Herr Stüdeli, auch am Tag nach dem Abgang von Valon Behrami bleiben viele offene Fragen. Wie kann ein Telefonat wie jenes von Nati-Coach Vladimir Petkovic mit Behrami für so viel Unruhe sorgen?
Walter Stüdeli: Es ist tatsächlich erstaunlich, wie unterschiedlich Behrami auf der einen und Petkovic bzw. der Schweizerische Fussballverband (SFV) auf der anderen Seite den Inhalt des Gesprächs wiedergeben. Ich denke, es geht hier nicht bloss um ein Missverständnis. Die Frage ist, ob zwischen Behrami und Petkovic vor dem Gespräch noch ein Vertrauensverhältnis bestanden hat oder nicht. Sollte es noch bestanden haben, ist es jetzt endgültig verschwunden.
Petkovic besteht darauf, «keine endgültigen Entscheidungen getroffen» zu haben. Er habe lediglich mit einigen Routiniers über deren sportliche Zukunft gesprochen. Behrami spricht davon, «vor die Tür gesetzt» worden sein. Wer sagt die Wahrheit?
Das ist aus der Ferne natürlich schwierig zu beurteilen. Ein sprachliches Missverständnis schliesse ich angesichts der gemeinsamen Sprache der beiden, Italienisch, aus. Angesichts von Behramis Reaktion muss man auf jeden Fall ein Fragezeichen hinter Petkovics kommunikative Fähigkeiten setzen. Sollte einem dermassen verdienten Nationalspieler in einem kurzen Telefongespräch mitgeteilt worden sein, dass es für ihn in der Nati keine Zukunft mehr gibt, wäre das stillos vom Trainer.
Behrami ist 33 Jahre alt. Es ist doch legitim, wenn Petkovic bei einigen Testspielen im Herbst auf jüngere Kräfte setzen will.
Natürlich, das gehört zur Aufgabe eines Nationaltrainers. Aber aus der Reaktion Behramis lässt sich ablesen, dass Petkovic ihm beim Gespräch über die anstehenden Veränderungen in der Nati nicht die nötige Wertschätzung hat zukommen lassen. Es stellt sich nun die Frage, ob Petkovic damit Behramis Rücktritt provozieren wollte, ihn einfach in Kauf genommen hat oder das Ganze aus Unvermögen heraus passiert ist.
Bei Gelson Fernandes' freiwilligem Rücktritt aus der Nati lief alles unspektakulär ab. Hat Behrami überreagiert?
Wie gesagt, von aussen ist das schwierig zu beurteilen. Aber Gespräche über heikle Themen wie das mittelfristiges Ende der Nati-Karriere muss ein Trainer mit der nötigen Sorgfalt führen. Dazu gehört es, auf den Charakter der betroffenen Spieler eingehen. Dass Gelson Fernandes' Verdienste vom SFV öffentlich gewürdigt werden, Behramis Leistungen jedoch im Rahmen des SFV-Communiqués nicht einmal erwähnt werden, ist aus Kommunikationssicht ein absolutes No-Go.
Hat Petkovic ein Kommunikationsproblem? Während der WM nahm er bloss die Pflichttermine am Tag vor und unmittelbar nach einem Spiel wahr. Zur Doppeladler-Diskussion und zur Gesamtbilanz nach der WM hat er weitgehend geschwiegen.
Der Nationaltrainer ist eine öffentliche Figur. Aus Sicht der Kommunikation ist es selbstverständlich, nach einem grossen Turnier wie der WM in der Öffentlichkeit eine Gesamtbilanz vorzunehmen. Falls Petkovic öffentlichen Auftritten gegenüber abgeneigt ist, muss ihn der Verband daran erinnern, dass das zu seinem Pflichtenheft gehört.
Auch der Verband musste sich Kritik für seine Kommunikation gefallen lassen, Stichwort Doppelbürger-Diskussion. Zu Recht?
Die Doppelbürger-Diskussion wurde ohne ersichtlichen Grund von SFV-Generalsekretär Alex Miescher lanciert, nach den belastenden Tagen vor und nach dem Spiel gegen Serbien mit der ganzen Doppeladler-Debatte. Ich denke, in der Doppelbürger-Frage hat der SFV seine offizielle Position nie wirklich geklärt und Miescher ging mit seiner privaten Meinung in die Offensive. Zusätzlich tat er dies in verwirrender Art und Weise. Die Kritik am Verband war berechtigt: Der SFV hat ein Kommunikationsproblem.
Worin besteht dieses?
In der Kommunikation ist es immer von Vorteil, wenn man auf vorhersehbare Ereignisse vorbereitet ist. Dass beispielsweise das Spiel gegen Serbien für die Spieler mit Wurzeln im Kosovo aussergewöhnlich sein würde und sie von serbischer Seite provoziert werden würden, hätte man voraussehen können. Hier hätte ein Statement, das deren besondere Situation anerkennt und sie gleichzeitig aus der Schusslinie nimmt, viel Ruhe erzeugen können. In anderen Fällen glänzte die SFV-Spitze durch Kommunikationsverweigerung.
Sie sprechen auf SFV-Präsident Peter Gilliéron an. Er liess sich über eine Woche Zeit, bis er auf den Doppelbürger-Vorstoss von Generalsekretär Miescher reagierte – mit einer Entschuldigung.
Zuvor hatte er eine Interviewzusage zurückgezogen, weil ihm die Fragen nicht passten. Gilliérons Gesprächsverweigerung fand in einer Situation statt, bei welcher in den Reihen der Nati offensichtlich Unmut über den Verband herrschte und die mediale Kritik kein Ende nahm. Das zeugt von einem Kommunikationsdefizit. Der SFV hat ein strategisches Problem bei der Kommunikation: Den Leuten an der Verbandsspitze ist die Bedeutung einer professionellen und offensiven Kommunikation – gerade in Krisensituationen – offensichtlich zu wenig bewusst.
Valon Behrami verkündete das Ende seiner Nati-Karriere via Twitter – wenige Minuten nach der Exlusivmeldung des Tessiner Fernsehens RSI zu seinem «Rauswurf». Wie verändern die sozialen Medien die Anforderungen an die Krisenkommunikation?
Das Tempo und die Reichweite der sozialen Medien sind für die Krisenkommunikation eine grosse Herausforderung. Wenn sich eine Äusserung wie jene Behramis, die den Verband in einem ungünstigen Licht erscheinen lässt, einmal verbreitet hat, ist es schwierig, die Kontrolle zurückzugewinnen. Umso wichtiger ist es deshalb, eine umfassende Kommunikationsstrategie zu haben und diese konsequent umzusetzen.
Im Interview mit dem RSI sagte Behrami über den SFV: «Es bestimmen Leute, die nie selber Fussball gespielt haben, die nicht wissen, was der Athlet fühlt.» Würden mehr ehemalige Fussballprofis im Verband das Kommunikationsproblem des SFV beheben?
Ich denke, so pauschal kann man das nicht sagen. Nur weil jemand früher selber als Profi gespielt hat, ist er nicht automatisch besser geeignet für einen Posten an der Verbandsspitze. Beim DFB etwa ist mit Oliver Bierhoff ein Ex-Profi als Teammanager in leitender Position. Mit Blick auf die Causa Özil würde ich nicht sagen, dass dort im Bereich Kommunikation keine Fehler gemacht wurden.