Die Pleite in Barcelona erinnert an die 0:3-Klatsche aus dem Februar in Leverkusen, als Bayern München komplett an die Wand gespielt wurde. Auch beim 1:4 in der Champions League war der deutsche Rekordmeister hinten viel zu verwundbar und anfällig für schnelle Gegenstösse, hatte die gegnerischen Angreifer – allen voran den Dreifachtorschützen Raphinha – überhaupt nicht unter Kontrolle. Die Innenverteidigung um Dayot Upamecano und Min-jae Kim war einmal mehr nicht sattelfest. Dass Bayern in den beiden Spielen gewisse Ähnlichkeiten aufwies, dürfte für die Verantwortlichen erschreckend sein.
Hatte man doch gedacht, die Schwächen der Vorsaison, als das Gefüge im Team und im Verein unter Trainer Thomas Tuchel auseinanderzufallen drohte, überwunden zu haben. So überzeugend starteten die Münchner unter ihrem neuen Trainer Vincent Kompany in die neue Saison. Die ersten sechs Spiele wurden alle gewonnen, meist überzeugend wie beim 9:2 gegen Zagreb oder beim 5:0 in Bremen. Zuletzt erhielt die Fassade aber deutliche Risse.
In den letzten fünf Partien fuhr Bayern nur noch einen Sieg ein, in der Champions League erlitt der sechsfache Titelgewinner zwei Niederlagen und rutschte damit auf Platz 23 ab – hinter Teams wie Celtic Glasgow, Sparta Prag und Dinamo Zagreb.
Nach der Demontage in Barcelona erklärte Bayern-Goalie und -Captain Manuel Neuer: «Wir haben Fehler gemacht, hätten in Sachen Aggressivität präsenter sein müssen. Das muss man gerade im Mittelfeld gegen spielstarke Mannschaften wie Barça zeigen. Die Sauberkeit haben wir vermissen lassen.» Trainer Vincent Kompany stellte klar: «Es gibt null Ausreden, nur eine deutliche Niederlage.»
Ist im bayrischen Paradies, in dem die Bosse um Uli Hoeness und Karl-Heinz Rummenigge in der letzten Woche trotz «Mini-Krise» von Trainer Kompany schwärmten, nun also plötzlich alles schlecht? Nein.
Zunächst muss gesagt sein, dass die Niederlage in Barcelona in der Höhe nicht ganz gerechtfertigt war. Die Bayern konnten statistisch gesehen gut mithalten. Die Expected-Goals-Werte lauteten am Ende der Partie 1,5 zu 1,04 zugunsten von Barça. Die Katalanen hatten mit zwölf Abschlüssen lediglich einen mehr als der Gegner und brachten davon auch nur vier aufs Tor. Dass diese alle mit einem Treffer endeten, zeigt eines der grossen Probleme der Bayern.
Manuel Neuer ist längst nicht mehr der sichere Rückhalt, welcher der 38-Jährige zu seinen besten Zeiten war. Der fünffache Welttorhüter wird von seinen Vorderleuten aber auch regelmässig im Stich gelassen. Wie beim 0:1 nach nicht einmal einer Minute, als Raphinha plötzlich alleine auf Neuers Tor stürmte. Die defensive Anfälligkeit der Münchner liegt auch an Kompanys gewagtem Pressingfussball ohne echte Absicherung durch die nach wie vor viel zu unsicher agierenden Innenverteidiger Upamecano und Kim. Jedoch wird nicht jeder Gegner so effizient sein wie Barcelona, das sich in dieser Saison unter Hansi Flick bisher in einer herausragenden Verfassung befindet.
Weiterhin muss über den zweiten Gegentreffer diskutiert werden. Den Schubser von Vorbereiter Fermin Lopez gegen Bayern-Verteidiger Kim sehen nicht wenige als regelwidrig. So zum Beispiel Joshua Kimmich, der sagt: «Für mich ist es eher ein Foulspiel. Wenn der Schiedsrichter das im Spiel pfeift, nimmt er das auf gar keinen Fall zurück.»
Dass die Partie einen anderen Lauf hätte nehmen können, zeigt auch das aberkannte Tor von Harry Kane zum vermeintlichen 1:1. Der englische Stürmer stand in der 10. Minute nur hauchdünn im Abseits – wenige Zeigerumdrehungen später traf er dann aber auch noch regelkonform. So war die Niederlage in Barcelona verdient, doch fiel das Ergebnis etwas zu hoch aus, wie auch Kimmich bilanziert: «Ich glaube, der Spielverlauf war jetzt kein 4:1.»
Ein völliger Kontrast zur Vorsaison ist aber auch, wie einig die Münchner derzeit selbst nach der klaren Niederlage auftreten. Während vor einigen Monaten nach Niederlagen regelmässig die Hölle los war und der «FC Hollywood» ein Comeback feierte, sagte Trainer Kompany nun: «Wir werden zusammenstehen und aus diesem Spiel lernen, das wird jetzt nicht unsere Saison entscheiden.» Kimmich erklärte, dass er sich deswegen keine Sorgen mache.
Einzig bei Sportvorstand Max Eberl lagen die Nerven nach dem Spiel kurz blank. Als ihn Sky-Reporter Florian Plettenberg fragte, ob das Münchner Innenverteidiger-Duo ein Unsicherheitsfaktor gewesen sei und das erste und letzte Gegentor, bei denen Upamecano und Kim nicht gut ausgesehen hätten, verneinte Eberl und erklärte: «Beim ersten macht meines Wissens Joshua Kimmich den Fehler im Zentrum.» Auf Plettenbergs Kritik, dass Upamecano herausrücke, wetterte Eberl: «Mach einen Trainerschein, dann kannst du es besser machen.»
Doch auch der 51-Jährige demonstrierte Einigkeit und nahm die Mannschaft nach aussen hin in Schutz. «Das ist so billig, wenn wir Gegentore bekommen, es auf die Defensive zu schieben», sagte Eberl und fügte an: «Und wenn Harry Kane ein Tor schiesst, ist es nur Harry Kane. Das ist genau das, was man haben möchte. Man möchte auseinanderdividieren. Und das lassen wir nicht zu.» Es werde jetzt nicht an einzelnen Personen herumgenörgelt, so Eberl: «Wir verteidigen das, was wir tun, wenn wir davon überzeugt sind.»
Es scheint also so, als hätte Bayern wieder zur «Wir gegen den Rest»-Mentalität gefunden. Das dürften auch die nächsten Gegner zu spüren bekommen, denn angefressene Bayern sind meist die gefährlichsten Bayern. Am Sonntag trifft München auswärts auf Bochum, am Mittwoch geht es dann für die 2. Runde des DFB-Pokals nach Mainz. Es dürfte niemanden wundern, wenn die Bayern dann eine ähnliche Dominanz demonstrieren, wie beim 4:0-Erfolg am letzten Wochenende gegen Stuttgart.
Mit so einem Torwart hast du international gar nichts zu melden.