings nicht systematisch geführt.

Und wie lautet der Stand momentan?
Seit Aufhebung des Mindestkurses am 15. Januar 2015 haben die Unternehmen angekündigt, rund 8000 Stellen abzubauen.

«Wenn industrielle Substanz verloren geht, dauert es lang, bis sie sich wieder ansiedelt.»
Daniel Lampart

Erlebt die Schweiz eine Deindustrialisierung?
Der Druck auf die Arbeitsplätze in der Exportwirtschaft ist gross – insbesondere in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Es gibt viele Auslagerungen und Entlassungen. Wir sehen, dass ein nennenswerter Teil der Produktion aus der Schweiz verschwindet.

Ist das ein unumkehrbarer Prozess oder besteht die Chance, dass diese Jobs irgendwann zurückkommen?
Der Prozess ist nicht unumkehrbar. Aber wenn industrielle Substanz verloren geht, dauert es lang, bis sie sich wieder ansiedelt. Voraussetzung ist ein angemessener Franken-Euro-Kurs. Während der Deindustrialisierung der 1990er-Jahre prophezeiten einige Leute, die Industrie werde gänzlich verschwinden und die Schweiz ein reines Dienstleistungsland. Dann hat sich der Franken abgewertet. Alsbald siedelte sich wieder Industrie an, weil die Schweiz auch eine Reihe von Vorteilen bietet.

Was sind dieses Vorteile?
Produktion in der Schweiz funktioniert, weil wir gut qualifizierte Arbeitskräfte haben. Weniger bekannt, aber als Faktor ebenfalls wichtig, sind unsere vergleichsweise tiefen Zinsen, die kapitalintensive Industriebetriebe anziehen. Entgegen weit verbreiteter Annahmen braucht es nicht nur Ingenieure, um Maschinen zu bedienen, sondern auch weniger qualifizierte Arbeitskräfte.

Bild
bild: watson

Was ist eigentlich so schlimm an der Deindustrialisierung?
Ein kleines Land wie die Schweiz ist darauf angewiesen, seine Produkte in den Weltmarkt zu exportieren. Unser Heimmarkt ist zu klein, um dieses Lohn- und Wohlstandsniveau zu halten. Historisch beruht unsere Exportwirtschaft auf vier Säulen: Industrie, Tourismus, Finanzwirtschaft und Firmenhauptsitze. Bei Licht betrachtet haben wir derzeit bei allen ein Problem.

«Genau jetzt wäre es wichtig, Substanz in der Industrie zu bewahren oder sogar aufzubauen.»
Daniel Lampart

Was sind die Probleme?
Bei der Industrie und im Tourismus ist es der überbewertete Franken, für die Finanzwirtschaft und die Firmenhauptsitze veränderte Steuergesetze, namentlich das Ende des Bankgeheimnisses und die Unternehmenssteuerreform III. Die steuerlichen Anpassungen muss die Schweiz vornehmen, da hat sie keine Wahl, denn sie steht international unter Druck. Umso mehr schmerzt, dass zeitgleich mit der Transformation der Finanzbranche auch die anderen Standbeine schwächeln. Genau jetzt wäre es wichtig, Substanz in der Industrie zu bewahren oder sogar aufzubauen.

Was kann man gegen den starken Franken tun? Hätte der Euromindestkurs beibehalten werden müssen?
Die Aufgabe des Mindestkurses war ein Fehler*. Warum hat die Nationalbank nicht die Wirkung der Negativzinsen abgewartet, bevor sie den Mindestkurs aufgegeben hat? Ökonomisch ist der Fall klar: Die Nationalbank muss den Frankenkurs kontrollieren, wie das alle anderen kleinen und offenen Volkswirtschaften machen. Alle haben dasselbe Problem, alle müssen für den Weltmarkt produzieren, alle sind dem Risiko von Wechselkursschwankungen ausgesetzt. Darum überlässt keine vergleichbare kleine, offene Volkswirtschaft den Wechselkurs den Marktkräften. Das hat die Nationalbank früher auch so gehandhabt.

