Saudi-Arabien und Kritik an On-Schuhen: Weshalb Roger Federer dazu schweigt
Wie kein Zweiter steht Roger Federer für Konsens und Diplomatie – in der Schweiz und in der Welt. Er äussert sich kaum zum Klimawandel, selten zu Menschenrechten, und gar nicht zu Wahlen und Abstimmungen.
Das galt schon während seiner Karriere, die er im Herbst 2022 im Kreis seiner Tennisfamilie beendete. Und es gilt noch heute, da Federer nicht mehr als Sportler, sondern nur noch als Unternehmer, Botschafter in eigener Sache und – vor allem das – als Werbefigur in Erscheinung tritt.
Solange er noch um Titel und Rekorde spielte, solange er die Schweiz in der Welt vertrat, solange Federer Menschen mit seinem Spiel und seiner Persönlichkeit verzauberte, konnte er sich auch auf seine Rolle als Sportler zurückziehen. Kritik an einer Reise durch Lateinamerika, während dort massive soziale Unruhen herrschten, an seinem Zweitwohnsitz in Dubai oder an seinem Bauvorhaben am Zürichsee schienen an ihm abzuperlen.
Eine ideale Projektionsfläche
Anders als Novak Djokovic war Federer abseits des Tennisplatzes stets darum bemüht, nicht zu polarisieren, nicht anzuecken. Dass er sich weder zu politischen noch zu gesellschaftlichen Debatten äussert, führt dazu, dass er massentauglich bleibt. Wohl nur deshalb kann Federer gleichzeitig Werbung für Luxusmarken wie Rolex, Moët & Chandon, Mercedes oder Netjets (eine Airline, die Privatjets an Superreiche vermittelt) machen und gleichzeitig für Jura-Kaffeemaschinen und Schweiz Tourismus.
Wie schmal der Grat ist, auf dem sich Roger Federer dabei bewegt, zeigt sich dieser Tage. Interviews gibt er selten – und wenn, dann vor allem, um die eigenen Geschäfte voranzutreiben. Wie Anfang Februar, als Federer in der «Süddeutschen Zeitung» über seinen seit 2017 ausgetragenen Laver Cup sprach. Er versteht den Wettbewerb als sein Vermächtnis ans Tennis.
Federer meidet das Wort Saudi-Arabien
Den Sport verfolge er immer noch oft, sagt Federer dort. Auch ihm ist nicht entgangen, dass Saudi-Arabien im Rahmen einer Tourismus-Offensive riesige Summen in Sportarten wie Fussball, die Formel 1, Boxen und Golf investiert. Im Herbst richtet der Wüstenstaat in der Hauptstadt Riad den «Six Kings Slam» aus; mit Rafael Nadal, Novak Djokovic, Carlos Alcaraz, Jannik Sinner, Daniil Medwedew und Holger Rune. Dass der Schaukampf während der Saison stattfindet, kommt einem veritablen Tabubruch gleich.
Danach gefragt, ob nicht zu viel Tennis gespielt werde, blieb Federer im Vagen. Er argumentierte mit «Angebot und Nachfrage», damit, dass bei Schaukämpfen auch «etwas für die gute Sache in Stiftungen» fliesse und dass sie «helfen, dass sich Tennis entwickelt. Vor allem in Gegenden, in denen der Sport noch nicht so präsent ist.» Das Wort Saudi-Arabien nahm Federer dabei nicht in den Mund, umschiffte die Klippe gewohnt gekonnt.
Laver Cup bald in Saudi-Arabien?
Als der Journalist der «Süddeutschen Zeitung» wissen will, was er vom Vorwurf des «Sportswashing» hält, den Saudi-Arabien begleitet, antwortet nicht etwa Federer, sondern dessen Manager, Tony Godsick. Er sagt: «Sport ist eine Sprache, die jeder spricht. Sport kann Dialog und Veränderung ermöglichen.» Welche Veränderungen? Das führt Godsick nicht aus.
Und sowieso: Die Formel 1 sei schon dort, Fussball, Boxen, Golf – und auch das Tennis sei in Saudi-Arabien etabliert. Die NextGen-Finals, das Turnier der besten Jungprofis, und Schaukämpfe hätten schon dort stattgefunden. Für ihn ist klar: «Eines Tages könnte der Laver Cup in Saudi-Arabien sein.»
Wird es politisch, überlässt Federer das Wort Godsick.
Dabei ist der Laver Cup sein Turnier, seine Herzensangelegenheit, seine Idee. Er ist Vordenker, Taktgeber und Gesicht des Kontinentalwettbewerbs. Legt er sein Veto ein, findet der Laver Cup nicht in Saudi-Arabien statt.
Dabei geht es gar nicht darum, den Wüstenstaat auszuschliessen, sondern darum, Missstände anzusprechen und nicht nur dorthin zu gehen, weil die Königsfamilie den (männlichen) Sportlern mit unmoralischen Summen die Sinne vernebelt. Zum Beispiel, dass Frauen wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden, die einer männlichen Vormundschaft unterliegen und deren Zugang zum Gesundheitswesen und zu Bildung erschwert ist.
