Seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren vertraute Vladimir Petkovic praktisch immer auf das gleiche System. Das altbewährte 4-2-3-1, das schon Ottmar Hitzfeld der Nati eingetrichtert hatte. Petkovic hat dieses System perfektioniert. Doch der 55-Jährige traute sich nicht, die Formation umzustellen – ausser teilweise mit einem defensivem 4-3-3, welches sich nur durch Nuancen vom 4-2-3-1 unterscheidet.
Durch die immer gleiche Formation wurde die Schweiz berechenbar. Die Gegner konnten sich dadurch perfekt auf die Spielweise der Nati einstellen und wussten genau, was sie erwartet.
Deshalb war es in erster Linie wichtig, mal ein anderes Spielsystem zu installieren. Das hat nun auch Vladimir Petkovic erkannt:
Die grösste Umstellung, die man in einer Fussball-Formation machen kann, ist die Umstellung von Vierer- auf Dreierkette in der Abwehr. Für eine Nationalmannschaft ist das umso komplexer, da die meisten Spieler in ihren Klubs in der Viererkette agieren und dadurch umstellen müssen.
Dass Petkovic eigentlich ein Liebhaber der Dreierkette ist, bewies er, als er noch in der Schweiz bei den Young Boys tätig war – dort spielte er praktisch immer mit drei Innenverteidigern. Auch später bei Lazio griff er regelmässig auf die Dreierkette zurück, damals wechselte Petkovic die Formation auch während des Spiels.
Wenn Petkovic die Systemumstellung während des Spiels auch der Nationalmannschaft einimpfen kann, dann hat er die Schweiz auf ein ganz neues Level gebracht. Das muss jetzt sein Ziel sein.
In der Dreierkette stehen die Aussenverteidiger im Spielaufbau sehr hoch – teilweise fast auf der Höhe des einzigen Stürmers. Das eröffnet natürlich weitere offensive Optionen.
Doch so angriffig die Dreierkette auch klingt, es ist je nach Auslegung eine sehr defensive Formation. Denn sobald die Aussenverteidiger zurückfallen, hat man in der Abwehr eine Fünferkette. Deshalb sind Formationen mit der Dreierkette so variabel und können auch zum Verteidigen von Führungen ideal sein.
Die Dreierkette ist prädestiniert für spielstarke Innenverteidiger wie Jérôme Boateng, Leonardo Bonucci oder Mats Hummels. Hat die Schweiz solche? Ja.
Die Schweiz hat vier prädestinierte Spieler für die Positionen der offensiven Aussenverteidiger. Auf der linken Seite Ricardo Rodriguez und Steven Zuber (der bei Hoffenheim regelmässig auf dieser Position spielte) und über rechts Stephan Lichtsteiner, der bei seiner Juve-Zeit unter Antonio Conte in dieser Rolle förmlich aufblühte und auch gestern gegen England einen starken Auftritt hinlegte. Seine Konkurrenten Kevin Mbabu und Michael Lang lieben den Vorwärtsgang ebenfalls.
Durch die drei zentralen Mittelfeldspieler und Xherdan Shaqiri, der sich als hängende Spitze immer wieder fallen lässt, hat die Schweiz automatisch ein Übergewicht im Mittelfeld und so die Kontrolle über das Spiel.
Gegen England kam die Schweiz auf 52 Prozent Ballbesitz und spielte mehr Pässe als der WM-Halbfinalist. Zwar führt ein hoher Ballbesitz-Anteil nicht automatisch zum Erfolg, dafür hätte die Schweiz gegen die «Three Lions» das Standard-Tor verhindern und in der Offensive noch etwas vertikaler spielen müssen. Doch wenn die Schweizer wissen, was sie mit dem Ball anfangen wollen, wie das gestern über weite Strecken der Fall war, sind die Ballbesitz- und Passwerte durchaus hilfreich.
Wenn die Dreierkette etwas eingespielt ist, kann auch an den Formationen gearbeitet werden. Ein 3-4-3 oder ein
3-5-2 wären spannend zu sehen, um die Offensive noch stärker zu forcieren. Gerade ein Doppelsturm wäre eine interessante Alternative, die man in der Nationalmannschaft schon lange nicht mehr gesehen hat.
Vladimir Petkovic hat mit der Umstellung auf die Dreierkette den Grundstein gelegt, um mit der Nati endlich den nächsten Schritt zu machen. Wer weiss, vielleicht liegt ja sogar bald mal ein Viertelfinal an einem grossen Turnier drin.