Neben dem starken Franken sprechen auch die hohen Löhne gegen den Werkplatz Schweiz.
Im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen haben wir ohnehin schon zu tiefe Löhne in der Industrie. Diese klagt über einen Arbeitskräftemangel – ein untrügliches Zeichen, dass man nicht genug bezahlt. Was die Arbeitgeber nicht so gern sagen: Eigentlich hätten sie nach der Finanzkrise die Löhne anheben und so die Attraktivität wieder steigern sollen. Aufgrund des überbewerteten Fankens und des daraus resultierenden Kostendrucks ist das derzeit aber kein Thema.

«Heute ist leider unklar, welches Ziel unsere Nationalbank verfolgt.»
Daniel Lampart

Kann es der Staat richten? Wirtschaftsminmister Johann Schneider-Ammann steht in der Kritik, der Deindustrialisierung tatenlos zuzusehen.
Es wurden eine Reihe von Massnahmen diskutiert, um die Kosten in der Industrie zu senken. Doch all die Arbeitsgruppen kamen zum selben Schluss: Es gibt keine Möglichkeit, an den Kosten zu schrauben und den starken Franken so zu neutralisieren. Wenn der Wechselkurs das Problem ist, dann muss man es auch über den Wechselkurs lösen. Die Nationalbank hat hier in der Vergangenheit sehr gute Arbeit geleistet. Gegen aussen wurde eine frei handelbare Währung kommuniziert, in Wirklichkeit griff sie zinspolitisch oder mit Untergrenzen ein.

Und heute?
Heute ist leider unklar, welches Ziel unsere Nationalbank verfolgt.

Andere Länder haben Phasen der Deindustrialisierung durchgemacht und offenbar gut überstanden. Was heisst das für die Schweiz?
Wenn es in der Vergangenheit zu Deindustrialisierung kam, dann wurde im Gegenzug der Finanzsektor gestärkt. Solche Länder sind heute krisenanfälliger, denn die Finanzmärkte schlagen stärker aus als die Realwirtschaft. Schauen Sie nur, wie sehr Grossbritannien unter der Finanzkrise litt. Für die Schweiz wäre das eine sehr gefährliche Entwicklung.

Lampart sitzt im Bankrat der Schweizerischen Nationalbank, der aber keinerlei geldpolitische Kompetenzen hat.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
16 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Brehynfak
16.03.2016 08:36registriert März 2016
Der starke Franken hat auch einen Vorteil für die Industrie: die Rohstoffe können billiger eingekauft werden. Die Zinsen sind jahrhundertief. Einzig die Löhne stiegen im Vergleich zu ausländischen Löhnen. Der Verkaufserlös ist dagegen niedriger, weil $ und € tief sind. Was ich sagen will, ist: die Schuld einzig dem zu starken Franken in die Schuhe zu schieben, könnte ein fataler Irrtum sein. Womöglich ist die Innovationskraft zu gering und deswegen die Nachfrage ungenügend geworden. Denn billigere Konkurrenten hatte die CH schon immer, nicht aber bessere.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Don Alejandro
16.03.2016 07:46registriert August 2015
Die Industrie bietet z.T. viele niederschwellige Jobs an. Ein Wegzug der Industrie hätte eine höhere Sockelarbeitslosigkeit zur Folge.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Meinsch
16.03.2016 07:38registriert April 2014
Guter Beitrag

Aber sehr sehr schwarz gezeichnet. Die schweizer Volkswirtschaft ist nach wie vor einer der Innovativsten der Welt. In keinem anderen Land werden vergleichbar viele Patente angemeldet. Klar, es ist traurig um die Grossindustrie, aber diese hätte früher oder später sowieso gekränkelt. Altes wird durch neuem ersetzt. Pharma, Biotech, Gentech, Informatik, Robotik... in F&E-Sektoren wird viel investiert und die Energiewende könnte der Schweiz viele Entwicklungen offenbaren.
Auch die Stabiliät im Lande ist ein Plus und nicht zu unterschätzen: Die Pünktlichkeit des ÖV!
00
Melden
Zum Kommentar
16
Signa: Fressnapf-Gründer Toeller klagt gegen Benko-Stiftung

In der Causa Signa gibt es einen weiteren Nebenschauplatz: Der Gründer der deutschen Tierbedarf-Kette Fressnapf, Torsten Toeller, will den Verlust aus seiner Signa-Beteiligung reduzieren. Dazu nimmt Toeller eine Stiftung aus dem Umfeld von René Benko ins Visier.

Zur Story