Oder dass regelmässig Enthauptungen, Amputationen und Steinigungen stattfinden. Oder dass Saudi-Arabien im Demokratieindex der britischen Zeitschrift «The Economist» unter 167 Ländern den 150. Rang belegt.
Federer ist vierfacher Vater, darunter zweier Töchter. Wer, wenn nicht er, wäre geeignet, jenen Dialog und jene Veränderungen anzustossen, von denen Godsick sagt, der Sport ermögliche sie erst?
Hier Federer, der sich für Bildung in Afrika einsetzt. Dort Federer, dessen Laver Cup mit Saudi-Arabien anbandelt, wo Frauen schlechten Zugang zu Bildung haben. Noch ist das alles nur ein Gedankenspiel, doch es ist ein Widerspruch, der sich nur auflösen lässt, wenn Federer Stellung bezieht.
Federers Auftritte in der Öffentlichkeit – so scheint es – folgen einem gut durchdachten Plan. Mit der «Süddeutschen Zeitung» sprach er vor dem Hintergrund, dass der Laver Cup im Herbst in Berlin stattfindet. Am Tag nach der Publikation wurde bekannt, dass Alexander Zverev dort spielt.
Zverev als Posterboy des Laver Cups
Ende Oktober wurde vom Amtsgericht Tiergarten Berlin ein Strafbefehl gegen Zverev verhängt. Weil er seine ehemalige Partnerin angegriffen haben soll, wurde er zu einer Geldstrafe von 450'000 Euro verurteilt. Zverev weist die Vorwürfe vollständig zurück und hat Berufung eingelegt. Der Fall wird ab Ende Mai vor Gericht verhandelt.
2020 hatte eine andere Ex-Freundin des Deutschen Bilder veröffentlicht, die Verletzungen von mutmasslichen Übergriffen zeigen sollen. Ereignet hätten sich diese im Rahmen des Laver Cups 2019 in Genf. Zverev soll sie mehrfach ins Gesicht geschlagen haben. Danach habe sie versucht, Suizid zu begehen. Anzeige reichte sie nicht ein. Zverev dementiert die Vorwürfe.
Wenige Wochen nach dem Laver Cup 2019 reisten Zverev und Roger Federer eine Woche durch Lateinamerika, spielten in sieben Tagen in fünf Ländern Schaukämpfe in Santiago de Chile, in Buenos Aires, Quito und Mexiko-Stadt. Das Spiel in Bogotá musste abgesagt werden, nachdem die Regierung wegen sozialer Unruhen eine Ausgangssperre verhängt hatte.
Federer als Zielscheibe für Aktivisten
Zverev stand damals noch bei Federers Agentur Team 8 unter Vertrag. Kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe trennte man sich. Mit der Entscheidung habe er persönlich nichts zu tun gehabt, sagte Federer im Mai 2021. Zum Fall sagte er: «Das ist eine private Angelegenheit, über die ich nicht sprechen will.» Nun ist Zverev der Posterboy des Laver Cups.
Im Zweifelsfall lieber nichts zu sagen – es ist eine Doktrin, die auch die Schuhmarke On verfolgt, bei der Federer seit einigen Jahren Teilhaber ist. Im Januar hatte das Magazin K-Tipp berichtet, On erziele im Vergleich zur Konkurrenz überdurchschnittlich hohe Margen, weil man in Vietnam zu deutlich geringeren Preisen produziere und in der Schweiz teuer verkaufe. Zudem deklariere On die Hälfte der Produkte falsch.
On bestreitet die Darstellung des K-Tipp.
In der Kritik steht On auch wegen der Löhne. Gemäss Public Eye verdienen Näherinnen bei einer 48-Stunden-Woche einen Mindestlohn zwischen 120 bis 170 Franken im Monat. Mit vielen Überstunden lägen 250 Franken drin. Laut David Hachfeld von Public Eye «reichen diese Löhne nicht aus, um den Lebensunterhalt einer Familie zu bestreiten», schreibt der K-Tipp.
On verspricht, dass ab 2025 «100 Prozent» der wichtigsten Lieferanten in Vietnam «existenzsichernde Löhne» zahlen werden.
Auch das: Grund zur Kritik. Und auch hier die ideale Zielscheibe: Roger Federer, auch wenn nicht klar ist, wie stark er bei On partizipiert.
Am Mittwoch, 14. Februar, sitzt ein Mann im Zürcher Kreis 5 vor dem Flagship-Store von On an einer Nähmaschine. An seinen Händen klebt Blut, das am Körper herunterrinnt – symbolisch für die schlechten Löhne der Näherinnen, schreiben die Aktivistinnen in einer Mitteilung.
Der Mann trägt eine Federer-Maske. Auch das Ausdruck dafür, dass der Wind für Roger Federer rauer geworden ist.
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